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Grenzbalken Zeit

Von Judith Belfkih

Leitartikel
Judith Belfkih, stellvertretende Chefredakteurin der "Wiener Zeitung".

Am Sonntag endet die Sommerzeit - vielleicht zum letzten Mal. Denn die europäischen Uhren könnten am 28.Oktober letztmalig um eine Stunde zurückgestellt werden. Geht es nach der EU-Kommission, soll mit März 2019 Schluss sein mit dem Drehen an der Uhr. Ob sich die Mitgliedstaaten dann für ewige Winter- oder Sommerzeit entscheiden, stuft die Kommission als nationale Angelegenheit ein. In einigen EU-Ländern ist seither eine erbitterte, wissenschaftlich unterfütterte Debatte entbrannt, welcher Zeitzone der Vorzug gegeben werden soll. Über persönliche Vorlieben von Nachteulen und Frühaufstehern, die jeweils ihre liebste Tageszeit um eine helle Stunde verlängert sehen wollen, geht der Diskurs weit hinaus. Chronobiologen warnen vor gesundheitlichen Folgen der ewigen Sommerzeit: Die Europäer könnten "dümmer, dicker und grantiger" werden. Die nächtliche Nutzung von Smartphones sei für die innere Uhr weit schädlicher als die Zeitumstellung, argumentieren andere.

Bis 1.April 2019 haben die EU-Staaten Zeit, ihre Entscheidung in Sachen Sommerzeit kundzutun. Jene, die sich für den chronografischen Sommer entscheiden, stellen dann Ende März auf Sommerzeit - und bleiben dabei. Alle anderen kehren mit Oktober 2019 definitiv in die sogenannte Normalzeit zurück. Diesem Plan müssen Mitgliedstaaten und EU-Parlament mehrheitlich zustimmen, nächster Schritt dorthin ist das EU-Verkehrsministertreffen in Graz kommende Woche. Das offizielle Österreich bevorzugt dauerhafte Sommerzeit, sonst hat sich bisher kein EU-Staat festgelegt. Der Plan der Kommission ist in der aktuellen Form so einfach wie kurzsichtig. Denn jenseits vom Biorhythmus sind die Konsequenzen wesentlich gravierender. Sollten sich benachbarte Staaten für unterschiedliche Lösungen entscheiden, könnte sich Europa künftig mit neuen Grenzen konfrontiert sehen: mit den Grenzbalken von Zeitzonen quer durch Europa. Die Anzahl der Zeitumstellungen könnte sich damit von jährlich zwei auf wesentlich mehr erhöhen - nämlich bei jedem Grenzübertritt. Vom Chaos, das eine derartige Lösung in Verkehr, Transport oder Kommunikation auslösen würde, ganz zu schweigen. Zur angestrebten Vereinheitlichung führt so eine Regelung nicht. Mehr noch: Wenn eine Institution wie die EU, die sich mit der Festlegung der Krümmung von Gurken und Toilettenrohren den Vorwurf der Überregulierung gefallen lassen muss, es nicht schafft, eine möglichst einheitliche Zeitpolitik festzulegen, führt sie den europäischen Gedanken ad absurdum.

Wäre es eine rein heimische Debatte, stünde ob der zahlreichen Blüten längst eine sehr österreichische Lösung im Raum: Mangels sinnvoller Alternativen bliebe einfach alles so, wie es ist.