Genau 120 Jahre ist der Mann jetzt schon tot, aber sein Erbe lebt weiter: in den Köpfen, in den Geldbörsen und buchstäblich in Stein gemeißelt. Wenn es je einen überzeugten Imperialisten gab, der den seiner Meinung nach unterentwickelten Regionen der Welt westliche Ideen von dem aufzudrängen trachtete, wie eine Gesellschaft zu funktionieren und was sie unter "zivilisatorischem" Fortschritt zu verstehen hat, dann war es Cecil John Rhodes.

Der 1853 in einer südenglischen Marktstadt geborene Sohn eines anglikanischen Vikars gilt bis heute als Personifizierung des Kolonialismus angelsächsischer Prägung. Nämlicher erreichte in der Ära von Königin Viktoria (1837 bis 1901) seinen Höhepunkt, und Rhodes trug dazu mehr als sein Scherflein bei. Als Mitgründer des Diamantenkonzerns De Beers legte er den Grundstein für gewaltigen persönlichen Reichtum, aber Letzterer war ihm bei weitem nicht genug.

Noch steht die Statue von Cecil Rhodes in Oxford. - © getty / C. Ratcliffe
Noch steht die Statue von Cecil Rhodes in Oxford. - © getty / C. Ratcliffe

Als Mittzwanziger hatte Rhodes als Kurzzeit-Student an der Universität Oxford - er hielt es dort nur ein Trimester lang aus - den Philosophen, Sozialreformer und Kunstprofessor John Ruskin (1819 bis 1900) über die "imperiale Pflicht" dozieren hören: Es sei, so Ruskin, Großbritanniens Rolle in der Welt, diese zu kolonialisieren und für heimische Siedler urbar zu machen, auf dass sich die nationale Glorie bald rund um den Erdball erstrecke. Der tief beeindruckte Rhodes kehrte nach Afrika zurück und schritt zur Tat.

Mit Hilfe des Colonial Office, aber vor allem dank eines gänzlich schmerzbefreiten Geschäftssinns überzog er fortan vom Süden aus den Kontinent mit einem System der Unterjochung der Einheimischen und nicht-britischer Siedler. Als er 1902 im Alter von 48 Jahren starb, hatte er maßgeblich zur Erweiterung jenes Empire beigetragen, dem zur Zeit seiner größten Ausdehnung fast ein Viertel der damaligen Menschheit untertan war. Bis sich die Bildhauer seines Antlitzes annahmen, dauerte es entsprechend nicht lange.

Ein Treuhandfonds für die Universität Oxford

Oxford, das es Rhodes trotz seiner kurzen Studentenkarriere besonders angetan hatte, bildete die Speerspitze bei der Verewigung seiner Verdienste. Nicht ganz uneigennützig: Kurz vor seinem Tod hatte der Mann die Universität mit einen gut gefüllten Treuhandfonds bedacht, der fortan die talentiertesten Studenten aus dem Commonwealth, Deutschland und den USA in die Kleinstadt im Südwesten Englands locken sollte.

Zu jenen, die im Laufe der Zeit von Geld aus dem Rhodes Trust profitierten, zählen neben zahlreichen Politikern aus aller Herren Länder unter anderem Ex-US-Präsident Bill Clinton, die Country-Ikone Kris Kristofferson, der heutige US-Transportminister Pete Buttigieg oder der Journalist Ronan Farrow, der mit seinen Enthüllungen über den Filmproduzenten Harvey Weinstein die "Me Too"-Welle lostrat.

Bis heute wohnt dem Erhalt einer Rhodes Scholarship eine enorme Prestigekraft inne, aber der Glanz bekommt aufgrund des Namenspatrons zunehmend Kratzer in einer Zeit, in der die Kulturkämpfe - Stichwort "Wokeness" - in den akademischen Elfenbeintürmen der westlichen Welt mittlerweile mit der gleichen Härte geführt werden wie auf den politischen Bühnen und in den Medien. In Europa kommt der Universität Oxford dabei aufgrund ihrer Ausnahmestellung eine der Hauptrollen zu - eine, die ihre von jeher auf Tradition, Zurückhaltung und Diskretion gepolten Betreiber indes nur extrem widerwillig einnehmen. Entsprechend die im Extremfall so peinlichen wie - im besten Fall - unbefriedigenden, aber halbwegs respektablen Resultate.

Eine uralte Kaderschmiede, die zur Weltspitze zählt

Eine umso erstaunlichere Entwicklung, als man meinen möchte, dass die University of Oxford in ihrer 926-jährigen Geschichte schon alles gesehen hätte: Generationen von heimischen und ausländischen Königinnen und Königen wurden in ihr ebenso ausgebildet wie Revolutionäre, Diktatoren, Demokraten und alles, was in das breite Spektrum zwischen diesen Polen fällt. In puncto Qualität von Lehre und Forschung zählt Oxford, wie alle einschlägigen Rankings jedes Jahr aufs Neue beweisen, trotz harter Konkurrenz aus den USA bis heute zur Weltspitze. Zuletzt machte die Uni Schlagzeilen, nachdem sie gemeinsam mit dem Pharmakonzern AstraZeneca einen der ersten Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelte.

In die Annalen der Popkultur gingen derweil ein paar ihrer altehrwürdigen Hallen als Kulisse für die "Harry Potter"-Filmserie ein, was für einen zusätzlichen Touristenschub sorgte. Nicht, dass es Oxford an Geld mangeln würde. Mit einem Jahresbudget von 8 Milliarden Dollar zählt die Uni zu den reichsten der Welt. Lediglich ein Dutzend US-Elitehochschulen haben noch mehr Geld zur Verfügung. (Zum Vergleich: Das Budget der Harvard University in Massachusetts, der reichsten Privatuniversität der Welt, lag zuletzt bei knapp mehr als 40 Milliarden Dollar.) Angesichts dieser geballten Ladung Geschichte und Geschichten mag es indes überraschen, dass die Institution nicht nur für Außenstehende eine Art Blackbox darstellt, deren Politik, Administration und innere Abläufe sich selten (die Ausnahme) bis gar nicht (die Regel) erschließen.

39 Colleges mit je eigener Verwaltung und Kultur

Der Hauptgrund dafür liegt in den Eigenheiten der Universitäts-Struktur. Oxford funktioniert de facto wie die Regierung der USA: Die Bundesstaaten sind die 39 unter ihrem Dach versammelten Colleges, die alle ihre eigene Verwaltung und Kultur haben. Die University of Oxford nimmt quasi die Rolle der Hauptstadt Washington D.C. ein: Sie ist die Dachorganisation, die alle zusammenhält, indem sie die grundsätzlichen Parameter des akademischen Lebens setzt, an die sich von der Pförtnerin über die Studentenschaft bis zum Nobelpreisträger alle zu halten haben.

Wie sich an dem bisher weitgehend unsouveränen Umgang der Uni mit Phänomenen wie den "Black Lives Matter"- und "Me Too"-Bewegungen sowie an der Art zeigt, wie über reale und gefühlte "Wokeness" diskutiert wird, beginnt freilich genau dort das Problem. Die Debatte um den Umgang mit geistigem und finanziellem Erbe bildet nur ein aktuelles Beispiel in einer mittlerweile beachtlich langen Liste an Konflikten die einmal mehr, einmal weniger offen, aber verlässlich heftig ausgetragen werden - auch wenn der Ton in der Regel, dem lokalen Klima entsprechend, geradezu klischeehaft britisch-unterkühlt bleibt.

Ein Hinweisschild, das keine Seite zufriedenstellt

Das bisher letzte Kapitel in der Kulturkampf-Saga schrieb Ende des vorigen Jahres das Oriel College, das seinem Ex-Studenten Rhodes einst ein Ehrendoktorat zuteilwerden ließ und zeit seines Lebens dankbarer Empfänger seiner Spenden war. Insofern kein Zufall, als der traditionelle Spitzname der Institution, die seit Generationen als Kaderschmiede für konservative Politiker und Geschäftsleute gilt, seit jeher "Toryel" lautet. Weil eines seiner Hauptgebäude im Zentrum Oxfords das steinerne Antlitz des Imperialisten ziert, waren im Sommer 2020 trotz der Covid-Gefahr tausende Demonstranten durch die High Street marschiert, um seine Demontage zu fordern. Die Universität und ihr College reagierten so überrascht wie pikiert.

Um eine Eskalation wie in Bristol zu vermeiden, wo Demonstranten die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston (1636 bis 1721) im Hafen versenkt hatten, entschied sich die College-Führung am Ende für einen Mittelweg, der weder Befürworter noch Gegner zufriedenstellte: Da eine Entfernung der Skulptur nicht in Frage kam - offiziell aus bautechnischen und Denkmalschutz-Gründen -, prangt seit Ende 2021 ein Schild am Eingang des Hauses, das auf Rhodes’ "Ausbeutung der Mineralien, des Landes und der Menschen im Süden Afrikas" verweist: "Manche seiner Aktivitäten führten zum Verlust zahlreicher Leben und standen und stehen bis heute in der Kritik." Auch wenn die Covid-Lockdowns der vergangenen zwei Jahre der Protestbewegung die Luft genommen haben, lässt sich die anhaltende Intensität des Widerstands an der Quantität der Spucke ablesen, die das Schild seit seiner Anbringung erfährt. Die Debatte um den Umgang der Eliteuni mit ihrem kolonialen Erbe bildet indes nur einen Aspekt des Dilemmas ab.

Systematische sexuelle Belästigung

Im Herbst 2021 wurde die Institution von einem Skandal erschüttert, den Journalisten des Nachrichtensenders Al Jazeera ans Tageslicht brachten. Die Vorwürfe: systematische sexuelle Belästigung durch hoch angesehene Professoren wie durch männliche Studenten, die trotz einer Vielzahl von Beschwerden zunächst folgenlos blieb. Die Liste der Verfehlungen, die in diesen Fällen die Colleges Balliol, Pembroke und St. Cross betrafen, ist lang. Sie reichen von Vorlesungen, die unter schwerem Alkoholkonsum in Pubs abgehalten wurden, über anzügliche Bemerkungen über die sexuellen Präferenzen von Studentinnen bis zu angeblichen Insinuationen, dass ihre akademische Karriere gefährdet sei, wenn sie sich nicht gefügig machen beziehungsweise bleiben sollten. (Eine Studentin gab zu Protokoll, sie befinde sich in einer Beziehung mit einem Literaturprofessor, die sie aufgrund des Autoritätsverhältnisses nicht zu beenden wage.)

Die Reaktionen der betroffenen Colleges wie der Universität - deren widersprüchliche Kommunikationspolitik einmal mehr die Defizite der Universitätsstruktur offenlegte - fielen zwiespältig aus. Während man einerseits beteuerte, den Vorwürfen nachzugehen, wartete man mit Sanktionen so lange ab, bis sich die Führungsebene mit jener Art von Protest konfrontiert sah, der sich medial nicht mehr kontrollieren ließ. Die Professoren, die jegliche Schuld von sich weisen, wurden mittlerweile suspendiert.

Millionen von einer asiatischen Oligarchin

Nahezu zeitgleich brach derweil an einem jener Colleges, deren Besuch Master- und Doktoratsstudenten vorbehalten ist, eine neue Front auf: Ende November wurde bekannt, dass die vietnamesische Milliardärin Nguyen Thi Pyoung Thao dem Linacre College eine Spende von 155 Millionen Pfund (knapp über 210 Millionen Dollar) zukommen lassen wird - laut dem "Guardian" die mit Abstand höchste Summe, die ein Oxford-College in den vergangenen 500 Jahren von einem individuellen Gönner bekam. Im Gegenzug wird sich Linacre in Thao College umbenennen. Thao, die heute 51-jährige Gründerin der Fluglinie VietJet und Chefin des Mischkonzerns Sovico, legte den Grundstein ihres Vermögens einst während ihres Studiums an der Universität für chemische Technologie in Moskau, währenddessen sie Faxgeräte und Latexprodukte in die Sowjetunion zu importieren begann.

Umstrittene Spenderin: Nguyen Thi Phuong Thao. - © getty / M. Naamani
Umstrittene Spenderin: Nguyen Thi Phuong Thao. - © getty / M. Naamani

Während sich das offizielle Oxford über die Zuwendung mehr als erfreut zeigte, gingen in den Sozialen Medien die Wogen hoch. Anders als bei der Debatte um die Rhodes-Statue und jener um sexuelle Übergriffe verlaufen die Frontlinien im Fall Thao quer durch die politischen Lager. Während sich die politisch korrekte Fraktion an den leicht bekleideten Flugbegleiterinnen von VietJet stößt (Google-Stichwort: Bikini Vietjet), empören sich die selbsternannten Hüter der Oxford-Traditionen über den Umstand, dass sich eine asiatische Oligarchin, die ihre Karriere hinter dem Eisernen Vorhang startete, einfach so ein College "kaufen" kanne; offen rassistische Untertöne in einschlägigen Chatforen inklusive.

Nicht nur virtuell gehen die Ressentiments hoch

Sieger gibt es in diesen Diskussionen naturgemäß keine. Inwieweit die Ressentiments des "Woke"-Lagers und seiner Widersacher in Oxford hochgehen können, zeigt sich indes längst nicht mehr nur im virtuellen Raum. Der kanadische Psychologe und Autor Jordan Peterson, dessen Bestseller "12 Rules for Life: An Antidote to Chaos" (Random House) als neue Bibel der populistischen Rechten in Nordamerika gilt, ist seit der Veröffentlichung im Jahr 2018 mindestens einmal im Jahr in der Oxford Union, dem renommiertesten Debattierklub der englischsprachigen Welt, zu Gast. Wenn der leidenschaftliche Kämpfer gegen den von ihm und seinesgleichen proklamierten "Genderwahn" und die seiner Meinung nach "alles infiltrierende Geißel der politischen Korrektheit" auftritt, ist ein voller Saal ebenso garantiert wie ein enthusiastisches, für gewöhnlich aus 80 bis 95 Prozent aus männlichen Studenten bestehendes Publikum.

Jordan Peterson, ein Vordenker der populistischen Rechten und öfters zu Gast in Oxford. - © cc-by-SA-2-0 / Gage Skidmore
Jordan Peterson, ein Vordenker der populistischen Rechten und öfters zu Gast in Oxford. - © cc-by-SA-2-0 / Gage Skidmore

Entsprechend häufen sich in den einschlägigen anonymen Oxford-Facebook-Chatgruppen und Telegram-Threads heute nur halb im Spaß gemeinte Forderungen nach der Errichtung einer Statue für Peterson, falls die von Rhodes irgendwann tatsächlich fallen sollte. Was zumindest der Definition einer britischen Lösung entspräche: den Anschein erwecken, dass sich etwas verändert, während am Ende im Grunde eh alles gleich bleibt.