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Jörg Haider, Traditionalist

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

In der Nacht auf den 11. Oktober vor zehn Jahren starb Jörg Haider. Rund um diesen Anlass überschlugen sich die Analysen zu Leben und Wirken von Österreichs wohl bekanntestem Politiker nach 1945. Neues erbrachte das nicht wirklich, zu sehr blieben alle Beteiligten ihrer eigenen Biografie treu, die sie entweder zu Anhängern oder Gegnern der Haiderschen Projektionsfläche machte. In dieser Perspektive bleibt Haider für manche ein genialer, für andere ein dämonischer, stets aber irrlichternder Solitär am heimischen Politikfirmament. Das alles ist nicht falsch, viel zu kurz kommt dabei jedoch der Blick auf den Umstand, dass Haider ein genuines Produkt der Republik ist. Diese Auslassung ist nicht zuletzt angesichts des Zusammenfalls von Haiders 10. Todestag und dem 100. Geburtstag der Republik bemerkenswert.

So hat Haider die extreme Polarisierung nicht neu nach Österreich gebracht, er hat lediglich an die Traditionen der beiden Großparteien angeknüpft und diese neu verpackt. ÖVP und SPÖ haben bis in die 1960er Jahre hinein ihre Anhänger mit reinster Gräuelpropaganda über den Klassenfeind an die Wahlurnen getrieben, deren Schärfe und Polemik in Wort und Bild noch heute überrascht.

Die Erzählung von der Konsensdemokratie stimmt nämlich nur dann, wenn diese robuste Form der Basismobilisierung übersehen wird. Angesichts einer fast 130-jährigen Parteiengeschichte ist auch die Frage zulässig, ob nicht die rot-schwarze Doppel-Republik nach 1945 als Ausnahme von der Regel betrachtet werden muss. Und die dank Haider eingeleitete Neuetablierung eines Drei-Parteien-Systems die Rückkehr zu einer österreichischen Tradition Plus bedeutet, die Raum für Neues wie Grüne und Neos bietet.

Damit zwingend verbunden ist auch die Wiederkehr eines unablässigen Bemühens aller Parteien um Blockbildung mit dem Ziel, stabile Mehrheitskonstellationen zu begründen. Das war vor und nach dem Ersten Weltkrieg die parlamentarische Praxis. Nach 1945 war es kein Geringerer als Bruno Kreisky, der dieses strategische Mittel zugunsten der SPÖ mit Verve verfolgte - ausgerechnet mit der Prä-Haider-FPÖ von Friedrich Peter und Norbert Steger. Haider war dann einfach selbstbewusst genug zu versuchen, das Spiel umzudrehen und als potenzieller Juniorpartner beide Großparteien gegeneinander auszuspielen.

Die Post-Kreisky-SPÖ antwortete darauf mit der Tabuisierung der FPÖ, was ihr bis 2000 die Kanzlerschaft sicherte. Seitdem ist die FPÖ zurück im Wettbewerb um Mehrheiten, dabei jedoch offen in alle Richtungen. Aber auch das war keine Erfindung Haiders, sondern ein wohlbekannter Mechanismus aus den früheren Tagen der Republik.