Es ist zweifellos ein eindrucksvoller Ausgangspunkt für das bevorstehende Abenteuer: Inmitten einer riesigen Felsenhalle treiben mehrere professionelle Höhlentaucher in dunklen Tauchanzügen auf der Oberfläche eines unterirdischen Thermalsees. Die Wände um sie herum sind mit Gitternetzen vor herabfallenden Gesteinsbrocken geschützt, von der Decke tropft kontinuierlich Kondenswasser und sorgt somit für eine beinahe meditative Geräuschkulisse. Die Taucher warten darauf, in die dunklen Tiefen der Molnár-János-Höhle vorzudringen. Diese erstreckt sich spinnennetzartig in vielen verzweigten Gängen unterhalb der ungarischen Hauptstadt Budapest. Die Wassertemperatur beträgt 28 Grad Celsius und wird sich erst in zehn Metern Tiefe auf 20 Grad abkühlen. Die feuchte Luft an der Oberfläche erinnert an tropische Verhältnisse, das Atmen fällt gelegentlich schwer.

Noch einmal kontrollieren Etelka Ternyik und drei weitere Taucher aus Österreich (darunter auch der Autor) und Ungarn ihre umfassenden Ausrüstungen, die sich von jenen regulärer Sporttaucher massiv unterscheiden. Der um den Hals liegende zwei Meter lange Schlauch des Atemreglers, der im Notfall an den Tauchpartner abgegeben wird, muss frei liegen. Die Ventile der Doppelstahlflaschen am Rücken müssen selbständig erreicht werden, um bei Problemen mit der Luftversorgung rasch reagieren zu können. Jedes Teammitglied hat drei Lampen, zwei Messer, eine Reservetauchmaske, mehrere Leinen und Markierungspfeile, die den korrekten Weg in und vor allem wieder aus der Höhle weisen sollen.

Luft – Leine – Licht

Zusätzlich befestigen die Taucher noch eine weitere Aluminiumflasche mit Atemgas, die sogenannte Stage, an ihrer linken Seite. Die drei L werden bei Höhlentauchern groß geschrieben: Luft – Leine – Licht. Alles muss dreifach vorhanden sein, andernfalls droht bei Komplikationen rasch Lebensgefahr. "Eine hervorragende Ausbildung, viel Übung, körperliche Fitness und der regelmäßige Umgang mit der eigenen Ausrüstung machen einen guten Höhlentaucher aus", ist sich Eta, wie die ungarische Höhlenforscherin von ihren Tauchbuddys genannt wird, sicher.

Seit einigen Jahren führt sie entsprechend ausgebildete Taucher ins Innere der Höhle. Noch einmal halten alle inne und konzentrieren sich auf eine korrekte Atmung und einen ruhigen Herzschlag, bevor sie langsam und beinahe lautlos die Luft aus ihren dunklen Auftriebskörpern am Rücken entlassen, um in das kristallklare Wasser dieses einzigartigen Höhlensystems einzutauchen. Wie überdimensionale Laserschwerter wirken die Lampen der Taucher, wenn sie die scheinbar unendliche Dunkelheit mit ihren Lichtkegeln durchschneiden. Langsam nähern sie sich einer fremden Welt, die nur wenige Menschen je zu Gesicht bekommen.

Die Donau teilt Budapest in zwei Hälften. Das hügelige Buda mit Zitadelle und Burgpalast liegt am Westufer der Stadt, während im flachen Osten das Geschäftsviertel und die hippen Stadtteile von Pest zu finden sind. Das Wasser der Molnár-János-Quelle strömt aus einem schmalen Felsspalt am Fuße des Jozsefberges und speist kontinuierlich den kleinen Teich Malom, was auf Ungarisch Mühle bedeutet. Bereits die Römer bewohnten die Hügel von Buda und wussten schon damals die vielen Thermalquellen intensiv zu nutzen. Darauf lassen auch Fragmente von Gebäuden aus der Römerzeit schließen, die Taucher am Grund des flachen Teichs gefunden haben.

Badekultur und Hamams

Lange nach den Römern kamen im 16. Jahrhundert die Osmanen und besetzten die Donaumetropole für eineinhalb Jahrhunderte. Auch sie forcierten die Badekultur und errichteten zahlreiche Hamams, wobei das warme Heilwasser aus der nahegelegenen Quelle über Rohre in die Badehäuser geschleust wurde. Heute liegt gegenüber dem unscheinbaren Eingang zur Molnár-János-Höhle das Lukács-Bad, im neoklassizistischen Stil 1842 auf den Ruinen eines türkischen Bades errichtet.

Es war auch im 19. Jahrhundert, als ein junger Apotheker namens János Molnár als erster versuchte herauszufinden, wo das Wasser der seit Jahrhunderten bekannten Thermalquelle herkam. Bald kam er zu der Ansicht, dass dahinter ein weitaus massiveres Höhlensystem unter Wasser liegen müsse. Der ambitionierte Pharmazeut entnahm Wasserproben, analysierte diese und versuchte außerdem den schmalen, trockenen Höhlenteil zu erkunden und schließlich den dahinterliegenden Siphon zu passieren, was ihm jedoch nicht gelang.

Höhlenforschung überwand Barrieren

Mit der technologischen Weiterentwicklung in der Höhlenforschung gab es immer mehr Möglichkeiten, die Barrieren zu überwinden. In den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts konnten schließlich die ersten Meter der Wasserhöhle mit neu aufkommenden Unterwassertauchgeräten erkundet und Zugänge vergrößert werden. Erst in den Achtzigern war die Tauchtechnologie soweit fortgeschritten, dass mutige Taucher des ungarischen Wassersportklubs FTSK Delfin in waghalsigen Aktionen knapp 400 Meter der nach dem wissbegierigen Apotheker benannten Höhle erkunden konnten. Angetrieben von Abenteuerlust und Wissensdurst wagten sich von da an immer mehr Forscher unter Wasser, arbeiteten sich Meter um Meter voran und kartographierten die engen Gänge. Früh wurden die Bedeutung und die Einzigartigkeit des thermalen Höhlensystems unter Budapest erkannt und Molnár János schließlich 1982 als Naturschutzgebiet eingestuft.

Anfang des 21. Jahrhunderts vermuteten Höhlentaucher hinter der warmen Wand eines, nach wenigen hundert Metern in einer Sackgasse endenden Stollens im Jozsefberg einen weiteren Zugang zum Höhlensystem. Knapp zwanzig Meter wurden in mühevoller Arbeit in den Berg gebohrt und schließlich landeten die Forscher in genau jener gigantischen, 86 Meter langen, 15 Meter hohen und 27 Meter breiten Halle, in der sich Eta und die anderen Taucher soeben in die Unterwelt begeben haben.

Budapest: Mekka für Höhlentaucher

Seit 2002 nahmen von dort zahlreiche Tauchexpeditionen ihren Ausgang, jedoch erst 2015 erhielt Attila Hosszú die alleinige Pacht der Unterwasserhöhle, baute die Tauchbasis vor Ort aus und organisiert mittlerweile spektakuläre Tauchgänge für Profitaucher aus der ganzen Welt. Denn seit die einst so gefährliche Extremsportart durch verbesserte Standards in Ausbildung und Ausrüstung zu einer global beliebten Freizeitbeschäftigung wurde, avanciert Budapest zum neuen Mekka für Höhlentaucher.

An fest verlegten Sicherheitsleinen tauchen Eta und die anderen immer weiter ins Innere der Höhle. Dabei bringen ihre Tauchlampen eine immens vielfältige und abwechslungsreiche Unterwasserwelt zum Vorschein. Vorbei an gigantischen Steinquadern, die aussehen, als wären sie von Riesen aus dem Stein gebrochen worden, geht es hinab in einen V-förmigen Canyon, der scheinbar unendlich in die Tiefe reicht und dort zunehmend schmaler wird. Die Orientierung wird nur anhand der in kurzen Abständen angebrachten Pfeile, welche stets in die Richtung des Ausgangs zeigen, beibehalten. Ein direkter Aufstieg ist unmöglich, über den Tauchern befindet sich lediglich eine dicke Felsschicht. Gelegentlich spiegeln sich die Abenteurer in Luftblasen an der Höhlendecke wieder, die wirken, als hätten sie sich zu einem übergroßen Deckenspiegel formiert.

Wie riesige Quecksilbertropfen tanzt die ausgeatmete Luft an der Felsendecke entlang, scheinbar chaotisch auf der unaufhaltsamen Suche nach einem Spalt Richtung Ausgang. Nachdem die Taucher eine Engstelle überwinden mussten, öffnet sich plötzlich eine enorme Halle vor ihren Augen, das Wasser darin wirkt merkwürdig verschwommen, denn hier vermischen sich verschiedene Schichten mit unterschiedlichen Temperaturen. Die Höhlenwände sind mit gigantischen, funkelnden Mineralablagerungen, die in den unterschiedlichsten Farben und Formen auftreten, dekoriert. Neben unzähligen Barytkristallen findet man während des Tauchgangs immer wieder fossile Ablagerungen, die hier zu Boden fielen, als das heutige Budapest noch am Grund des Ozeans lag.

"Jeder Tauchgang bringt neue Erkenntnisse

"Es gibt wohl niemanden, den dieser Anblick nicht beeindruckt", schwärmt Attila von seiner Höhle, in die der athletische 49-Jährige auch nach vielen Jahren immer noch voller Begeisterung taucht. Dabei reizen ihn besonders die immer wieder durchgeführten Forschungstauchgänge in entlegene und bisher noch nicht erreichte Teile der Molnár-János-Höhle. "Jeder Tauchgang bringt neue Erkenntnisse und hinter jeder Ecke wartet eine neue Überraschung."

Bis zu 70 Millionen Liter Thermalwasser fließen aus den weit über 100 unterirdischen Quellen. Zwei Dinge haben sie alle gemeinsam: ihren Ursprung und ihren Abfluss. Budapest liegt an einer geologischen Bruchlinie, denn tief unter einer mehrere tausend Meter dicken Gesteinsschicht des Karpatenbeckens liegt die Kollisionslinie zwischen den Bergen und der Ebene.

Dies hat zu einem gigantischen Bruch geführt, der das Wasser eines unterirdischen Sees mit enormem Druck nach oben presst. Über eine schier endlose Zeitspanne, die man als Mensch wohl kaum begreifen kann, formte das Wasser langsam aber beständig von innen heraus dieses fantastische Höhlensystem, dessen Ursprung wohl noch weit im Verborgenen liegt. Am Ausgang ergießen sich alle Quellen in die nur wenige Meter entfernt verlaufende Donau. So auch das Wasser der Molnár-János-Höhle.

"Die Forschungsarbeiten in der Molnár János sind noch lange nicht abgeschlossen", weiß Attila, denn immer wieder kehren Geologen, Biologen und Chemiker in die Tiefen der mystischen Unterwasserwelt zurück, um mehr über die Entstehung der Höhle und ihren Zustand zu erfahren. Selbst in den dunkelsten Höhlenbereichen konnten die Wissenschafter Lebensformen finden. Gleich drei, nur in der Molnár-János-Höhle beheimatete Flohkrebse sind bereits entdeckt worden.

Mittlerweile haben Eta und ihre Teamkollegen eine weitere Engstelle erreicht, hinter der sich erneut eine riesige Halle befindet. Der Eingang wirkt verlockend, die Taucher verspüren den Ruf der Tiefe, der jeden ereilt, der sich mit dem Virus der Höhlenforschung infiziert hat. Doch die Profis wissen genau, dass man sich an seinen Tauchplan hält und von diesem nicht abweicht. Noch einmal sehen sich alle im kristallklaren Wasser der Höhle um, dann signalisiert Eta zum Umkehren und das Team macht sich entlang der verlegten Leinen zurück zum Höhleneingang.

Vor dem Auftauchen müssen die Taucher noch Dekompressionsstopps einhalten, um den während des Tauchgangs angereicherten Stickstoff langsam aus den Geweben abzuatmen. Am Rande der Plattform in der mystischen Felsenhalle erwartet Attila seine Gäste mit einem Schmunzeln im Gesicht. Er weiß, dass die Profis erst an der Oberfläche ihrer Euphorie freien Lauf lassen. "Es war einfach überwältigend, so etwas habe ich noch nicht gesehen", ist sich einer der Taucher sicher. "Ich glaube, ich muss gleich wieder abtauchen", lacht der junge Mann.
Der Ruf der Tiefe, Attila kennt ihn nur zu gut.