Die Bergungsarbeiten schritten voran - und die Zahl der Toten stieg. Bis Freitagnachmittag war klar, dass die durch Starkregen ausgelösten Überschwemmungen im Westen Deutschlands mehr als 100 Menschen das Leben gekostet hatten. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet und die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer äußerten die Sorge, dass sich die Zahl der Opfer weiter erhöhen werde.

Laschet sprach am zweiten Tag nach dem Starkregen, der in der Nacht zum Donnerstag kleine Bäche zu reißenden Flüssen verwandelt hatte, von einer Katastrophe historischen Ausmaßes. Allein in seinem Bundesland hätten mindestens 43 Menschen ihr Leben verloren. Innenminister Herbert Reul zufolge sind dort 25 Städte und Landkreise von den Fluten betroffen. Die Zahl der Toten in Rheinland-Pfalz bezifferte Dreyer zu Mittag auf mehr als 60. Nach dem Ablaufen des Wassers aus Kellern oder dem Leerpumpen würden immer wieder Tote gefunden, berichtete Landesinnenminister Roger Lewentz.

Noch dazu galten hunderte Menschen als vermisst. Allerdings erschwerten gestörte Telefonverbindungen einen genauen Überblick über die Lage.

Tiefdruckgebiet und Luftstau

Ebenfalls im Gange war die Suche nach Schuldigen für die Katastrophe, wenn auch einer davon nicht zur Verantwortung gezogen werden kann: das Wetter. Extremer Regen, extreme Hitze als anderer Pol: Solche Phänomene sind nichts nie Dagewesenes, und sie werden sich wohl noch häufen. Ungewöhnlich ist aber, dass die - sich ansonsten meist schnell ändernde - Wetterlage derart stabil ist. Das Tiefdruckgebiet hat sich schon Anfang Juli über Deutschland geschoben. Umgekehrt hing Ende Juni tagelang Hitze wie eine Glocke über Nordamerika, was ebenfalls zu zahlreichen Todesfällen beitrug.

Eine der Ursachen für diese Stabilität führen Meteorologen auf einen schwächeren Jetstream zurück. Diese sich dynamisch verlagerenden Starkwindbänder schieben das Wettersystem meist rasch weiter. Dass sich dies ändert, könnte nicht zuletzt mit der Erderwärmung zusammenhängen.

Die Folge des Temperaturanstiegs ist eine wärmere Atmosphäre, die mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann, was wiederum stärkere Niederschläge bringen kann. Hinzu kommen die länger haltenden Wetterlagen. "Der Temperaturgradient zwischen Äquator und Arktis, der Motor für den Jetstream und unseren Westwind, hat durch das Schmelzen des Eises abgenommen", zitiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. "Dadurch kommt der Motor ins Stottern, und es können sich Wetterlagen etablieren, die nicht so schnell weiterwandern."

So bleibt das Tiefdruckgebiet über Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfallen hängen und bildet sich über der westkanadischen Stadt Vancouver ein Luftstau, mit einem Effekt wie in einem Dampfkochtopf.

Zwar lassen sich einzelne Wetterphänomene nur schwer ausschließlich mit dem Klimawandel erklären. Dass die Erderwärmung aber zumindest zur Häufung der Extreme beiträgt und diese verstärkt - darin sind sich etliche Meteorologen und Forscher einig. Zum Wandel des Klimas kommt noch jener der Landschaft hinzu: Auch die Begradigung von Flüssen und die Versiegelung von Flächen machen die Folgen der Wetterextreme so verheerend.

Der Klimawandel ist aber nicht nur Gegenstand der Forschung, sondern auch schon längst zum Politikum geworden. Erst diese Woche präsentierte die EU-Kommission einen umfassenden Plan, mit dem die europäischen Klimaschutzziele erreicht werden sollen. Am Freitag betonte Präsidentin Ursula von der Leyen erneut den dringenden Handlungsbedarf - mit einem Hinweis auf die Überschwemmungen in Westeuropa.

Bilder für den Wahlkampf?

In Deutschland selbst, wo die Kampagnen vor der Bundestagswahl im Herbst anlaufen, wird das Thema ebenfalls eine große Rolle spielen. Und mancher Politiker könnte außerdem versucht sein, die Debatten und die Bilder rund um die Unwetter für sich zu nutzen - auch wenn zunächst Zurückhaltung geboten war.

So reiste Laschet, der nicht nur Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens sondern auch Kanzlerkandidat der Christdemokraten ist, in eine besonders betroffene Kleinstadt ohne Journalisten. Später versprach er vor Medienvertretern schnelle Hilfe für die Menschen und berichtete von Gesprächen mit dem Bund über Unterstützung.

Vor parteipolitischer Instrumentalisierung der Flutkatastrophe warnte Gesundheitsminister Jens Spahn. "Der Wahlkampf mag jetzt den einen oder anderen verführen, aber das wird doch der Not der Menschen nicht gerecht", sagte er den Sendern RTL und ntv.

Dennoch gab es schon Spekulationen, wie sehr die Katastrophe sich auf die Bundestagswahl auswirken könnte. Die Einschätzung von Wahlforschern: kaum. "Meine Hypothese ist, dass der Einfluss minimal ist", sagte Manfred Güllner vom Meinungsforschungs-Institut Forsa der Nachrichtenagentur Reuters. Offen sei, ob die meisten Menschen die Katastrophe wirklich direkt auf die Erd-erwärmung zurückführten. Grundsätzlich könne das Thema unter Umständen den Grünen helfen.

Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen ergänzte, dass sich Ministerpräsident Laschet womöglich etwas besser in Szene setzen könne. Ob von solchen Bildern jetzt ein nachhaltiger Eindruck bleibe, lasse sich aber bezweifeln. (czar)