
Für sein Regiedebüt an der Burg wählte Alexander Wiegold, Jahrgang 1979 und bisher Assistent, einen auch bei Feinden des Science-Fiction-Genres geschätzten Roman den Weltautors Stanislaw Lem: "Solaris". Dieser Planet funkelt irrwitzig als "plasmatische Maschine", ähnlich einem menschlichen Gehirn. Sie wird mit Röntgenstrahlen beschossen und wehrt sich. Dieser Parabel über die himmelstürmenden exakten Wissenschaften als Gefahr für Moral und Leben sind weitere Warnbilder attachiert: über Bürokratie und Militarismus, freies Denken versus Systemdruck, Kadavergehorsam und Pfauenstolz auf akademischem Felde. Der 1961 in Warschau gedruckte Roman wurde im Ostblock sofort als Attacke auf den stalinistischen Alltag erkannt. Die Verfilmung durch Andrei Tarkowski 1972 legte unterm Glimmer der Fiktion noch deutlicher die prekäre Gegenwart frei.
Der Roman "Solaris" hat diese packende Aktualität verloren. Doch die beinah satirische Denunziation von Verantwortungslosigkeit im Forschungsbetrieb blieb so immergrün wie auch die Erörterung von Schuld und Verantwortung eines Mannes, dessen Frau sich umbringt. In die Raumstation dringen "Gäste" ein – materialisierte Projektionen von dem, was im Gedächtnis der Forscher – Menschen aus Fleisch und Blut - enthalten ist. Ganz komisch der nicht mehr junge Bernd Birkhahn (Gibarian), an den sich eine nackte Negerin klammert. Die selbstgetötete Harey (Christiane von Poelnitz als Männerphantasie mit fuchsrotem Langhaar) verfolgt ihren Chris Kelvin (Oliver Masucci mit scharfem Gesicht wie ein Gebirgsjäger). Im Raumanzug kam der Psychologe angeflogen zur Inspektion. Die Albin Haray "ist aus Nichts zusammengesetzt" (Lem) und vernichtet sich im Finale selbst – aus Liebe, damit Kelvin ohne Schuldgefühl heim ins Erdenreich fliegen kann. Der christliche Opfermythos war Lem – er wohnte 1983/88 in Wien – innig vertraut.
Masucci, zugleich Dr. Kelvin und Erzähler, stemmt bravourös die riesige Textlast. Auch die zwei Kollegen sind Kunstfiguren, einen Schritt neben ihrer realen Gestalt: Ignaz Kirchner (Sartorius) schaut in seiner Verkleidung wie Dr. Mabuse aus, ist aber kein platter Bösewicht, sondern ein kalkulierender Geistesmensch. Den Dr. Snaut gibt Marcus Kiepe mit einiger Ironie als jungakademischen Schnösel. In dieser Spielfassung von Wiegend und dem Dramaturgen Florian Hirsch sind für das Verständnis unverzichtbare Passagen aneinandergereiht. Besonders eindrücklich Kelvins Gotteshader von Kierkegaardscher Inbrunst. Zuletzt donnern die drei Weißkittel eine volle Ladung kybernetischer und naturwissenschaftlicher Lehrsätze, auch Leersätze, Richtung Publikum.
Lems fulminant erzählte kosmische Bilder sind im Kino leichter zu illustrieren als auf der Bühne. Kein planetarer Ozean wird spürbar unter dem schwarzweißen Marmorboden des Burg-Vestibüls. Moritz Grewenigs Video-Begleitung zeigt im rechten Moment immerhin rote Zerebralschlieren. Mit Bildschirmen, Kunstnebel, Hallgeneratoren lässt sich in die historische Architektur nur mit Maßen Hightec und Erdenferne zaubern. Auch wenn Pieptöne wie an der Billa-Kasse die Eingangsmonologe von Kirchner und Masucci quälend begleiten, wanken die Raumrecken nicht (ich war nahe dran). Die Bühne von Stefanie Grau bescheidet sich mit Wenigem. Gut so! Hollywood zeigte 2002, wie man Weltraum heute blau-glatt technisch installiert – doch Stanislaw Lem (gestorben 2006) verdammte Steven Soderberghs Verfilmung in Grund und Boden. Reicher Premierenapplaus fast ausnahmslos junger Hände.