Wien. Anfang Dezember war es noch ein abwegiges Gerücht, seit Mittwochvormittag ist es ein Faktum: Bogdan Ročić wird nächster Direktor der Wiener Staatsoper und diese vorerst in den Jahren 2020 bis 2025 führen. Eine Überraschung, denn Ročić ging als Außenseiter ins Rennen: Der 52-Jährige ist ein international erfolgreicher Plattenmanager und hat im Popbereich begonnen. Ein Opernhaus hat er bisher nicht geleitet.
Kulturminister Thomas Drozda, der den Posten im Herbst ausgeschrieben hat, bescheinigt Ročić dennoch "beispiellose Kompetenz". Dabei sei es kein Misstrauensvotum, dass der Vertrag des amtierenden Dominique Meyer (der sich ebenfalls bewarb) nicht verlängert wurde: Der Status quo der Staatsoper sei "hervorragend". Drozda habe aber eine Entscheidung für die Zukunft treffen müssen und sich für eine Weichenstellung entschieden. Er erwarte vom neuen Chef einerseits das Engagement führender Künstler (mit denen Ročić als Labelboss von Sony Classical gut vernetzt ist). Zudem soll die Staatsoper die Zahl der Premieren erhöhen und breitere Publikumsschichten ansprechen.
Kampf gegen Prestigeverlust
Diese Reichweiten-Ambition bekräftigt auch Ročić, und sie täte not. Auch wenn das Wiener Haus (noch) knallvoll sei: Die Institution Oper habe in den vorigen Jahrzehnten "im kulturellen Selbstverständnis an Bedeutung verloren". Sie stehe heute "in einer Konkurrenz, wie es sie noch nie gegeben hat - um die Zeit und das Geld des Publikums. Oper kann nicht mehr hoffen, vor lauter Prestige den Vergleich nicht eingehen zu müssen. Sie steht unter Druck." Dieser zeige sich bereits auf dem harten marktwirtschaftlichen Pflaster der USA: Die New Yorker Met sei, unter ihrem aktuellen Intendanten Peter Gelb, nur noch zu einem Drittel ausgelastet. Die Wiener Staatsoper spüre diese Entwicklung insofern bereits, als das Durchschnittsalter im Saal steige. "Das Publikum wächst nicht mehr einfach nach."
Was also tun? "Das Publikum von morgen braucht vor allem Antwort auf das Warum. Warum soll Oper Teil meines Lebens sein?" Ročić will diese Frage mit Qualität und Visionen in seinem Spielplan beantworten, und er legt sich die Latte hoch: Vorbild ist ihm die Ära von Hofoperndirektor Gustav Mahler (1897-1907). "Höchster inhaltlicher Ehrgeiz" stehe im Vordergrund, die "Aspekte des Betrieblichen" seien untergeordnet. Lebensnerv sei ein "unbedingter Gestaltungswille"; das Routinierte, Selbstzufriedene sei Mahler verhasst gewesen. Das solle für Ročićs Amtszeit aber keine Ausdünnung der Repertoirebreite bedeuten: "Schon eine gefühlte Verarmung will ich nicht."
Konkrete Pläne und Personalien könne er angesichts der Ferne seines Dienstantritts (in gezählten 1349 Tagen) zwar noch nicht präsentieren. Außer Frage steht für Ročić, der der "Maschine" Opernhaus Kunst abpressen will, aber, dass das Haus wieder einen Generalmusikdirektor (GMD) braucht - einen "prägenden Spitzenmusiker, der Teil des Thinktanks sein muss". Ročić spricht sich zudem für zeitgenössische Werke aus; dabei will er von der Praxis vereinzelter "Feigenblatt"-Uraufführungen abrücken. Man müsse moderne Werke nicht unbedingt bei Legenden der Akademien bestellen, sondern könne mitunter auch international zugkräftige Stücke nachspielen. Eine Gretchenfrage freilich: Rechnet der künftige Chef mit Gegenwind? Immerhin hat er seine Karriere denkbar unklassisch begonnen, als Mitarbeiter und Senderchef von Ö3, Leiter bei Universal Music Austria und Juror der ORF-Castingshow "Starmania". Und, wie gesagt: Es fehlt ihm die Erfahrung mit Opernhäusern. "Ich finde, da bin ich in glänzender Gesellschaft", sagt er mit Verweis auf Peter Gelb (vormals auch Chef von Sony Classical) und Ioan Holender (vor seiner Staatsopern-Direktion Leiter einer Sängeragentur).
Scharfe Kritik kommt bisher nur von der FPÖ, die von einer "Skandalbestellung" spricht. Franz Welser-Möst, bis 2014 GMD am Haus, lobt Ročić als "echten Macher"; Nikolaus Bachler, selbst als Kandidat im Gespräch, freut sich über ein "großartiges Signal". Die Wiener Philharmoniker, die im Orchestergraben musizieren, zeigen sich zwar "überrascht" von der Entscheidung, wollen aber "positiv an die Sache herangehen". Und Dominique Meyer betont, seine Aufgabe bis zum Ende seiner Amtszeit mit unvermindertem Enthusiasmus weiterführen zu wollen.