Bern. (ag.) Am kommenden Sonntag ist es so weit, dann stimmen die Eidgenossen über die Abschaltung ihrer Atomkraftwerke ab. 45 Jahre sind diese bereits in Betrieb und das Rennen um die "Atomausstiegsinitiative" ist äußerst spannend. Der Ausgang ist völlig ungewiss, Befürworter und Gegner liegen laut den jüngsten Umfragen beinahe gleichauf.
Drei der fünf Schweizer Meiler müssten bei einem Ja bereits 2017 stillgelegt werden. Bis zu 15 Prozent der inländischen Stromproduktion würden dadurch auf einen Schlag wegfallen, werfen die Gegner eines Atomaussteigs ein. Viel mehr Strom müsste also importiert werden, der erst wieder hauptsächlich aus französischen AKW oder deutschen Kohlekraftwerken stammt. Die Regierung, auf der Seite der Gegner, schreibt dazu im Abstimmungsmaterial: "Kohlekraftwerke belasten die Umwelt stark."
Wissenschafter der Universität Köln haben jüngst widerlegt, dass "Dreckstromimporte" die Klimabilanz von Europa und der Schweiz verschlechtern. Sie begründen dies mit dem Kyoto-Protokoll und dem europäischen Emissionshandelssystem (EU-EHS). Das Schweizer Bundesamt für Umwelt bestätigte diesen Sachverhalt gegenüber dem "Tages-Anzeiger".
Forderungen nach Schadensersatz
Zwei Schweizer AKW-Betreiber, Axpo und Alpiq, haben bereits beträchtliche Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe in den Raum gestellt, sollten die Schweizer für den Atomausstieg votieren. Eine freiwillige frühzeitige Abschaltung sei für das Unternehmen wirtschaftlich nicht tragbar, so das Fazit von Alpiq. Laut verschiedenen Quellen hätten sie gute Chancen, mit ihren Forderungen durchzukommen. "Wir haben für eine Laufzeit von 60 Jahren investiert. Wenn die AKW nun aus politischen Gründen nach 45 Jahren abgeschaltet werden, dann fehlen uns Erträge", so Axpo-Chef Andrew Walo. Anders sehen es die Initiatoren der Volksabstimmung. Angesichts des derzeitigen AKW-Verlustgeschäfts liegt für sie gar kein Schaden vor.
Laut der aktuellen Umfrage von gfs.bern schmolz der Vorsprung der Befürworter gegenüber Mitte Oktober von 21 Prozentpunkten auf noch zwei Prozentpunkte zusammen. Trotz dem Trend zum Nein ist der Abstimmungsausgang offen. Claude Longchamp, Leiter von gfs.bern, hält fest: "Es gibt einen ausgesprochen tiefen Graben zwischen linken und rechten Wählern." Hinter der Vorlage stehen die Grünen.
Die Schweiz hat den ältesten Kernkraftpark der Welt. Der erste Meiler, Beznau I, ging 1969 ans Netz, gefolgt von Beznau II und Mühleberg 1972. Gösgen nahm 1979 den Betrieb auf und Leibstadt 1984.
AKW Indian Point
steht vor dem Aus
Unterdessen entledigt man sich in den USA seiner atomaren Altlasten. Das AKW Indian Point in der Nähe von New York, das ähnlich alt wie die Schweizer Anlagen ist, steht vor dem Aus: Ein Berufungsgericht hat entschieden, dass der Betreiber für den Weiterbetrieb eine neue Genehmigung braucht. Dazu muss der Konzern Entergy nun einen Antrag bei der zuständigen Behörde des Bundesstaats einreichen, den diese jedoch ablehnen dürfte. Die New Yorker
Behörden hatten "bereits entschieden", dass ein Weiterbetrieb der Anlage am Hudson-Fluss rund 60 Kilometer nördlich von New York City nicht den geltenden Vorschriften entspreche, erklärte Gouverneur Andrew Cuomo. Indian Point sei "veraltet" und gehöre nicht ans Hudson-Ufer, "in unmittelbarer Nähe von New York". Die Atomanlage stelle nicht nur für den Fluss und seine Küsten "eine Bedrohung" dar, sondern auch für "Millionen von New Yorkern".
Die beiden Druckwasserreaktoren wurden 1974 und 1976 in Betrieb genommen, sie produzieren bisher ein Viertel des Stroms für die Millionenmetropole. Umweltschützer fordern seit Jahren die Schließung der Anlage. Sie warnen vor Erdbebengefahren. Seit der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 setzt sich auch Cuomo für eine Stilllegung der Anlage ein, in der es zuletzt eine Reihe von Störfällen gegeben hatte.
In den USA gibt es 61 Atomkraftwerke mit insgesamt 99 Reaktoren.