Kaffeehauskultur und Kaffeekultur müssen nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben – das stellt man schnell fest, wenn man Wien auf seine Kaffee-Tugenden abklopft. Gerade hier, wo man auf Melange, Einspänner, kleinen Braunen und Co. stolz ist, bekommt man vielerorts nicht viel mehr als das berühmte Gschloda kredenzt. Und zwar nicht (nur) in versifften Espresso-Bars oder bei Backstuben-Filialisten – sondern eben auch in großen Kaffeehausinstitutionen.

Mit Fettaugen versehene Cappuccini, Espressi mit zartem Brandgeruch, 4 Euro teure und weitgehend geschmacksbefreite Filterkaffees: Als Liebhaber der gerösteten Bohne ist man von den Wiener Kaffeehäusern einiges gewohnt. Während der Kaffeegenuss in den eigenen vier Wänden stetig neue Maßstäbe erreicht und halbprofessionelle Gastro-Maschinen sich ihren Platz in Privatküchen erobern, bleibt der anspruchsvolle Kaffeekonsum in den gestandenen Kaffeeinstitutionen vielfach auf der Strecke. Zwar ist, neben dem unerreichbaren Kaffeehaus-Charme, hinter der Theke größtenteils für Profi-Arbeitsgeräte gesorgt, doch das alleine reicht leider eben nicht, um auch geschmacklich zu überzeugen - besonders, wenn die Mitarbeiter nicht geschult und ausreichend instruiert sind.

Was einen gelernten Wiener sofort zum ausgedehnten Sudern veranlassen müsste, ist im Grunde aber eigentlich auch wieder nicht so schlimm. Denn die wachsende Zielgruppe der anspruchsvollen Kaffeeliebhaber, die den großen Kaffeehäusern offenbar wenig am Herzen liegt, lässt  zunehmend hoffnungsvolle Klein-Cafés aus dem Boden sprießen, die mit Leidenschaft, Kreativität – und nicht zuletzt der Expertise ausgebildeter Baristi ans Werk gehen. Das wiederum belebt die Kaffeelandschaft der Bundeshauptstadt enorm. Und könnte ja eines Tages vielleicht doch auch den großen Häusern Geschmack darauf machen, Melange & Co. geschmacklich wiederzubeleben. Denn gegenseitig ausschließen müssen sich Kaffeehauskultur und Kaffekultur ja schließlich auch nicht.