Das Freibad – Sammelbecken für Groß und Klein, Jung und Alt, Sonnenanbeter und Wasserratten. An heißen Tagen stapeln sich eingeölte Körper auf den Liegewiesen, dümpeln erfrischungsbedürftige Glieder im Chlorwasser, und manch einer trinkt sich einstweilen unter den Gastroschirmen neben dem Buffet mit Spritzwein den Sommer kühl. Doch was wäre das wilde Treiben ohne die Wächter des leicht bekleideten Frohsinns? Die Bademeister pfeifen unerlaubtes Ins-Becken-Köpfeln und Rangeln um den Bassin-Rand ab, bevor der Badespaß ins Wasser fällt. Und sollte es doch mal ernst werden, leiten sie die Rettungskette ein. Alles wichtig und richtig. Doch sind sie eigentlich viel mehr als bloß Aufpasser in Badehosen mit Pfeiferl um den Hals. Sie sind die sozialen Puffer zwischen Spaß und Ernst; Schmähtandler, wenn gewünscht, und Streitschlichter, wenn gebraucht.
Sengend färbt die Nachmittagssonne so manche Hautschichten im Wienerwaldbad in Purkersdorf ledrig, als plötzlich die Lautsprecheranlage knackt. Einige Badegäste schauen erwartungsvoll nach oben. Das ist wohl der unwillkürliche Reflex, sobald sich irgendwo eine Durchsage ankündigt. Denn was gleich folgt, ist keine göttliche Botschaft von jenseits der Wolken, sondern ein kleines Stanzel von Bademeister Michael Hornyik von der verglasten Kassa am Eingang: "Liebe Gäste, heute ist ein heißer Tag. Passt auf euch auf und schaut, dass ihr nicht mit der Sonnencreme spart. Einen wunderschönen Nachmittag im Wienerwaldbad" – zur Melodie von Johnny Be Good liefert er den Soundtrack des Freibadgetümmels. Gerade hat also der singende Bademeister eine außertourliche Exklusiv-Performance gegeben. Denn eigentlich trällert er hauptsächlich als Headliner des Badeschlusses um 19.30 Uhr durch die Lautsprecher.

Wobei: Singen kann er ja eigentlich überhaupt nicht, sagt er. "Das Ganze hat so angefangen, dass ich mir gedacht habe: Ich singe sie alle raus." Mittlerweile kann er auf ein Repertoire von zehn bis 15 kurzen Liedern zurückgreifen, Schwimmbad-Remixes von Falcos "Kommissar" bis zur Suffhymne "Was wollen wir trinken". Die Rauswerf-Songs gehören nach acht Saisonen längst zu seinem fixen Ablauf, wenn er einmal Schicht hat. So oft wird das allerdings nicht mehr vorkommen. Neben dem Studium und seiner Tätigkeit als Barkeeper, Poetry Slammer und Kabarettist bleibt nicht mehr viel Zeit, um den Sommer über im Schwimmbad für Recht, Ordnung und musikalische Verwunderung zu sorgen. Das ist auch der Grund, warum er nach dieser Saison – eingefleischte Fans des Freibadbarden müssen jetzt ganz stark sein – das Tischmikro droppen, das Trillerpfeiferl endgültig an den Nagel hängen wird.
Noch ist es aber nicht so weit. Noch steht der 28-Jährige, wenn er nicht gerade durch die Lautsprecher singsangt, auf der Brücke über den Pools und überblickt das Gelände. "Man muss einschätzen, was man durchgehen lässt und was wirklich geahndet gehört", sagt er. "Wenn wir alles abpfeifen würden, könnten wir auch gleich einen Dauerton einschalten." Die Leute sollen ja vor allem ihren Spaß haben. Und dann muss er zwischendurch doch kurz durch die Pfeife pusten, um die Hardcore-Plantscher im Becken in ihre Schranken zu weisen.
Das Gspür für die Gäste, das Austarieren zwischen Schmäh und Strenge, das ist auch im Wiener Gänsehäufel unerlässlich. Davon kann Bademeister Kurt Kalser ein Lied in breitem Wiener Dialekt singen. Acht Saisonen brachte er am Wellenbecken zu, am Rande des Eldorados der Halbstarken, bevor er vor drei Jahren zu einem deutlich ruhigeren Bereich der Badeinsel wechselte. "Winzlingstrand", nennt er ihn. "Vorruhestrand", ergänzt sein Kollege Erich Gsellmann grinsend, wenn auch etwas wehmütig. Denn ihm fehlt hier schon ab und zu die Action. Für die beiden ist das Bademeistern weder Studentenjob noch Übergangslösung. Bewusst haben sie ihre Indoor-Anstellungen gegen Leutseligkeit und Frischluftarbeitsplatz eingetauscht. Die eine Hälfte des Jahres sind sie im Schwimmbad angestellt. Die andere Hälfte halten sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser oder gehen notfalls stempeln – die Krux der Saisonarbeit. Gsellmann war ursprünglich Labormitarbeiter im AKH, Kalser ist eigentlich gelernter Kfz-Mechaniker und schlug sich mit unterschiedlichsten Jobs durch. Aber ans Bademeistern kommt nichts heran: "Das ist die schönste Arbeit, die ich bisher in meinem Leben hatte", sagt er. Da sind sich die beiden einig. Wie auch sonst in vielem, wenn sie sich nicht gerade die bissigen Pointen hin und her schupfen.
In der Bademeisterhütte hinter Behinderten- und Kleinkindstrand haben sie sich häuslich eingerichtet, so gut es geht. Hier kochen sie Kaffee mit der Espressokanne, sitzen beieinander und rauchen, bevor sie sich umziehen und es zu ihren Campingsesseln am Naturstrand und unter die Leute geht. Anstrengend ist das Herumwandern im Wasser und das Stehen in der Sonne natürlich auch hier. Doch das ist nichts im Vergleich zum Dauerbahö am Wellenbecken. "Da braucht man Durchsetzungsvermögen", nickt Kalser heftig. "Aber auch Feinfühligkeit. Man kann nicht alle gleich ansprechen." Die einen reagieren besser auf die richtige Dosis Charme, die anderen brauchen bestimmte Autorität. Und gehts doch mal richtig zur Sache, müssen die Securitys eingreifen und die Unruhestifter des Bades verweisen.
Solche Härtefälle sind den beiden Routiniers in ihrer langjährigen Dienstzeit einige untergekommen. Besonders Gsellmann, der seit über 30 Jahren bereits fest zum Freibad gehört wie Pommes aus dem Papierdl oder Dosenbier aus der Kühlbox. Das geht von Beschimpfungen bis hin zu Drohungen, dass man nach Dienstschluss auf die Bademeister warten wird. "Aber dann bitte auch mit Blumen", wirft Kalser ein. Die beiden lachen kurz schallend auf. Längst prallt derartiges Imponiergehabe an ihnen ab. Und am Winzlingstrand richten sich die einzigen Drohgebärden ohnehin eher gegen die Eltern, die den Schnuller nicht rausrücken wollen.
Abgesehen von aufmüpfigen Rabauken haben die Gänsehäufel-Urgesteine selbst aber nicht viel Schlimmeres erlebt. Reanimieren mussten sie noch niemanden. Wobei – ganz richtig ist das nicht. "Einen Fisch habe ich einmal reanimiert", grinst Gsellmann, der seine Einserschmähs zum Besten gibt, als hätte er sie sorgfältig archiviert. Amüsiert wartet er die Reaktion ab, die er wohl schon oft auf diesen Einwurf erntete. Einen Fisch? Wie das? Ein Kollege schleppte eines Tages eine Brachse in einem Kübel an. Viel hätte Gsellmann damit nicht anfangen können. Einen Grätenfisch wollte er sich kulinarisch nicht antun. Und wie ein Besitzer eines überdimensionalen Aquariums wirkt er auch nicht unbedingt. Also entließ er das Flossentier kurzer Hand in die Freiheit. Doch statt fröhlich wegzuschwimmen, taumelte der Fisch benommen im Wasser. "Ich habe ihn am Schweif genommen und hin und her durchs Wasser gezogen, damit die Kiemen durchspült werden", erklärt Gsellmann. Der Bademeister, der den Fisch spazieren führt, hat natürlich bei einigen die Neugier geweckt. "Herr Bademeister, was machen Sie da?", fragte ihn ein kleiner Junge. Eine Steilvorlage für Gsellmann: "Ich lern ihm schwimmen." Und schwimmen konnte er am Ende tatsächlich wieder. Mit der Zeit sammelt man im Freibad neben sonnengebeizter Haut wohl vor allem zweierlei: Anekdoten und Schlagfertigkeit.
Und über die Jahre wurden aus Anek-doten Legenden, aus Stammgästen gute Bekannte, aus Windelstinkern Erwachsene. Sowohl in Trans- als auch in Cisdanubien. "Man sieht, wie sich die Stammgäste mit der Zeit entwickeln", sagt Michael Hornyik in Purkersdorf, als eine junge Frau mit Kleinkind auf dem Arm und chirurgisch modelliertem Antlitz an ihm vorbeigeht und ihn lächelnd grüßt. Er kann sich noch an ihre Schwangerschaft erinnern, und sogar an ihr Originalgesicht. Auch im Gänsehäufel trudeln laufend Badegäste ein, die Kalser und Gsellmann begrüßen wie alte Bekannte. Das sind sie auch. Manche Stammgäste sieht man jedes Jahr, weiß, wie sich ihre Enkel in der Schule tun oder an welchem Datum der Geburtstermin der Tochter angesetzt ist. Andere trifft man jahrelang nicht an, bis sie schließlich mit eigenen Kindern ins Bad zurückkehren.
Saison für Saison sehen die Bademeister, wie schnell sie wirklich vergeht, die Zeit. Und langsam wächst man eben zamm, auch im Freibad – dem Sammelbecken der Unikate.