Der Shop des Wiener Stephansdomes darf als eines der ungewöhnlichsten Geschäfte Wiens gelten. Vor etlichen Jahren sollte der Shop nach dem Willen des Raiffeisen-Generalanwalts Christian Konrad in ein noch zu errichtendes unterirdisches Besucherzentrum verlegt werden. Es ist letztlich nicht zur Umsetzung dieses Projekts gekommen, und so durfte der Domshop seinen recht eigentümlichen Charme bewahren.

Als Besucher des kleinen Ladens, der in der Vorhalle des Bischofstors (das heute nicht mehr als Eingang in den Dom benutzt wird) untergebracht ist, wird man einer Reihe uralter Kunstwerke ansichtig. Eines ist das im Tympanon des Tores untergebrachte Relief, darstellend die Entschlafung Mariens.

Die wundersame Reise der Apostel

Im Zentrum befindet sich Maria, vor deren Totenbett drei Sterbekerzen platziert sind. Am Kopf- und Fußende des Bettes hocken der alten Tradition gemäß die Klageweiber. Zur Entschlafung Mariens sind auf wundersame Weise auf einer Wolke die zwölf Apostel herbeigeeilt. Freilich ist Judas nicht unter ihnen, er wurde ja laut Apostelgeschichte durch Matthias ersetzt. Die Apostel begleiten mit liturgischen Gesten den Tod: Einer bietet kniend das Rauchfass dar, ein anderer hält den Weihwasserkessel in Händen, wieder andere sind mit Sterbekerzen dargestellt. Etliche Apostel sind mit Gebetbüchern versehen; manche von ihnen wirken wie schlafend, indes drücken sie auf diese Weise ihre Trauer aus. Auch Jesus steht seiner Mutter in der Stunde ihres Todes bei. Nach ihrem Hinscheiden nimmt er in Form eines Kindes ihre Seele in Empfang.

In den ersten vier nachchristlichen Jahrhunderten gab es über den Tod Mariens keinerlei Zeugnisse. Erst danach setzte eine legendenhafte Überlieferung ein. Nachdem sich bereits im frühen Mittelalter Bildtraditionen zum Marientod herausgebildet hatten, erlebte das Sujet in der Kunst des Hoch- und Spätmittelalters eine Hochblüte, wobei regional allerlei unterschiedliche Varianten entstanden. Im Wiener Stephansdom gibt es eine weitere Marientod-Darstellung am gotischen Wiener Neustädter Altar.

Ab der Zeit der Gegenreformation verlor das Thema zugunsten der Himmelfahrt Mariens zusehends an Bedeutung. Zu einer gewissen Renaissance hat dem Marientod-Sujet jüngst die Österreichische Post verholfen, als sie unter der Jahreszahl 2014 eine Sonderpostmarke mit der Entschlafung Mariens herausbrachte: Allerdings ist darauf nicht eine Wiener, sondern eine Kärntner Marientod-Darstellung abgebildet.

Print-Artikel erschienen am 8. Jänner 2015
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7