Am Podium: Karin Gutiérrez-Lobos (Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Medizinische Universität Wien), Alois Birklbauer, (Institut für Strafrechtswissenschaften, JKU Linz) und Maria Katharina Moser (Direktorin Diakonie Österreich, v. r. n. l.). Petra Tempfer, Redakteurin der "Wiener Zeitung", moderierte. 
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Am Podium: Karin Gutiérrez-Lobos (Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Medizinische Universität Wien), Alois Birklbauer, (Institut für Strafrechtswissenschaften, JKU Linz) und Maria Katharina Moser (Direktorin Diakonie Österreich, v. r. n. l.). Petra Tempfer, Redakteurin der "Wiener Zeitung", moderierte.

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Angenommen, ein Suizidwilliger, der bereits eine Sterbeverfügung errichtet hat, holt sich danach das tödliche Medikament aus der Apotheke, er nimmt es aber nicht ein. Jahre vergehen, ein Jahrzehnt. Und schließlich bittet er doch einen Freund, ihn beim Suizid mithilfe dieses Medikaments zu unterstützen. "Dann steht für jeden, der das nicht verhindert hat, eine Strafbarkeit im Raum, weil wir dann strafjuristisch nicht mehr von Selbsttötung sprechen, sondern von Fremdtötung", sagte dazu Alois Birklbauer, Leiter der Abteilung für Praxis der Strafrechtswissenschaften und Medizinstrafrecht an der Johannes Kepler Universität Linz, am Dienstagabend.

Denn das Sterbeverfügungsgesetz, das seit 1. Jänner dieses Jahres in Kraft ist, sieht zwar vor, dass man nach Errichtung der Sterbeverfügung das tödliche Medikament innerhalb eines Jahres aus der Apotheke holen muss - nicht aber, dass dieses auch in dieser Zeit eingenommen werden muss. "Die Entscheidungsfähigkeit des Suizidwilligen muss allerdings nicht nur zum Zeitpunkt der Errichtung der Sterbeverfügung vorliegen, sondern auch zum Suizidzeitpunkt selbst. Und zu deren Beurteilung nutzt die Sterbeverfügung von vor zehn Jahren nichts mehr", so Birklbauer weiter. Fallstricke wie diese seien bei der Legalisierung des assistierten Suizids trotz des Sterbeverfügungsgesetzes weiterhin vorhanden.

Birklbauer war Gast der Talk-Reihe "future ethics" der "Wiener Zeitung", die am Dienstagabend im Albert-Schweitzer-Haus der Diakonie Österreich stattfand. Mit am Podium diskutierten Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich, und die Psychiaterin und Neurologin Karin Gutiérrez-Lobos von der Medizinischen Universität Wien. Die "Wiener Zeitung" moderierte.

"Österreich hat eine Riesenchance vertan"

Thema der Veranstaltung: "Beim Sterben helfen?" bezugnehmend auf die Legalisierung der Mitwirkung am Suizid, die bereits im Vorfeld polarisierte und es nach wie vor tut.

Nachdem der Verfassungsgerichtshof das Verbot der Mitwirkung am Suizid mit Wirksamkeit 1. Jänner dieses Jahres für verfassungswidrig erklärt hatte, hat der österreichische Gesetzgeber das Sterbeverfügungsgesetz beschlossen, das nun den gesetzlichen Rahmen vorgibt. Die Tötung auf Verlangen (§ 77 Strafgesetzbuch) ist nach wie vor verboten, und das medizinisch begleitete Sterbenlassen etwa durch das Ausschalten der lebenserhaltenden Maschinen war schon davor erlaubt.

Doch was kann dieses Gesetz - und was sollte es können?

"Österreich hat eine Riesenchance vertan. Der Gesetzgeber hatte ein Jahr Zeit, eine Regelung zu beschließen und eine offene Diskussion in der Gesellschaft zuzulassen. Es war ein Eilgesetz, mit einer Eilbegutachtung", kritisierte Birklbauer. Man werde das Thema mit rechtlichen Normen nicht lösen können, es brauche zudem einen ethischen Konsens in der Gesellschaft. "Man löst das Ganze nur über strafrechtliche Verbote. Das wird den Wunsch von Menschen, selbstbestimmt sterben zu wollen, nicht lösen." 

Man müsse in anderer Weise die Hand reichen, so Birklbauer. Etwa durch den Ausbau der Palliativstationen und Palliativeinrichtungen. Die Regierung habe sich dazu bekannt. Was war das Resultat? "Nach wie vor gibt es keine Regelungen für den Ausbau der Palliativstationen."   

Die Palliativmedizin in Österreich betreffend betonte Moser, dass es mittlerweile eine Gesetzesvorlage gebe. Das Grundproblem: Es gebe keine bundeseinheitliche Vorgaben. "Es geht wieder viel zwischen den Mühlsteinen zwischen Bund und Ländern verloren, wie wir aus dem Bereich der Pflege schon kennen." Die Fragen nach einem guten, tragfähigen Pflegesystem oder nach der Suizidprävention seien ebenfalls mit dem Sterbeverfügungsgesetz verbunden, "das nicht alles lösen kann", so Moser.

"Wir brauchen einen anderen Diskurs zu dem Thema", sagte auch Gutiérrez-Lobos. Viel sei tabuisiert worden und werde weiter tabuisiert. "Die Beschäftigung mit dem Sterben ist in den Hintergrund getreten. Wir müssen eine offene Diskussion darüber führen, die die unterschiedlichen Standpunkte miteinbezieht", forderte sie. Das Gleiche gelte für den Suizid – und auch die Sterbehilfe.

Am Podium: Alois Birklbauer, Institut für Strafrechtswissenschaften, JKU Linz; Karin Gutiérrez-Lobos, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Medizinische Universität Wien; Maria Katharina Moser, Direktorin Diakonie Österreich.

Moderation: Petra Tempfer, Redakteurin "Wiener Zeitung"

Begrüßung: Michael Bünker, Altbischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich; Martin Fleischhacker, Geschäftsführer Wiener Zeitung.

   

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