Es soll nicht so weitergehen wie 2019 oder 2018. 2020 war so schön. Still. Am 10. Juni schickt die Stadt Amsterdam eine Pressemitteilung in die Welt: "Besucher, die unsere Bewohner und unser Erbe respektlos behandeln, sind nicht willkommen. Die Botschaft, die wir für sie haben ist: Kommt nicht nach Amsterdam."

Amsterdam mit rund 860.000 Einwohnern hatte 2018 20,3 Millionen Besucher, 2019 noch etwa zwei Millionen mehr. Viele, sogar die meisten, kommen wegen der Rembrandts im Rijksmuseum, wegen der Sonnenblumen von Van Gogh, wegen des Anne Frank-Hauses oder wegen der Grachten. Viele andere aber sind Problemtouristen. Sie kommen auf Bier-Tour, auf Dope-Tour, betrinken sich, bekiffen sich, ziehen grölend durch die Straßen. Jetzt darf ab zehn am Abend kein Alkohol mehr verkauft werden, wer in der Nacht herumgrölt, im Auto schläft oder einfach irgendwo parkt, in die Grachten uriniert, eine laute Bootsparty macht, Cannabis oder Lachgas bei sich hat, muss Strafe zahlen. "Hosts" werden die Arbeit der Polizei unterstützen.

Die erste Reaktion der Amsterdamer ist verhalten bis empört: "Ich kann ehrlich gesagt nicht recht verstehen, dass die Maßnahmen nicht schon während des Lockdowns ausgearbeitet wurden. Jetzt haben wir wieder das Nachsehen. Heute Morgen waren schon die ersten zwei Touristen unter Drogeneinfluss auf meiner Terrasse", schreibt eine Bewohnerin aus De Wallen, dem Rotlicht-Viertel von Amsterdam auf der Website der Stadtverwaltung. Wer in einem der Häuser dort oder in den umliegenden Straßen wohnt, hat in den letzten Jahren zu oft mit dem Lärm und mit den Körperflüssigkeiten der Problemtouristen zu tun gehabt, um sich über das Ende des Lockdowns zu freuen.

Die Aussendung der Stadt muss ihnen vorkommen wie eine Kapitulation. Es gab in den letzten Jahren zig Ansätze, den Problemtourismus einzudämmen. "City in Balance" wollte den Bedürfnissen der Anwohner Priorität geben; "Enjoy & Respect" nutzte das Targeting von Facebook und Instagram, um potenzielle Problemtouristen auf die hohen Strafen für unerwünschtes Verhalten aufmerksam zu machen und proaktiv auszubremsen. "I live here", eine Plakatkampagne, appellierte an ihr Mitgefühl. Nun soll "Anpaak Binnenstad" mittels Strafen und Raumordnung den Schlussstrich ziehen. Da man offenbar nicht erwartet, dass die Touristen sich ändern, muss die Stadt sich ändern. In einem ersten Schritt soll die Prostitution aus De Wallen raus und in Erotik-Zentren abwandern, an den Stadtrand.

Ist die Stimmung endgültig gekippt?

"Wir haben eine Chance verpasst", sagt Andreas Kagermeier. Kagermeier ist Tourismusforscher, er lehrt an der Universität Trier. Als sich 2017 ausgehend von Barcelona der Widerstand der Stadtbewohner auf Dubrovnik, auf Venedig und auch auf Amsterdam übertrug und die Medien schließlich das Wort "Overtourism" erfanden, waren Tourismuswirtschaft und -wissenschaft gleichermaßen überrascht. "Wir hatten keine Frühwarnsysteme etabliert", sagt Kagermeier. "Wir sind erst aufgewacht, als die Bevölkerung auf einmal auf die Barrikaden ging." Das Problem aus seiner Sicht: "Wenn die Stimmung einmal gekippt ist, ist es kaum noch möglich, zu reparieren. Man kann sich mit Limitierungen behelfen, wie Hallstatt das versucht, oder mit Eintrittsgebühren wie Dubrovnik. Letztlich muss man aber harte Grenzen ziehen."

Die harte Grenze von Dubrovnik ist aktuell knapp 40 Euro stark. So viel kostet es, die Stadt innerhalb der Stadtmauern zu sehen.

Amsterdam, Barcelona oder Venedig, Salzburg, Hallstatt oder auch Dubrovnik haben etwas gemeinsam, das sie für das Phänomen Overtourism zu prädestinieren scheint: Touristen und Einheimische können sich kaum aus dem Weg gehen. Die Touristen treten in Massen auf, strömen zu den immer gleichen Sehenswürdigkeiten, bleiben in der Regel für einen kurzen Städtetrip oder auch nur für einen Tagesausflug. Es ist relativ leicht, die Überfüllung als Überlastung zu erkennen.

Diese Form des Massentourismus entstand langsam mit den immer größer werdenden Kreuzfahrtschiffen, mit der neuen Vorliebe für Kurzurlaube und mit Stadtverwaltungen und einer Branche, die beide vor allem eines wollten: Wachstum.

In Barcelona steigen die Übernachtungszahlen seit 1995 jährlich um jeweils zehn Prozent. Was moderat und stetig klingt, ist es nicht: Von 2010 auf 2019 haben sich die Touristenzahlen von sieben Millionen auf 20,3 Millionen mehr als verdoppelt. Für Palma de Mallorca kam der Boom nach der Finanzkrise mit den Kreuzfahrtschiffen. Statt rund 550.000 Touristen wie 2009 gehen heute 1,2 Millionen in der Inselhauptstadt von Bord. Die Riesenschiffe entlassen in Barcelona, Palma de Mallorca oder Venedig täglich zwischen 15 und 20.000 Passagiere in die engen Gassen und belasten die Luft mit weit mehr Schwefeldioxid als der Autoverkehr.

Ende Mai, mit dem Ende des Lockdowns in Spanien, organisierte die Plattform "No+ Megacreuers" für Palma de Mallorca eine Abstimmung: Soll die Stadtverwaltung die Riesenschiffe verbieten? 66 Prozent stimmten mit Ja. Am 17. Juni legte das erste Kreuzfahrtschiff seit 15 Monaten am Hafen an. Bis Ende August sollen es zwanzig werden.

In Venedig fuhr die MS Orchestra schon Anfang Juni mitten durch die Lagune. Von einer Verbannung der Kreuzfahrtschiffe aus Venedig könne keine Rede sein, schreibt die Schriftstellerin Petra Reski in ihrem Venedig-Blog. Die touristische Vernutzung Venedigs, die spätestens um 2000 begonnen habe, werde allen gegenteiligen Bekundungen der Stadtverwaltung zum Trotz vor wie nach Corona fortgesetzt. Venedig hat rund 33 Millionen Touristen im Jahr, der Hafen ist privatisiert. Auch die geplante neue Anlagestelle für Kreuzfahrtschiffe wird von Investoren wie dem Stahlkonzern Duferco finanziert und an dem Strukturproblem nichts ändern. Für "Venice Cruise" soll der Lagunenboden ausgebaggert werden.

Dass Einheimische diesen Ausverkauf nicht wollen, bremst die Entwicklung nicht. "Man hat auch die Corona-Phase nicht genutzt, um genauer bei der Bevölkerung hinzuhören", sagt Kagermeier in Bezug auf alle Städte. Während der Zwangspause habe man eben trotz der zum Teil massiven Proteste grosso modo nicht auf partizipative Ansätze gesetzt. Das Ergebnis: "Es gibt keinerlei Anzeichen, dass der Tourismus nach Corona anders aussieht als zuvor."

Overtourism als Symptom

Dabei hätte man etwas tun können: Zwar fruchten in der Regel Ansätze wie "Entzerrung", wo man etwa versucht, Touristen auf andere Ziele aufmerksam zu machen oder sie übers Jahr gleichmäßiger zu verteilen, in der Regel nicht: Touristen, die die Sagrada Familia sehen wollen, wollen die Sagrada Familia sehen. Wer eine Kreuzfahrt machen will, will eine Kreuzfahrt machen. Wer Party will, will Party und wird entsprechend auf den Ballermann nach Mallorca fahren. Die finanziell durch die Krise stark belasteten Städte hoffen, dass der Tourismus bald wieder anzieht. Nach Amsterdam kamen 2020 nur acht Millionen Besucher. 11 Prozent der Amsterdamer Jobs hängen vom Tourismus ab. Entsprechend bezeichnet die Gemeinde Amsterdam ein Szenario, wonach es 2021 noch weniger sein könnten, nämlich sieben Millionen, als "worst case".

Insofern überrascht es nicht, dass wenig unternommen wurde, um "hinzuhören".Um gegen wirklich gegen Overtourism etwas zu tun, müssten strukturelle Probleme gelöst werden: "Wenn es einer Stadtgesellschaft gut geht, kann es auch sein, dass große Touristenmassen nicht stören", sagt Kagermeier. Wo sich der Zorn gegen die Touristen richtet, ist das ein Indiz dafür, dass eine Stadtbevölkerung unter Druck steht: Ein angespannter Wohnungsmarkt etwa, hohe Arbeitslosigkeit, Belastungen durch Lärm oder Umweltverschmutzung. Viele Touristen wirken wie Salz in Wunden, die schon bestehen.

In Barcelona begannen die Touristen schmerzhaft aufzufallen, als Airbnb auf einen durch die Finanzkrise gebeutelten Wohnungs- und Arbeitsmarkt traf. Eine Studie der Universitat Autònoma de Barcelona kommt 2019 zu dem Schluss, dass sieben Prozent der Mietpreissteigerungen auf Airbnb zurückgehen. Bei ohnedies hohen Mietpreisen, einer hohen Arbeitslosigkeit und stagnierenden Reallöhnen wird dieser Effekt dann zu einem Problem.

Sind Visitors besser als Touristen?

Overtourism, das betont Kagermeier, ist kein klar definiertes Konzept. Es beschreibt eher eine Stimmung, die sich nur lose mit konkreten Ursachen verbinden lässt. Dass die Stimmung kippt, will keine Stadt. Städte wie Wien, Kopenhagen und sogar Barcelona erheben durchaus, wie es ihrer Bevölkerung mit den Touristen so geht. Für Kopenhagen sei es schon ein Warnzeichen, wenn die Zustimmung zum Tourismus unter achtzig Prozent sinkt, berichtet Kagermeier. In Barcelona liegt die Zustimmung derzeit bei siebzig Prozent. Wie hoch die Zustimmung ist, ist letztlich auch davon abhängig, wieviele Bewohnerinnen vom Tourismus profitieren.

Vor Corona hatte Wien gerade eine neue Strategie für den Wien-Tourismus entwickelt. Ohne große Not, wie man annehmen könnte, denn laut Umfrage von "Wien Tourismus", der städtischen Agentur, die für das Tourismusmanagement zuständig ist, stehen neun von zehn Wienern voll und ganz hinter dem Tourismus.

Dass Wien nie von Overtourism betroffen war, führt Norbert Kettner, Direktor von Wien Tourismus, auch auf die großzügige Anlage der Stadt zurück. Es ist genug Platz für alle da. "Wir sehen uns nicht ausschließlich als Marketing-Agentur für die Destination Wien", sagt er. "Wir haben auch eine Kuratorenrolle, fungieren als Impulsgeber für die Stadtentwicklung und versuchen, die Interessen von Bewohnern und Besuchern in Einklang zu bringen."

Die "Visitor Economy Strategie", die 2019 mit der Stadt Wien, der Tourismuswirtschaft, Stadt- und Immobilienentwicklern, Bezirksvertretern Handel, Mobilitätsanbietern, Universitäten und einem internationalen Beirat entwickelt wurde, hat eine eigene Art der Broken-Window-Theorie, wie einst New York Anfang der 1980er Jahre: Tauchen zu viele Souvenirläden auf, wird begrenzt, so etwa der Straßenverkauf von Konzert-Tickets: "Alles was zu einer ‚Verramschung‘ des öffentlichen Raums beiträgt – kitschige Elektrokutschen oder überbordender Straßenverkauf – ist als Warnzeichen zu sehen. Als Hausbesitzer sollte man sich auch die Frage stellen: Tut es dem Mix der Geschäftsstraße gut, wenn ich mir den x-ten Souvenirshop reinhole?", meint Kettner.

Wien Tourismus selbst ist keine Behörde, kann daher nur appellieren oder – via Stadtverwaltung – bestimmte Maßnahmen anregen.

Auch Wien hat ein, coronabedingt suspendiertes, Airbnb-Problem, ähnlich wie in Barcelona. Eine Studie der TU Wien zeigte 2017, dass dem Wiener Wohnungsmarkt etwa 2.000 Wohnungen durch die touristische Vermietung entzogen wurden. Ein Problem für die Wiener und die Hotels gleichermaßen, das nach wie vor in der Schwebe ist. Denn die New Urban Tourists, die sich für "authentische" Stadterlebnisse interessieren und in Berlin lieber auf der Admiral-Brücke in Kreuzberg abhängen als das Brandenburger Tor zu fotografieren, bleiben nicht in den Tourist Bubbles, wo man ihnen auch gegebenenfalls aus dem Weg gehen kann. Sie kommen direkt zu einem nach Hause.

Jetzt, nach der Pandemie oder vielmehr in der Pandemie-Pause, ist die Lage in Wien ambivalent. Wien Tourismus will weiterhin den "Qualitätstourismus" fördern und die Besucher auch in andere Bezirke locken, bis nach Transdanubien, auf der anderen Seite der Donau. Wer jetzt mit dem Auto nach Wien kommt, soll vermehrt mit dem Zug anreisen.

Der "drastische Dämpfer" der Pandemie bedeutet aber, dass viele Hotelbetriebe keine Reserven mehr haben. "Wir müssen im Nachhall der Krise vor allem wieder Frequenz erzeugen", fasst Kettner zusammen. Er rechnet jedoch auch damit, dass sich der Tourismus bis 2023 erholen wird. Mehr als zwanzig neue Hotelprojekte sind angemeldet, es gibt Neuzugänge bei Hotelketten der Luxusklasse und auch der Kongresstourismus derrappelt sich vorsichtig.

Für die Stimmung der Stadt, davon ist Kettner überzeugt, wäre es problematischer, wenn es keine Touristen gäbe: "Es würde mir Sorge bereiten, wenn Reisen so limitiert oder Zugangsbeschränkungen unterliegen würde, dass es kein Allgemeingut mehr wäre beziehungsweise nicht mehr allen Schichten der Gesellschaft offenstehen würde. Reisen ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Alexander von Humboldt hat gesagt: Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die jener Leute, die sich die Welt nie angeschaut haben."