
Erich Honegger lächelnd, rote Pimpfe jubelnd im Hintergrundvideo, aus dem Lautsprecher Werbung für Bier und Babycreme. Das war die DDR. In Deutschland heute schlängelt sich ein Fabrikantentöchterl supersteil die Kletterstange hoch, von einem polnischen Jungunternehmer ins Pornogeschäft gelockt. Papi quetscht seine Näherinnen aus, sein Lieblingsklagelied singt er über "Lohnnebenkosten". Doch noch mehr Geld macht er mit "Sozialklamotten für den Gesinnungsnachwuchs", das sind schwarze Hoodys und Slips für die Neonazis, aus "Froschfotzenleder". Was das ist? Wird wohl der Tarnhaut ähneln, die Sumpfhüpferiche vor dem Storchenschnabel schützt. Ossis nannten so das Noppenkunstnappa auf Trabisitzen.
Zuletzt überraschen eine moralische Wende und eine lokale. Rotweißrote Fahnenbänder werden ausgerollt. Das nervige Gör, schon 21, füllt die elterliche Villa mit 17 buntscheckigen Immigranten aus aller Welt. Mutti, im kommunalen Krankenhaus geparkt, wo man die Ärzte schmieren muss, trifft der Schlag. Im Schlusstableau kippt das kollektive Showgedrehe um in einen Totentanz zu Walzerklängen.
Sozialkitschsoße für den Wiener Gaumen
Dieses jähe Ute-Bock-Finale steht nicht im Buch von Oliver Kluck, Jahrgang 1980, wie viel Nachwuchs in seinem Fach Absolvent der Dramatikklasse der Universität Leipzig. Warum kauft die Burgdramaturgie tiefdeutsches Bewältigungsgequirl ein, um es mit Sozialkitschsoße dem Wiener Gaumen näherzubringen?
Kluck poliert alle Eckzähne im Gutmenschengebiss: Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, Nazis alt und jung, Ausbeutung, Korruption! Schiebt man die brave Ideologie beiseite, bleibt ein irrwitziges Familiendrama. Ein biederer Arzt mit Mercedes und tiefbrauner ostdeutscher Provinzverwandtschaft verliebt sich in die nervige Nina-Hagen-Adeptin. Von der wird gesagt: "Als Kind eines Fabrikanten hat sie die Fakten des Lebens möglicherweise erst kennengelernt, als ein gleichaltriges Kind aus einer der unteren Klassen bereits die Anfangsgründe einer Abtreibung beherrschte." Ein sozialwissenschaftliches Zitat, hier ironisch eingebracht. Klucks Sprache pendelt zwischen Kalauern und trockener Poesie, Kabarett und grundehrlichem Beziehungsgetaste. Letztlich ist es eine raffiniert verspannte Aufsagesprache. In der Inszenierungsturbulenz wird sie leicht überhört.
Behauptet das Pornostarlett, dass es jetzt Performance, also Kunst macht, ist ein Wust an Theorie angesprochen: die Selbstentblößung als Selbstverletzung des Künstlers. Nie sah man sie an der Burg deutlicher. Wohl nur eine Frau entlockt einer anderen so viel Schamverzicht. Anna Bergmann, ebenfalls jung und im deutschen Karrierekarussell, inszenierte das Fingerspiel von Jane Schulze mit ihrem Schüchterling Philipp Hauß in der Nacktbar und Badewanne zärtlich gefühlsecht und doch mit Witz. Jana Schultz bleibt im Fünf-Personen-Familienensemble eine Nummer für sich: Flink, ungeniert baut sie ihre Übertreibungskunstfigur auf. Ein köstlicher Wirbelwind, der leider im Annex, von Sozialblei gebremst, verpufft.
Von Sahnetortenschlacht und Ausziehgewerbe
Hauß ist der schusselige Arzt, den seine tröge proletarische Verwandtschaft im Osten noch immer höhnisch "Student" nennt. In der Klinik ziert er sich, Schmattes einzusacken. Sogar die Krankenschwester tut es. Alexandra Henkel ist auch die zickige Braut, die Vetter Holger heiratet - eine Slapstick-Orgie mit Sahnetortenschlacht zum Einpeitschlied "Marmor, Stein und Eisen bricht" Daniel Sträßer, elegant und musikalisch, lockt als "Polack" das Oberschichtenkind ins Ausziehgewerbe und klotzt als Neonazi. Michael König kommt als Mutter angewatschelt, mutiert zu deren Gatten und zum Kellernazi im tiefen Osten. In den exakten Typenkostümen von Claudia González Espíndola veranstaltet König bezaubernde Wechselspiele auf seinen Wangenbühnen - kleines großes Theater.
Die Tribüne, wo sonst die Gäste sitzen, ist diesmal Bühne, beherrscht von einer antikischen Säulenfront mit fünf roten Samtvorhängen. Katrin Nottrodt lässt auf den Stufen Kulissenwagen hin und her schieben. Runde Tischchen mit roten Glitzerdecken und brennenden Kerzen: das Burg-Kasino als Nachtlokal, die Brüste der Gipskaryatiden an der Decke mit Goldstrings geadelt.
Erotischer Mummenschanz, manche Wahrheit in den Figuren, ein deutsch-deutsches Problemsoufflé an einer Stätte "nicht für es gebaut". Aber gutes Theater.