Dass es sich mitunter ganz besonders lohnt, den "kleinen Dingen" nachzuspüren, kann im Rahmen der aktuellen Sonderausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien nachvollzogen werden: Neben den von Meisterhand geschaffenen großartigen Gemälden und Skulpturen ist auch eine Reihe von vergleichsweise unscheinbaren Medaillen zu sehen, unter denen sich ein ungewöhnliches Erinnerungsstück befindet.

Auf den ersten Blick vermittelt das hier abgebildete Objekt mit gekröntem Haupt und Umschrift den Eindruck einer herrscherlichen Medaille. Erst beim näheren Hinsehen wird klar, dass es sich hier um eine Krone handelt, die anstelle der ansonsten üblichen Zacken mit Eselsohren ausgestattet ist.

Ein testamentarisch vererbter Hofnarr

Die Umschrift lautet in deutscher Übersetzung: "Hans von Singen, der witzigste König der Narren und Albernen." Hans von Singen (gebürtig in dem ehemals eigenständigen Dorf Singen, das heute als Ortsteil zu Remchingen in Baden-Württemberg gehört) diente zunächst als Hofnarr dem Markgrafen Philipp I. von Baden (1479–1533). Dieser vererbte ihn testamentarisch an seinen Bruder Ernst.

Historiker rätseln heute darüber, ob der berühmte Medailleur Friedrich Hagenauer das Stück auf Wunsch eines Dienstherren des Hofnarren angefertigt hat oder ob Hans von Singen (auch "Henslin") selber den Auftrag erteilte. Wie auch immer: Die Tatsache, dass jener zu solch einer außergewöhnlichen Ehre kam, lässt darauf schließen, dass es sich bei dem "Narren" um keinen einfältigen Menschen gehandelt hat. Wie anhand diverser historischer Quellen nachzuvollziehen ist, befanden sich unter den Hofnarren der frühen Neuzeit immer wieder auch Männer und Frauen, die über ein außerordentliches geistiges Potenzial verfügten.

Auf der Rückseite der Medaille findet sich neben der Jahreszahl 1533 eine Aufschrift, die in deutscher Übersetzung lautet: "Wenn man nichts versteht, ist das Leben am angenehmsten." Die auf den Dichter Sophokles zurückgehende Redewendung dürfte dabei auf die Rolle des Hofnarren, nicht aber auf die tatsächliche geistige Konstitution des Hans von Singen gemünzt sein. In gleicher Weise verweisen die stets an der Narrenkappe befindlichen Eselsohren ganz generell auf die im Rahmen des Hofamtes auszufüllende Funktion, aber nicht notwendigerweise auf den konkreten Intelligenzquotienten des jeweiligen Amtsinhabers.

In der Stadt Ettlingen in Baden-Württemberg steht noch heute ein "Narrenbrunnen" aus dem 16. Jahrhundert, an dem sich ein Medaillon befindet, das der hier abgebildeten Medaille gleicht. Im Jahr 1964 stiftete die Ettlinger "Bruderschaft des Hans von Singen" neuerlich eine Medaille mit dem Konterfei des Hofnarren. Auch ansonsten halten die Ettlinger das Andenken des Hans von Singen hoch in Ehren . . .

Artikel erschienen am 25. August 2011
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7