In der Hagia Sophia in Istanbul ist am Freitag unter großem Andrang das erste Gebet seit der Rückumwandlung der ursprünglichen Kirche von einem Museum in eine Moschee abgehalten worden. Tausende muslimische Gläubige nahmen an der Zeremonie im Beisein des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und zahlreicher Minister teil, die eigens aus Ankara angereist waren.
Vor dem historischen Kuppelbau hatten sich bereits in den Morgenstunden tausende Gläubige versammelt, hunderte von ihnen bereits die Nacht vor der Moschee verbracht. Die Moschee selbst durften wegen der Corona-Pandemie nicht mehr als tausend Gläubige betreten. Die ersten wurden ab 10.00 Uhr türkischer Zeit in das historische Bauwerk gelassen.
"Das ist ein historischer Moment. Möge Allah Erdogan segnen. Er tut so schöne Dinge", sagte eine der Gläubigen, Aynur Saatci. Bewegt zeigte sich auch Selahattin Aydas. "Das ist der Moment, in dem die Türkei ihre Ketten bricht. Sie wird nun in der Lage sein, das zu tun, was sie will - ohne dem Westen unterworfen zu sein", sagte er.
Das erstmals seit 86 Jahren stattfindende Freitagsgebet als Höhepunkt der Feierlichkeiten begann zur Mittagszeit mit Gebetsrufen von den Minaretten der Hagia Sophia.
Erdogan saß bereits vor Beginn des eigentlichen Gebets in der Hagia Sophia und hörte der Predigt des Imams zu, wie Aufnahmen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zeigten. Der islamisch-konservative Präsident trug wegen der Corona-Pandemie zwischenzeitlich eine Atemschutzmaske und befand sich in Begleitung einiger hoher Beamter. Vor dem Gebet las der Präsident, der zum Anlass eine islamische Kopfbedeckung trug, eine Sure aus dem Koran vor, wie der staatliche Nachrichtensender TRT berichtete.
Der Staatschef hatte die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee am 10. Juli angeordnet, nachdem das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei zuvor den seit 1934 geltenden Museumsstatus des Gebäudes aufgehoben hatte. Die Umwandlung stieß international auf scharfe Kritik.
Orthodoxe trauern
Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sagte mit Blick auf Erdogan: "Das, was sich heute abspielt, ist kein Zeichen der Stärke, sondern ein Beweis der Schwäche."
Vom Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Griechenland kam scharfe Kritik. "Heute ist ein Tag der Trauer für das gesamte Christentum", sagte Erzbischof Hieronymos. Er bezeichnete die Umwandlung als einen "unheiligen Akt der Schändung". In zahlreichen Kirchen Griechenlands sollen die Glocken zur Trauer läuten. In Athen und Thessaloniki kündigten religiöse und nationalistische Gruppen Proteste an.
Am Abend will der Erzbischof von Athen, das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche, Hieronymos II., in der Kathedrale der griechischen Hauptstadt eine Sondermesse abhalten. Auch der Erzbischof der Orthodoxen in den USA, Elpidophoros, ordnete nach Berichten der halbamtlichen griechischen Nachrichtenagentur ANA, dass die Fahnen auf halbmast gesetzt werden und die Kirchenglocken zur Trauer läuten sollen. Die Regierung in Athen hat wiederholt die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee als einen "historischen Fehler", bezeichnet.
Fast ein Jahrtausend lang war die Hagia Sophia das größte Gotteshaus der Christenheit. Sie war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches. Ab dem 7. Jahrhundert wurden dort die Kaiser gekrönt. Wie der Petersdom für die Katholiken, ist die Hagia Sophia für alle orthodoxen Christen auf der Welt ein wichtiges Symbol.
Internationale Kritik
Kritik hatte es zuvor auch aus anderen Ländern gegeben. EU-Staaten bedauerten die Entscheidung der türkischen Regierung. Diese sei "ein weiterer Schritt der Türkei weg von Europa, den wir zutiefst bedauern und nicht nachvollziehen können", hatte etwa Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) kommentiert. Die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) sah am Freitag in einer Aussendung einen "Missbrauch (...) der Religion" durch die Politik. Als "Unterstützer der modernen Türkei" sei man gegen die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee.
US-Außenminister Mike Pompeo hatte von einer "Verpflichtung" Ankaras "zum Respekt gegenüber den Glaubenstraditionen und der diversen Geschichte" der türkischen Republik gesprochen. US-Präsident Donald Trump empfing laut Kathpress das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Erzdiözese in den USA, Elpidophoros (Lambriniadis), im Weißen Haus und informierte sich aus erster Hand über die Bedenken der orthodoxen Kirche hinsichtlich der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Er soll dabei seinen Unmut geäußert haben.
Die UNO-Kulturorganisation UNESCO hatte scharf protestiert und darauf verwiesen, dass der Kuppelbau als Teil der Istanbuler Altstadt zum Weltkulturerbe gehöre und damit "eine Reihe von Zusagen und rechtlichen Verpflichtungen verbunden" seien. Ein Staat dürfe "keine Veränderung an dem herausragenden universellen Wert" eines Welterbe-Monuments vornehmen.
Auch in der Türkei gab es Kritik. Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk erklärte, die Umwidmung widerspreche den Absichten von Republikgründer Mustafa Kemal "Atatürk". Sein Ziel sei eine säkulare und zugleich muslimisch geprägte Türkei als Teil der großen europäischen Kultur und Zivilisation gewesen, erklärte Pamuk im Interview der Deutschen Welle.
Der muslimische Intellektuelle und islamistische Oppositionspolitiker Cihangir Islam warf der türkischen Regierung Heuchelei vor. "Das wird kein Gebet, das wird eine politische Demonstration", sagte er der deutschen Zeitung "Die Welt".
Beobachter gehen davon aus, dass Erdogan die Umwandlung der Hagia Sophia vorangetrieben hat, um seine religiöse Wählerschaft inmitten von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschärft wurden, zu mobilisieren. (apa, afp, dpa, reuters)