Budapest/Luxemburg. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat am Dienstag Ungarn wegen der Zwangspensionierung von Richtern aufgrund des Alters verurteilt. Die "starke Absenkung des Rentenalters ungarischer Richter stellt eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung aufgrund des Alters dar", hieß es in dem Urteil. Die ungarische Regierung wollte das Urteil nicht kommentieren. Die Opposition sprach von einer Ohrfeige für Ministerpräsident Viktor Orban.
Die Senkung des Eintrittsalters in den Ruhestand um acht Jahre ist nach Ansicht des EuGH "keine zur Erreichung des Ziels der Vereinheitlichung des Rentenalters im öffentlichen Dienst erforderliche Maßnahme". Da die nationale Regelung eine Ungleichbehandlung herbeiführe, die zur Erreichung der verfolgten Ziele weder geeignet noch erforderlich sei und somit nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre, "hat Ungarn gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen". Während das Pensionsalter der Richter auf 62 Jahre gesenkt wurde, werde das allgemeine Pensionsantrittsalter ab 2014 von 62 auf 65 erhöht.
Das höchste Pensionsalter ungarischer Richter lag nahezu eineinhalb Jahrhunderte lang bei 70 Jahren, bis Orbans rechtskonservative Regierung das änderte. Die EU-Kommission hatte deswegen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erhoben. Sie sah die Unabhängigkeit der Richter in Gefahr, da durch eine befristete Herabsetzung des Pensionsalters viele Richter vorzeitig in Pension geschickt und durch der Partei Orbans nahestehende Juristen ersetzt werden können. Die ungarische Opposition teilte diese Bedenken und fürchtete, dass die Regierung im Justizapparat lediglich Platz für Parteifreunde schaffen wollte.
Allerdings hat in der Zwischenzeit das ungarische Verfassungsgericht das umstrittene Verfassungsgesetz über die Pensionierung von Richtern mit 62 statt 70 Jahren außer Kraft gesetzt. 274 heuer pensionierte, ungarische Richter können sich nun an das ungarische Arbeitsgericht wenden. Die neue ungarische Verfassung war Anfang des Jahres in Kraft getreten und war nicht nur seitens des Verfassungsgerichtes, sondern auch von der Europäischen Kommission und des Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg überprüft worden.
Die ungarische Regierung verwies in einer Aussendung darauf, dass die EuGH-Entscheidung sich auf eine Regelung beziehe, die das ungarische Verfassungsgericht im Juli 2012 außer Kraft gesetzt habe. Das Urteil werde zur Kenntnis genommen. Wie die ungarische Nachrichtenagentur MTI berichtet, habe die ungarische Regierung aber "nicht die Absicht, die Entscheidung des EuGH zu kommentieren".
Dass die rechtskonservative Regierung das Urteil des EuGH nicht kommentierte, bezeichneten die oppositionellen Sozialisten (MSZP) als "besonders empörend". Das Urteil sei eine "neue Ohrfeige" für Orban, erklärte MSZP-Abgeordneter Gergely Barandy in einer Aussendung. Orbans Versuche, sich das System der Richter einzuverleiben, seien zum Scheitern verurteilt worden.
Nach Ansicht von Ex-Premier Ferenc Gyurcsany, dem Vorsitzenden der oppositionellen Demokratischen Koalition (DK), müsse die Regierung Orban nun die 300 zwangspensionierten Richter um Verzeihung bitten, ihnen Entschädigungen zahlen und den alten Arbeitsplatz zurückgeben. Der EuGH habe mit seinem Urteil einen "bewussten politischen Angriff" gestoppt, erklärte Gyurcsany.