Die hier abgebildete Katzenmumie aus dem Objektbestand des Grazer Volkskundemuseums, die bei Reparaturarbeiten in einem Gerüstloch aus der Entstehungszeit des steirischen Schlosses Laubegg zum Vorschein kam, wurde von Wissenschaftern als "Bauopfer" klassifiziert. Der Körperhaltung nach zu schließen, scheint das im 14. Jahrhundert in seine missliche Lage gebrachte Tier völlig dehydriert im Sitzen verendet zu sein. In anderen Fällen wurden Bauopfer getötet, ehe man sie einmauerte.
Mit dem Sühneopfer der eingemauerten Katze sollte das neu errichtete Gebäude vor Dämonen geschützt werden. Gewissermaßen wollte man den Genius Loci besänftigen und jegliches Unheil vom Schloss abwenden.
Die aus archaischer Zeit stammende heidnische Zauberpraktik wurde im Mittelalter im christlichen Abendland durchaus mit der katholischen Gotteslehre in Einklang gebracht. Später konnte sich auch die lutherische Lehre mit derlei magischen Ritualen anfreunden. In seiner Schrift "Oeconomia ruralis et domestica" legte der protestantische Pastor Johannes Colerus (1566 bis 1639) dar, wie sich Brände verhüten lassen: Man schlachte ein schwarzes Huhn und wickle es gemeinsam mit einem am Gründonnerstag gelegten Hühnerei in ein mit dem Menstrualblut einer Jungfrau beflecktes Hemd. Das Ganze sei mit Wachs zu umgeben, in ein Gefäß zu stecken und unter der Türschwelle zu vergraben.
Das berühmteste Bauopfer
Sowohl das schwarze Huhn als auch die Katze wurden früher mit dem Teufel in Zusammenhang gebracht. Mithilfe der Platzierung solcher Tiere als Bauopfer sollte also das Böse mit seinen eigenen Symbolen gebannt und vom Gebäude abgehalten werden. Zusätze wie das jungfräuliche Menstrualblut sollten die Abwehrkraft verstärken, und mithilfe des gründonnerstäglichen Hühnereis zog man zugleich die himmlische Wirkmacht herbei.
Bauopfer sind indes nicht allein ein abendländisches Phänomen. Ethnografen konnten sie in vielerlei Kulturen nachweisen. In römischer Zeit fungierten vorzugsweise Hunde als Bauopfer, da man glaubte, dass diese die Fähigkeit hätten, Geister zu wittern. Die vielleicht berühmteste mumifizierte Bauopfer-Katze ist jene im marmornen Wandgrab des Hauses von Francesco Petrarca in Arquà Petrarca bei Padua. Der Paduaner Humanist Antonio Querenghi (1546 bis 1633) hat zwei Epigramme auf diese tote Katze verfasst.
Mythologischen Überlieferungen zufolge soll es einst nicht unüblich gewesen sein, sogar Menschen, und zwar vorzugsweise Kinder, zum Zwecke der dauerhaften Stabilisierung von Bauwerken wie Burgen, Stadtmauern und Brücken, einzumauern, wie das auch in Theodor Storms Novelle "Der Schimmelreiter" ganz deutlich anklingt. Verschiedentlich wurde vermutet, dass im Lauf der Zeit an die Stelle der Menschenopfer zunehmend Tieropfer (aber auch Sachopfer wie Münzen, Nägel oder Kräuter) getreten sind.
Die am häufigsten dokumentierten tierischen Bauopfer sind Hund und Katze. Noch im Jahr 1937 haben Bauarbeiter bei der Anlage der Autobahn von München bis zur Salzburger Landesgrenze mit dem Argument "Wos Lebads muaß eini" ein Tier lebendig eingemauert. Und im Jahr 1968 soll dem Bericht des österreichischen Völkerkundlers Heinrich Harrer zufolge in Indien bei der Errichtung eines Dammes ein zwölfjähriger Knabe geopfert worden sein.
Print-Artikel erschienen am 17. Juli 2014
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7