Budapest. Wenige Tage nach seiner Enttarnung durch Reporter des britischen Boulevardblattes The Sun ist der mutmaßliche ungarische NS-Kriegsverbrecher László Csatáry in Budapest festgenommen worden. Der Polizei gelang es erst in einem zweiten Anlauf, den heute 97- oder 98-Jährigen zu ergreifen. Ein erster Zugriffsversuch am Montagabend war gescheitert, weil sich Csatáryzunächst aus seiner Zwei-Zimmer-Wohnung in einem vornehmen Budapester Wohnviertel absetzen konnte. Dort hatte er jahrelang unbehelligt gelebt. An einem Briefkasten in dem Haus war zwar ein Schild mit dem Namen "Csatárys" befestigt, an der Haustür stand jedoch "Smith".
Csatáry droht wegen Kriegsverbrechen, insbesondere der Misshandlung mehrerer tausend Menschen, eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Die Beweisführung gegen ihn wird allerdings dadurch erschwert, dass nach ungarischem Recht gegen Csatáry bislang nur die Akten des Prozesses verwendet werden dürfen, bei dem ihn der Bezirksvolksgerichtshof im slowakischen Kosice 1948 in Abwesenheit zum Tode durch den Strang verurteilte.
Die zuständigen Staatsanwälte in Budapest dürften nach der Ergreifung Csatáry strozdem tief durchgeatmet haben. Sie waren vor allem aus dem Ausland heftig kritisiert worden, weil sie an einer Festnahme Csatárys angeblich nicht wirklich interessiert waren. Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Center in Jerusalem, das Csatary im September 2011 zum meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher der Welt erklärt hatte, hatte ihnen vorgeworfen, schon jahrelang von dem Fall gewusst zu haben, ihn aber zu verschleppen. Am Tag nach Csatárys Enttarnung hatte Zuroff auch an Staatspräsident Janos Ader appelliert, sich für eine rasche Festnahme und Verurteilung Csatárys einzusetzen.
Wie jetzt bekannt wurde, ermittelte die Staatsanwaltschaft seit dem 22. September 2011 gegen Csatáry. In Misskredit geriet die Staatsanwaltschaft auch deshalb, weil sie die Meldung von der Enttarnung Csatárys zunächst nur so kommentierte, dass man gegen "unbekannt" ermittle und sich zum weiteren Verfahren bedeckt halte.
Aus Sicht von Ministerpräsident Viktor Orban ist die Festnahme Csatarys ein wichtiger Schritt, um vor allem gegenüber dem Ausland die Glaubwürdigkeit seiner Regierung bei den Bemühungen um eine Eindämmung des Antisemitismus zu untermauern. Dies ist umso wichtiger, als der von ihm geführten nationalkonservativen Partei Fidesz in den vergangenen Jahren immer wieder vorgeworfen wurde, sie distanziere sich nicht deutlich genug von der Rechtspartei Jobbik und dulde außerdem in ihren Reihen Befürworter antisemitischer Positionen. Im Übrigen wird es Orban persönlich verübelt, dass er keine klare Position zum umstrittenen früheren Reichsverweser Miklós Horthy bezieht und das Urteil über dessen Person Historikern überlassen will.
Fidesz-Vertreter reagieren auf diese Vorwürfe in erster Linie mit dem Hinweis aus eine im Sommer 2010 verabschiedete Gesetzesänderung, wonach das Leugnen des Holocaust und der Verbrechen des kommunistischen Regimes strafbar sind. Außerdem weisen sie darauf hin, dass zu den 14 durch das neue Kirchengesetz anerkannten Kirchen und Glaubensgemeinschaften auch die jüdische Glaubensgemeinschaft zählt, das Judentum also ausdrücklich unter besonderem Schutz des ungarischen Staates stehe.