Alle wollen sie heiraten! Feentochter Brillantine ihren Hilaris, der Tischler Leim die Hobelmannsche Peppi und das stürzt nicht nur die drei Handwerksgesellen im Lumpazivagabundus ins erwartbare Chaos. Nestroys Stück rund um das Glück, das die Menschen mit Füßen treten und das sich dann dafür mit festen Tritten in den Allerwertesten revanchiert, ist eine bitterböse Parabel für die Verhältnisse - nicht nur des Jahres 1833, als es im Theater an der Wien vor johlendem Publikum uraufgeführt wurde.
Denn mit dem Heiraten, da hatte Nestroy bekanntlich selbst kein Glück. Unglücklich gewählt und dann in wilder Ehe mit Marie Weiler, deren beider Kinder erst durch kaiserliche Entschließung (!) legitimiert werden mussten, war er wahrlich kein Vorkämpfer der ehelichen Tugenden. Wenn dieser skandalumwitterte Wiener Komödiant also ein Stück über die Macht der Liebe schreibt, an deren Ende die Ehe sozusagen als Deus ex Machina die Rabauken zu zahmen Gatten macht, ist das so wie wenn man heute Amy Winehouse im Radio "Rehab" singen hört: ". . . and I said No! No! No!"
Der Feenstreit zwischen Amorosa, der Beschützerin der wahren Liebe, und Fortuna, der Beherrscherin des Glücks, kann also nur Unbill ins Reich der Sterblichen bringen. Und so sagt der böse Geist Lumpazivagabundus ("Beherrscher des lustigen Elends, Beschützer der Spieler, Protektor der Trinker") in weiser Voraussicht, als er den Streit der Feenzicken anzettelt: "Kommts Glück einmal, so werfen sies beim Fenster hinaus, und kommts zum zweiten Mal und will sich ihnen aufdringen auf eine dauerhafte Art, so treten sies mit Füßen."
Es ist ein durchaus progressiver Lumpazivagabundus, den der Linzer Regisseur Georg Schmiedleitner am Donnerstagabend im Theater in der Josefstadt auf die Bühne tänzeln lässt. Vor einem kargen Bühnenbild (Florian Parbs) mit wenigen, aber edlen Requisiten, in dem das Hobelmannsche Geschäft aus Umzugskartons gebaut ist, lässt er das handwerkliche Prekariat, dem Fortuna die Lotteriezahlen - und somit den Schlüssel zum vermeintlichen Glück - in den Traum gibt, ordentlich einfahren.
Qualtinger auf der Spur
Eine kahle Erni Mangold als Lumpazivagabunds zieht dabei das Publikum von Beginn weg in ihren Bann. Die 74-Jährige spielt den grantig-siegessicheren Geist mit unglaublichem Esprit und Präsenz, die die jungen Kollegen kaum aufkommen lassen. Martin Zauner hat dabei als abgesandelter Schuster Knieriem in die größten Fußstapfen zu treten. Haben in dieser Rolle doch schon Größen wie Paul Hörbiger, Helmut Qualtinger und Johann Nestroy himself die Latte hoch gelegt. Zauner gibt den dem Suff verfallenen Knieriem dann auch eher pomali, während Rafael Schuchter einen gekonnt wandlungsfähig empathischen Leim auf die Bühne stellt. Florian Teichmeister macht aus dem Schneider Zwirn mal den versifften Raufbold, mal den zuhälterhaften Glitzerproll. Herrlich auch die alten Haudegen der Josefstadt als Feengesellschaft, allen voran Alexander Waechter als popstarhafter Feenkönig Stellaris, mit Glitterkrone und dunkler Sonnbrille, als müsste er versuchen, die Groupies fernzuhalten.
Es ist auch kein sehr gefälliger Lumpazivagabundus, der dem überraschten Publikum hier vorgesetzt wird. Kein amüsantes Stückchen, das man bei Sekt und Canapé in der Pause betulich als "köstlich" abtun würde. Die Couplets besorgen etwa die Sofa Surfers live, hier wird "Die Welt steht auf kan Fall mehr lang" zur anklagenden Rock-Hymne. Oder wenn Knieriem und Zwirn am Ende von Lumpazivagabundus unter klagendem Gitarrensound direkt aus der Schnapsflasche getränkt werden. Fast ein Wunder, dass bei all dem Josefstädter Rock inklusive Nebelmaschine am Ende die Gitarren heil blieben - und nicht an der geplosterten Sitzlehne eines altverdienten Kommerzialrats i. R. ihr Leben lassen müssen.
"Man redet gegen die Lotterie, ohne zu bedenken, das sie die einzige Spekulation der Armen ist. Die Lotterie verbieten, heißt, das Reich der Träume zu verwehren", schrieb Johann Nestroy über seinen Ewigkeitsstoff - 170 Jahre später diskutiert man noch immer darüber, ob man die Spielautomaten verbieten soll und was gegen das Komasaufen zu tun ist. In manchen Dingen bleibt Wien tatsächlich, wie es ist.