
Anhand der Biografien von Sensationsartistinnen macht das Frauenmuseum Hittisau in seiner aktuellen Ausstellung deutlich, wie die Zirkuswelt bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein Ort der Gleichberechtigung von Mann und Frau gewesen ist. Dort konnten Zirkusartistinnen sämtliche hierarchische Positionen bis hinauf zur Zirkusdirektorin erklimmen und ein selbstbestimmtes Leben jenseits von normativen Geschlechterrollen führen. Auch Liebesbeziehungen, etwa im Rahmen lesbischer Partnerschaften oder in "wilder Ehe", wie sie zu jener Zeit in der bürgerlichen Welt undenkbar gewesen wären, konnten im Zirkus frei gelebt werden.
Eine der spektakulärsten Erscheinungen ihrer Zeit war die in Baden bei Wien in einem Zirkuswagen geborene Katharina Brumbach (1884 bis 1952), die als "stärkste Frau der Welt" internationale Berühmtheit erlangte. Mit 182 Meter war sie für damalige Verhältnisse ungewöhnlich groß.
Bezwingerin des Champions
Anlässlich einer öffentlichen Herausforderung traf sie in New York auf den Champion Eugen Sandow. Er war damals ein Idol der Männlichkeit; es galt für viele seiner Geschlechtsgenossen als schick "Sandow-like" zu sein. Katharina besiegte ihn, indem sie ein Gewicht von 136 Kilogramm stemmte. Nachdem sie den Champion Eugen Sandow bezwungen hatte, nannte sich die bärenstarke Frau fortan "Sandwina".
Viele Jahre lang trat "The Lady Herkules" Katie Sandwina nun in bekannten Zirkussen auf. Sie stemmte Männer in die Höhe, verbog Eisenstangen, zerriss Ketten und widersetzte sich dem Zug von Pferden. 1942 verließ Sandwina die Zirkuswelt. In dem zusammen mit ihrem Ehemann geführten Restaurant in New Jersey (USA) gab sie weiterhin kleine Kunststücke zum Besten. Ihr Rekord im Gewichtheben wurde erst 1987 überboten.

Eine spannende Karriere hatte auch Henriette Willardt (1866 bis 1923) aus Wien, deren Mutter im Prater eine Schaubude besessen hatte. Als sich das in einem bürgerlichen Internat erzogene Mädchen im Alter von 16 Jahren entschloss Dompteuse zu werden, erwarb ihre Mutter die ersten Tiere für sie: zwei Berberlöwen, einen Bär und einen Leopard. Als "Miss Senide" wurde Henriette binnen Kurzem berühmt.
Ihre Meisterleistung war das "diner africain". Dabei riss sie einem Panther ein kurz zuvor verschlucktes Fleischstück wieder aus dem Rachen. Still wurde es in der Manege, wenn sie ihren Kopf in das Maul einer Löwin steckte. Im Alter von 28 Jahren gründete sie ihren eigenen Zirkus, mit dem sie durch Russland und Asien tourte. Über ihr weiteres Schicksal ist wenig bekannt.
Print-Artikel erschienen am 13. September 2012
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7