Am Samstag gehen die letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Damit endet ein Zeitalter. Und die Atomkraft hat gesellschaftlich und politisch immer wieder für Debatten gesorgt. Selbst einen Tag vor dem wohl endgültigen Atomausstieg stemmte sich die Union noch mal gegen die Abschaltung der letzten Kraftwerke.  

Die Meiler Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg hätten eigentlich schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise beschloss die Koalition von SPD, Grünen und FDP im vergangenen Jahr jedoch, die drei letzten Kraftwerke über den Winter weiterlaufen zu lassen. Am Samstag sollen sie nun endgültig heruntergefahren werden. Damit endet nach mehr als 60 Jahren die Stromgewinnung aus Atomkraft in Deutschland. Als erstes kommerzielles Kernkraftwerk war der Meiler im unterfränkischen Kahl in Bayern im November 1960 in Betrieb gegangen.

Die FDP monierte ebenfalls gegen die Abschaltung und pochte darauf, dass nukleare Energie nachhaltig und gut für das Klima sei. Nach Ansicht von Umweltministerin Steffi Lemke ist Atomkraft jedoch keine gute Option für die Klimarettung. "Denn sie ist zu teuer, zu langsam, zu gefährlich und wegen des enormen Kühlwasserbedarfs nicht robust gegen die Klimakrise", sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. "Atomkraft ist weder CO2-frei noch ist sie die CO2-ärmste Art der Energieerzeugung. Denn gerade die energieintensive Brennstofferzeugung ist klimaschädlich." Hinzu kämen massive Umweltschäden und soziale Folgen beim Uranabbau.

Gegnerinnen und Gegner der Atomkraft verweisen zudem auf den verbleibenden Atommüll. Und noch gibt es kein Endlager.

Auf Stichtag vorbereitet

Während die Debatte politisch während der vergangenen Tage immer wieder schwelte, haben sich die Betreiber lange im Voraus auf den Stichtag vorbereitet. Am Samstag wird die Leistung der Reaktoren kontinuierlich abgesenkt. Danach wird der Generator vom Stromnetz gekommen und der Reaktor komplett abgeschaltet.

Der Abschaltvorgang funktioniere wie bei den regelmäßigen Überprüfungen, erläuterte der Kraftwerksleiter des bayrischen Meilers Isar 2, Carsten Müller. Nach der Netztrennung werde der Reaktor heruntergefahren, sagte Müller. "Das dauert etwa eine Viertelstunde." Die Abschaltung des letzten Werks wird kurz vor Mitternacht erwartet, welches das letzte sein wird, ist unklar. 

Unverständnis in Frankreich

In Frankreich stößt der deutsche Atomausstieg indes  weitgehend auf Unverständnis. Mit offener Kritik hält man sich auf Regierungsebene in Paris aber zurück. "Ich respektiere die souveränen Entscheidungen jedes einzelnen Staates, jeder kann seinen Energiemix unabhängig wählen", sagte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire kürzlich in einer ARD-Dokumentation.

"Aber im Gegenzug erwarte ich natürlich auch, dass Deutschland die französischen Entscheidungen, insbesondere die Wahl der Atomenergie, nicht kritisiert." Doch hinter den Kulissen fällt die Kritik deutlicher aus, vor allem am Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke und dem damit verbundenen CO2-Ausstoß. "Es versteht sich von selbst, dass die Wiederbelebung der fossilen Energien zum Ausgleich für den Atomausstieg nicht im Sinne des Klimaschutzes ist, für den wir in Europa gemeinsam verantwortlich sind", heißt es in Regierungskreisen in Paris.

Insbesondere die Braunkohle-Kraftwerke werden beim französischen Nachbarn kritisch gesehen. "Sie setzen Schwefelverbindungen frei, die sich auch in anderen europäischen Ländern auswirken", heißt es.

Energieministerin Agnès Pannier-Runacher verweist gerne darauf, dass Frankreich bei den Treibhausgasen derzeit bei weitem besser dasteht als Deutschland. "Heute emittiert Frankreich 46 Gramm CO2 in seinem Strommix, während Deutschland bei 315 Gramm liegt", sagte sie kürzlich der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Schließlich mache Kohle in Frankreich nur weniger als ein Prozent des Strommixes aus.

Vor gut einem Jahr hat Präsident Emmanuel Macron eine kräftige Renaissance der Atomkraft in Frankreich eingeleitet. Die Entscheidung seines Vorgängers, den Anteil des Atomstroms auf 50 Prozent herunterzufahren, wurde gekippt. Und in den kommenden Jahren sollen bis zu 14 neue Reaktoren gebaut werden.

Bis zum Ende seiner Amtszeit 2024 will Macron Beton fließen sehen, und zwar für die ersten neuen Atomreaktoren in Penly am Ärmelkanal. Das Parlament verabschiedete ein Gesetz, um den Bau neuer Reaktoren zu beschleunigen.

Kritiker weisen darauf hin, dass dieses Gesetz bereits beschlossen wurde, bevor es überhaupt eine Grundsatzentscheidung über Frankreichs künftigen Strommix gab. Darüber soll erst im Sommer debattiert werden. Grundsätzlich besteht in Frankreich ein weitgehender Konsens, dass Atomkraft wegen des geringen CO2-Ausstoßes derzeit die beste Lösung in der Energiefrage sei. Selbst bei den Grünen wächst die Zahl derer, die Atomkraft für sinnvoll halten.  (apa, dpa, Ulrike Koltermann - afp)