Ein schwerbewaffneter Täter hat versucht, in einer Synagoge in der ostdeutschen Stadt Halle an der Saale ein Blutbad unter rund 80 Menschen anzurichten. Die jüdische Gemeinde entging an ihrem höchsten Feiertag Yom Kippur nur knapp einer Katastrophe. Deutschlands Innenminister Horst Seehofer sah "Anhaltspunkte" für ein "rechtsextremistisches" Motiv.

Der mutmaßliche Rechtsextremist Stephan B. aus dem ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt wollte nach Angaben aus Sicherheitskreisen am Mittwochmittag die Synagoge mit Waffengewalt stürmen, scheiterte jedoch. Danach soll der 27-jährige Deutsche vor der Synagoge und in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen und mindestens zwei weitere verletzt haben. Er floh vom Tatort und wurde am Nachmittag festgenommen. Er stellte ein Video der Tat ins Internet.

"Es gibt es ausreichende Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund", erklärte Seehofer am Mittwochabend. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen im Verlauf des Abends deutete alles auf einen Einzeltäter hin.

Höchster jüdischer Feiertag

"Der höchste jüdische Feiertag Yom Kippur ist heute ein schwarzer Tag. Ein schwer bewaffneter Täter hat versucht, in eine Synagoge einzudringen, in der sich rund 80 Menschen aufhielten", sagte Seehofer. Filmaufnahmen von der Tat zeigen einen Mann in einem Kampfanzug und mit Schutzhelm, der hinter einem Auto stehend mehrere Schüsse abfeuert. Anschließend flüchtet er in dem Wagen. Laut Max Privorotzki, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Halle, hatte der Täter versucht, das Tor der zu diesem Zeitpunkt mit 70 bis 80 Menschen voll besetzten Synagoge aufzuschießen. Die Sicherungsvorkehrungen am zusätzlich von innen verbarrikadierten Eingang hätten allerdings "dem Angriff standgehalten".



Bei der Attacke auf das Döner-Bistro verwendeten die Täter offenbar Explosivstoffe. "Der Angreifer hat plötzlich etwas geworfen, das wie eine Handgranate aussah", berichtete der Augenzeuge Conrad Rösler gegenüber der Nachtrichtenagentur Reuters. Die betroffene Gegend – das Döner-Lokal und die Synagoge liegen etwa 600 Meter voneinander entfernt – wurde von der Polizei großräumig abgesperrt. Die Stadtverwaltung rief die Menschen überall in Halle dazu auf, in den Gebäuden zu bleiben. Auch der Bahnhof der Stadt wurde wegen polizeilicher Ermittlungen gesperrt.

"Es trifft uns ins Herz"

Einem Medienbericht zufolge sollen auch im 15 Kilometer östlich von Halle gelegenen Landsberg Schüsse gefallen sein. Die Bevölkerung wurde auch hier aufgefordert, Gebäude und Wohnungen nicht zu verlassen. Im nahe gelegenen Leipzig verstärkte die Polizei ihre Kräfte vor der Synagoge. Auch vor der Synagoge in Dresden wurde nach Angaben der Polizei der Schutz erhöht. In anderen deutschen Städten wurde der Schutz ebenfalls entsprechend verstärkt, ebenso wie in Wien. Zwar sei der Objektschutz aufgrund des jüdischen Feiertages Yom Kippur ohnehin stärker, aufgrund der unsicheren Lage in Deutschland seien nun aber auch Beamte der Sondereinheit Wega hinzugezogen worden, hieß seitens der Polizei in Wien. Man betonte aber, dass es keine konkrete Gefährdungslage gebe.

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nach dem Angriff von Halle zu Solidarität mit den jüdischen Menschen in Deutschland aufgerufen. In Halle sei passiert, was in Deutschland unvorstellbar schien, sagte Steinmeier bei einem Lichtfest in Leipzig anlässlich des 30. Jahrestags der friedlichen Revolution.

"In einem Land mit dieser Geschichte"

"In einem Land mit dieser Geschichte". "Das war mir unvorstellbar", fügte Steinmeier hinzu. "Lassen Sie uns Solidarität zeigen mit den jüdischen Menschen in diesem Land", sagte er unter Beifall von mehreren tausend Menschen. Die Botschaft von 1989, die damals lautete "Wir stehen zusammen gegen Gewalt", sei immer noch aktuell. Die Teilnehmer des Lichtfestes hatten zuvor eine Schweigeminute eingelegt, um den Opfern von Halle zu gedenken.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte am Abend: "Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock." Zugleich erhob er schwere Vorwürfe gegen die Polizei. "Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Yom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös." Er fügte hinzu: "Wie durch ein Wunder ist nicht noch mehr Unheil geschehen."

Deutschlands Außenminister Heiko Maas zeigte sich angesichts der Tat tief erschüttert. Dass am Versöhnungsfest "auf eine Synagoge geschossen wird, trifft uns ins Herz", schrieb Maas am Mittwoch über den Kurzbotschaftendienst Twitter. "Wir alle müssen gegen den Antisemitismus in unserem Land vorgehen", betonte er. 

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen

Aus dem Ausland kamen ebenfalls bestürzte Reaktionen. Das Europaparlament legte eine Schweigeminute für die Opfer ein. In Gedanken sei man bei Deutschland, der deutschen Polizei und bei der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sagte Parlamentspräsident David Sassoli.

Auch UN-Generalsekretär António Guterres bewerte den Vorfall als "eine weitere tragische Demonstration von Antisemitismus", teilte ein UN-Sprecher in New York mit. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel twitterte: "Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien. Ich hoffe, die Polizei fasst den oder die Täter schnell, ohne dass weitere Menschen zu Schaden kommen."

In Österreich zeigte sich die Staatsspitze "tief betroffen". Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka stellten ebenso wie ÖVP-Chef Sebastian Kurz klar, dass es keinen Platz für Antisemitismus geben dürfe und jüdisches Leben geschützt werden müsse.