Nicht zufällig ist links vom Hauptaltar der heilige Sebastian positioniert. - © Foto: Johann Werfring
Nicht zufällig ist links vom Hauptaltar der heilige Sebastian positioniert. - © Foto: Johann Werfring

Zu den in kulturgeschichtlicher Hinsicht interessantesten Kirchen Wiens zählt neben dem Stephansdom vor allem die Michaelerkirche. Ein drastischer Blickfang am Hauptaltar ist der aus vielen nackten Körpern bestehende Engelssturz. Darunter befindet sich ein von einem goldenen Strahlenkranz bekröntes Marienbildnis, welches von zwei Cherubim behutsam gehalten wird.

Ebenso wie im Wiener Stephansdom wird der Altar auch in der Michalerkirche links und rechts vom heiligen Sebastian und vom heiligen Rochus flankiert. Im Vergleich zum Hochaltar von St. Stephan ist jener zu St. Michael viel eleganter durchkomponiert, was auch am Erscheinungsbild der beiden genannten Heiligen deutlich wird.

Ein graziler Römer in Wien

Der hier abgebildete heilige Sebastian ist nicht, wie sonst zumeist, mit entblößtem Körper und von Pfeilen gespickt gestaltet, sondern in der edlen Rüstung eines römischen Soldaten dargestellt. Sein Martyrium wird dezent durch den in seiner linken Hand befindlichen goldenen Pfeil angedeutet, während die Finger der rechten Hand geheimnisvoll gespreizt erscheinen.

Sowohl die Madonna als auch die beiden Heiligen verweisen auf Wiener Stadtgeschichte. Als die Donaumetropole im Jahr 1679 von der Pestfurie heimgesucht wurde, kümmerte sich der Barnabitenpater Don Casimir Dembsky um die Moribunden und infizierte sich dabei. Er verzweifelte aber nicht, sondern befahl sich dem Schutz der in der Michaelerkirche befindlichen Madonna von Candia an. Wie überliefert ist, erschien ihm diese gemeinsam mit den Pestheiligen Sebastian sowie Rochus und betete ihm fünf Psalmen vor, die jeweils mit einem Buchstaben des Namens Maria beginnen, woraufhin der Gottesmann gesundete.

Diebstahl eines Kirchenschatzes

Nachdem sich die Nachricht von der wundersamen Heilung Dembskys in Wien herumgesprochen hatte, wurde das Marienbild hoch verehrt, und es ereigneten sich weiterhin noch zahlreiche Gebetserhörungen. In Dankbarkeit hinterlegten die Wiener beim Muttergottesbild jede Menge Votivgaben aus Gold und Silber. Im Jahr 1726 vergriff sich ein dreister Dieb an diesen Kostbarkeiten, jedoch konnten die Votivgaben wieder zurückgebracht werden.

Das Gnadenbild, welches aus der Nikolauskirche zu Candia (heute Iraklio) auf Kreta stammt, kam 1672 in die Michaelerkirche. Bereits in der Kirche Sankt Nikolaus in Candia auf der Insel Kreta war das Madonnenbild derart stark von den Gläubigen frequentiert worden, dass sogar nachts die Tür offen bleiben musste. Die exzessive Verehrung des Bildes hat aber nicht nur mit dessen Wundertätigkeit zu tun, sondern auch damit, dass man es vom Urbild Mariens, das angeblich der Apostel Lukas geschaffen hatte, herleitete.

Print-Artikel erschienen am  5. Juli 2012
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7