
Budapest. Die 50-jährige Lehrerin Maria steht inmitten eines Menschenmeeres auf dem Kossuth-Platz vor dem Budapester Parlament, in der Hand eine kleine Fahne mit den ungarischen Nationalfarben Rot-Weiß-Grün. Nervös wartet sie am Sonntagnachmittag auf den Beginn der Demonstration, bei der auch sie gegen Nazismus in Ungarn protestieren will. "Es ist gut, dass zum ersten Mal Vertreter der Regierung und der demokratischen Opposition gemeinsam ihre Stimme erheben", erklärt die kleine Frau mit der grünen Strickmütze. Dennoch, ganz zufrieden ist sie nicht: "Ich hätte Premier Viktor Orban hier erwartet, er hätte reden müssen und nicht nur der Fraktionschef der Regierungspartei, Antal Rogan."
Mit Plakaten, Fahnen und Sprechchören demonstrieren Menschen aus dem ganzen Land gegen Antisemitismus und Rassismus. Ein alter Mann mit gelbem Stern fordert das Verbot der im Parlament vertretenen, rechtsradikalen Jobbik-Partei. Deren Abgeordneter Marton Gyöngyösi hatte kürzlich gefordert, alle Juden auf einer Liste zu erfassen, die als Abgeordnete im Parlament sitzen oder der Regierung angehören, denn sie seien ein "Risiko für die nationale Sicherheit". Er werde nicht pfeifen, wenn der Vertreter der Regierung spricht, sondern ihn im stummen Protest den Rücken zukehren, erklärt der 68-Jährige. Als "unehrlich" bezeichnet er das Auftreten des Regierungsvertreters, ebenso wie die Schritte des Kabinetts des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban. "Die kommen viel zu spät." Und die Idee der Regierungsseite, Hetzreden lediglich mit Geldstrafen zu belegen, sei "skandalös".
Zweifel an Fidesz-MPSZ
Drei Frauen stehen am Rande der Großdemonstration. "Ich bin keine Anhängerin der Regierungspartei. Doch heute ist es völlig egal, welche Ideologie wir vertreten", sagt eine. Heute spiele es keine Rolle, wer für welche Partei stimme. "Hier vor dem Parlament sind wir alle ungarische Staatsbürger, die gemeinsam gegen Faschismus, Antisemitismus, Rassenhass auftreten." Die Pensionistin hofft, dass mit der gemeinsamen Protestaktion "eine Tür geöffnet wird, die einen ersten Schritt zur Überwindung des tief gespaltenen Ungarn darstellt". Ihre Nachbarin schüttelt den Kopf: "Ich zweifle an der Aufrichtigkeit der Regierungspartei Fidesz-MPSZ, was ihre Teilnahme an der Demonstration anbelangt." Die Regierung hätte doch bisher viel entschlossener gegen den Jobbik-Abgeordneten Marton Gyöngyösi auftreten müssen.
Dessen Porträt mit Hitler-Bart zeigen Schilder, getragen von jungen Menschen. Eine 17-jährige Schülerin hat Angst um ihre Zukunft. "Ich weiß nicht, was auf uns wartet, denn alles ist so unsicher." Ein 19-jähriger Student erklärt, in Ungarn hätten Prozesse ihren Lauf genommen, die gestoppt werden müssen. "Hier wird der Zusammenschluss des ganzen Landes gefordert." Er hofft, die Regierung werde sich "nicht vor ihrer Verantwortung drücken". Da er 2014 zum ersten Mal wählen kann, werde er die politischen Ereignisse genau verfolgen.
Keine Gegendemonstration
Die angekündigte Gegendemonstration fiel aus, nur eine Handvoll von Protestler wartete an einer Ecke des Kossuth-Platzes, umgeben von einem großen Polizeiaufgebot.
Außer Antall Rogan für die rechtskonservative Regierungspartei Fidesz-MPSZ sprachen Ex-Premier Gordon Bajnai für die neu gegründete Plattform "Gemeinsam 2014" und Parteichef Attila Mesterhazy für die oppositionellen Sozialisten (MSZP). Alle Redner erhielten - zwar unterschiedlich - Applaus; Proteste aus den einzelnen politischen Lagern waren nicht zu hören. Antal Rogan erklärte: Wir sind heute hier, um dem "Bösen ein Schild um den Hals zu hängen", mit der Aufschrift "Wir werden das nicht mehr zulassen". Gordon Bajnai bezeichnete die Präsenz der Nazis als "inakzeptabel". Nazismus sei wie ein Virus, der die schwachen Länder niederringe. Ein Demokrat sei nicht nur jener, der keine Angst hat, sondern der auch keine Angst erzeugt, betonte Bajnai. Bei den nächsten Wahlen sollten die Stimmbürger die Kandidaten dieser Probe unterziehen. Attila Mesterhazy forderte Premier Orban auf, sich im Parlament klar von Jobbik zu distanzieren und die Partei zu verurteilen. Fidesz-MPSZ müsse "endlich ihre Zwei-Drittel-Mehrheit im Kampf gegen die Faschisten einsetzen".