Bratislava. Die Abhöraffäre in der Slowakei weitet sich aus. Laut einem Bericht der Zeitung "Novy cas" soll der militärische Nachrichtendienst (VOS) mit Wissen von Verteidigungsminister Lubomir Galko nicht nur Journalisten, sondern auch Ministerpräsidentin Iveta Radicova und höhere Funktionäre des Verteidigungsministeriums abgehört haben. Galko selbst musste am Mittwoch den Hut nehmen. Er wurde auf Vorschlag Radicovas von Staatspräsident Ivan Gasparovic abberufen. Der Schritt war bereits am Dienstagabend angekündigt worden.
In der Slowakei herrscht über die Parteigrenzen hinweg Empörung über das Vorgehen des militärischen Nachrichtendienstes. Ausnahme ist die neoliberale Partei "Freiheit und Solidarität" (SaS), deren Vizevorsitzender Galko ist. SaS-Chef Richard Sulik erklärte, die Abberufung Galkos sei Bestandteil einer Hetzkampagne gegen seine Partei vor der vorgezogenen Parlamentswahl im Frühjahr. Sulik betonte, alle Abhöraktionen seien mit richterlicher Genehmigung durchgeführt worden.
"Novy cas" schrieb am Mittwoch, das Abhören der Regierungschefin sei in VOS-Akten unter dem Decknamen "Aktion Dame" geführt worden. Es sollen laut der Nachrichtenagentur dpa insbesondere solche Telefonate der Ministerpräsidentin abgehört worden sein, in denen es um einen Wirtschaftsskandal ging, in den der von Galkos Partei gestellte Staatssekretär Martin Chren verwickelt war. Chren musste im Februar dieses Jahres auf Radicovas Druck zurücktreten, weil er über eine Privatfirma von Aufträgen des Wirtschaftsministeriums profitiert hatte, als er bereits Staatssekretär des Ministeriums war.
Radicova selbst zeigte sich in einer ersten Reaktion "enttäuscht". Ein derartiges Vorgehen sei unzulässig, egal, ob es sich um die Regierungschefin oder einen einfachen Bürger handle. Der Geheimdienst habe seine Befugnisse überschritten.
Die Chefredakteure slowakischer Tageszeitungen verfassten unterdessen eine gemeinsame Erklärung, mit der sie gegen das Abhören von Journalisten durch den Geheimdienst protestieren. In dem Text heißt es: "Die Praktiken, die der aktuelle Vorfall ans Tageslicht brachte, betrachten wir als unzulässig und als Eingriff in die Pressefreiheit. Solche Angriffe bedrohen auch das Recht der Bürger auf Information." Die Chefredakteure betonen, dass das Pressegesetz die Quellen von Journalisten rechtlich schütze. Abgehört wurden laut Medienberichten die Telefonate von drei Journalisten der Tageszeitung "Pravda" und des Direktors des Nachrichtenfernsehsenders TA3.
Die Abhöraffäre dürfte die Kluft zwischen den Parteien der Mitte-Rechts-Koalition in der Slowakei weiter vertiefen. Im Oktober hatte sich die mitregierende SaS gegen die Teilnahme des Landes am Euro-Rettungsschirm EFSF gestellt und damit den Sturz der christdemokratischen (SDKU-) Regierungschefin Radicova mitverursacht. Die Oppositionspartei Smer war bereit, die Beteiligung der Slowakei an der Rettung schuldengeplagter Euro-Staaten mitzutragen, aber nur unter der Bedingung, dass die Parlamentswahlen vorgezogen werden. Bis zu dem Urnengang am 10. März 2012, bei dem sie nicht mehr antritt, ist Radicova geschäftsführend im Amt.
Nutzen aus dem Streit zwischen den Mitte-Rechts-Parteien scheint die linksgerichtete Smer zu ziehen: Laut aktuellen Meinungsumfragen besteht eine reale Chance, dass die derzeitige Oppositionspartei nach den Wahlen im März allein die Regierung stellen könnte.