"Der Leser würde gewiß lachen, wie ich seither oft gethan habe, wollte ich ihm nur die Hälfte der albernen Geschichten wiedererzählen, welche die guten Wiener uns über das Land berichteten, welches zu besuchen wir in Begriff standen. Keine Landstraßen! Keine Wirtshäuser! Keine Polizei! Wir müßten auf der bloßen Erde schlafen, essen, wo wir könnten, und jeden Augenblick gewärtig sein, unsere Börsen und unser Leben zu vertheidigen." Was John Paget von der "Reise nach Presburg" im Jahre 1835 berichtet und der Wieser Verlag in seiner Reihe "Europa erlesen" nachdruckt scheint von dem Bild in vielen österreichischen Köpfen weniger weit entfernt, als das Datum vermuten ließe. Osteuropa hat zwar in den letzten Jahren einiges von seinem Ruf als wilder unbekannter Kontinent abarbeiten können. Doch so manches Klischee macht weiter hartnäckig die Runde, und die Unwissenheit bleibt groß.

Ob Literatur solche Einstellungen zu ändern vermag? Martin Pollack zeigt sich skeptisch. Der Schriftsteller und Übersetzer weiß um die eingeschränkten Möglichkeiten der Kunst. Ein Blick auf Verkaufszahlen ist seine Begründung: "Wenn von dem Buch eines polnischen Autors 10.000 Stück im deutschen Sprachraum verkauft werden, dann ist das schon sehr gut."

Seit Jahren widmet sich Pollack polnischen Autorinnen und Autoren, überträgt deren Werke ins Deutsche, lanciert ebenso Jüngere und weniger Bekannte. Die Rolle des Übersetzers fasst er weit: "Viele beschränken sich auf das Übersetzen, dabei könnten sie Autoren auch promoten. Wir können als literarische scouts arbeiten, selber Verlage auf etwas aufmerksam machen. Ich mache auch umgekehrt polnische Verlage auf deutsche Titel aufmerksam." Ebenso gebe es die Möglichkeit, kürzere Texte zu übersetzen und Zeitungen anzubieten, was Autoren zunächst auf Feuilletonseiten präsent macht. Auf diese Weise ist etwa der Name Andrzej Stasiuk in ein breiteres öffentliches Bewusstsein gerückt. Unabdingbar bei all dem Bemühen ist Geduld und sich Zeit nehmen.

Wie es so genannte Autorenverlage gibt, die sich um ihre Schriftsteller intensiv kümmern, wünscht sich Pollack mehr "Autorenübersetzer", die mehr als nur übertragen: "Man darf nicht aufhören zu denken, wo der Schreibtisch aufhört."

Um die polnische Literatur macht sich Pollack wenig Sorgen, wenn sie auch in Zukunft wohl kaum "Lesebuch-Charakter" erhalten werde. Dazu trügen auch die Nobelpreisträger-Innen der letzten 25 Jahre, Czeslaw Milosz und Wislawa Szymborska, kaum bei. Attraktiv erscheint das Land dennoch, nicht nur wegen seiner Kultur und Traditionen, sondern auch auf Grund der Absatzmöglichkeiten deutsche Verlage können an einem Markt mit über 39 Millionen Menschen nicht vorbeischauen.

"Ich glaube, dass Polen gut bedient ist", sagt Pollack. "Das Interesse für polnische Literatur im deutschen Sprachraum ist da auch wenn in dieser Hinsicht mehr getan werden könnte. Es gibt eine Reihe guter Übersetzer. Ähnliches gilt für Ungarn und Tschechien. Andere Länder haben es schwerer."

Nur Polnisch, Ungarisch und Tschechisch findet sich auch unter den ins Deutsche meistübersetzten Herkunftssprachen an 11., 12. und 13. Stelle. Laut den Berechnungen des deutschen Börsenvereins sind im Jahr 2002 33 polnische und ungarische Übersetzungen sowie 24 tschechische erschienen. Die meistübersetzte Sprache war Englisch, gefolgt von Französisch und Italienisch.

Annemarie Türk vom Verein KulturKontakt Austria bestätigt: Für einige Länder wie Estland, Lettland, Litauen oder die Ukraine lassen sich kaum Übersetzer finden, keinen einzigen literarischen gebe es in Österreich für Übertragungen aus dem Albanischen. Schwierigkeiten bereiten ebenso bulgarische oder rumänische Werke. Doch das Interesse an Kunst aus Osteuropa sei gestiegen was unter anderem an den mittlerweile gut besuchten Veranstaltungen und Buchpräsentationen von KulturKontakt zu sehen ist. "Am Anfang unserer Arbeit, 1990, war es marginal. Die Kontakte haben sich auf slowenische Verlage beschränkt." In den letzten Jahren hätten sich allerdings mehr Verlage osteuropäischer Literatur angenommen und Medien des Themas. Die bevorstehende EU-Erweiterung habe dazu sicher beigetragen. Dennoch bedürfen diese Literaturen weiterhin intensiverer Betreuung als andere. "Die Kulturbeziehungen sind noch lange nicht stabil, in Österreich wissen wir noch lange nicht genug über diese Länder", stellt Türk fest.

Der Buchhandel in Österreich trägt dem gestiegenen Interesse Rechnung. Mittlerweile sind Übersetzungen aus dem Slowenischen an dritte Stelle bei den Übertragungen gerückt. Bei den 317 Übersetzungen betrug der Anteil im Jahr 2002 5,4 Prozent. Englisch dominierte mit einem Anteil von 55,2 Prozent, gefolgt von Französisch.

"Die Konjunktur für Literatur aus dem Osten ist gut", sagt Lojze Wieser. "Doch wenn wir stehen bleiben, ist es in fünf Jahren wieder vergessen. Die Frage ist: Wie lässt sich die öffentliche Wahrnehmung vertiefen?" Wieser weiß, wovon er spricht; seine Erfahrung mit dem Verlegen von Büchern erstreckt sich auf 25 Jahre. Am Anfang seiner Laufbahn, als er einen Buchvertrieb hatte, wollte er ein slowenisches Buch auftreiben. Das sei ihm nicht gelungen. Einige Jahre später gab er "Gemsen auf der Lawine" von Karel Prusnik-Gasper heraus. Es war das erste slowenische Buch, das im österreichischen Fernsehen besprochen wurde. "Bis dahin war das Interesse am Verlegen slowenischer Bücher nicht da", erinnert sich Wieser.

Mittlerweile hat sein in Klagenfurt/Celovec ansässiger Verlag in 18 Jahren rund 600 Bücher verlegt und gut eine halbe Million Bücher verkauft. Allein die Reihe "Europa erlesen" umfasst einige dutzend Ausgaben und versammelt an die 5.000 Beiträge von etwa 2.000 Autorinnen und Autoren. Verbunden war diese Arbeit allerdings mit immensen Investitionstätigkeiten an Druckereien etwa wurden im Laufe von 24 Jahren vier bis fünf Millionen Euro gezahlt und daher auch teils Liquiditätsproblemen.

Doch nicht nur an finanzielle Schwierigkeiten denkt Wieser, wenn er von "viel Grundierungsarbeit" spricht, die notwendig war. So mussten ständig Wege gefunden werden, um "Denk-Engpässe zu überwinden": "Die weißen Flecken wollen wir wieder bunter machen", meint der Verleger. Denn Vorurteile waren vorhanden, "und diesen Vorurteilen ist lange Zeit nichts entgegengesetzt worden".

Nachdem die ersten Bücher "die Tore für den slowenischen Kulturraum geöffnet hatten", folgte nicht nur für Wieser "eine Phase des Entdeckens". Das Interesse an Literatur aus dem ehemaligen Jugoslawien stieg, bis Mitte der 90er-Jahre. Doch mit dem Fortschreiten der Kriegshandlungen "wandten sich die Leute ab". Im Erweiterungsprozess der letzten Jahre ist dem wenig entgegen gehalten worden. "Es wurde verabsäumt, die Kultur zu fördern: Die Differenziertheit, die Vieltönigkeit wird nicht transportiert", meint Wieser.

Auf der anderen Seite werde nach einer Zeit der Nicht-Anerkennung die Anerkennung gesucht, teils durch Überhöhung der Dummheit. So erscheinen dilettantisch gemachte Anthologien, wird in ost- und mitteleuropäischen Ländern auch in der Literatur Chauvinismus laut. Slowenische Partner wollten auch Wieser vereinnahmen, um "ihre Nationaldichter" zu publizieren, erzählt der Verleger.

Dennoch: Osteuropäische Literatur ist aus dem deutschen Sprachraum nicht mehr wegzudenken. Nun gelte es, findet Wieser, das Wissen darob zu vertiefen.

Der Blick über Grenzen hinweg tut nicht nur Österreich, sondern auch anderen Ländern gut. Im besten Fall tritt ein, was für Martin Pollack die Bedeutung der polnischen Literatur ebenfalls ausmacht: Sie erweitert den Horizont nach Osten, zeigt Verbindungen zu künftigen EU-Mitgliedern und -Nachbarn auf. "Ich lerne die Ukraine und Litauen zum Beispiel durch die Augen polnischer Autoren kennen", erläutert Pollack. Die "Brückenfunktion zum Osten", die Österreich so gerne übernommen hätte, könnten nun andere Länder erfüllen.

Der Reisende aus dem 19. Jahrhundert übrigens stellte fest, dass die Warnungen der "guten Wiener" grundlos waren. Nachdem er die tagelangen "langweiligen Verzögerungen der österreichischen Polizei" hinter sich gebracht hatte, machte er sich auf den Weg in die Slowakei, damals Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie. An der Grenze ward ihm der Pass "mit einer höflichen Verbeugung und mit der Versicherung zurückgegeben, daß ich in Ungarn sei und dessen nicht länger bedürfe". Frei von der Passbelästigung, "einem System der Behinderung des rechtlichen Reisenden und der Beschützung des Schelms", lernte er eine herrlich gelegene Krönungsstadt Pressburg und gastfreundliche Menschen kennen. Die zur Verteidigung der Börsen und des Lebens mitgeführten Waffen indes kamen höchstens beim Schießen von Rebhühnern und Hasen zum Einsatz.