Padua liebt Kuppeln. Die größte von allen, den Himmelsdom, sollte Galileo Galilei erforschen. Er ließ sich 1592 hier nieder, um an der Universität Mathematik zu unterrichten – mit einem besseren Gehalt als zuvor in Pisa. Padua wirkte schon damals deutlich mondäner. Es unterstand der Republik Venedig und zog Vorteile aus den Handelsbeziehungen der Serenissima.

Der Lehrstuhl des Galilei

Die Universität war bereits 370 Jahre alt, als Galilei in Padua eintraf. Sie residiert seit 1493 im Palazzo del Bò. Der ist nach dem älteren Hospicium Bovis benannt worden, einer Herberge mit einem Ochsen am Hauszeichen.

Am doppelten Bogengang, den der Architekt Andrea Moroni um 1550 schuf, erblickt man tausende Wappen einstiger Studenten. Wie ihre Tafeln aus Holz oder Stein verraten, stammten viele von jenseits der Alpen. Aus dem Innenhof schallt noch heute immer wieder ein erfreutes "Dottore, dottore!" Mit diesem Ruf lassen Familienmitglieder und Freunde den frischgebackenen, mit einem Lorbeerkranz geschmückten Absolventen hochleben.

Kaum hatte der 28-jährige Galilei in Padua zu lehren begonnen, richtete man im Palazzo del Bò das älteste aller permanenten Anatomietheater ein – aus Holz und in Form eines ovalen Trichters. Ich erlebe es vom Blickwinkel einer Leiche aus: In den sechs schmalen Reihen über mir drängten sich einst Medizinstudenten bei Kerzenlicht zusammen. Der größte Saal, die Aula Magna, war den Juristen vorbehalten. Auch Galilei durfte darin zeitweise lesen. Knapp vor seiner Ankunft war ein etwa zwei Meter hohes hölzernes Katheder (lat. cathedra: Sitz, Lehrstuhl) gezimmert worden. Neun Stufen stiegen die Professoren hinauf, damit man sie besser sehen und hören konnte. Dieses "Katheder des Galilei" lässt sich noch heute bestaunen.

Galileis 1599 begonnene Liebschaft mit der etwa sechs Jahre jüngeren Venezianerin Marina Gamba blieb inoffiziell; vermutlich erschien ihm Marina nicht standesgemäß genug. Sie gebar ihm drei Kinder, mit denen sie nahe der Porta Pontecorvo lebte – etwa fünf Gehminuten von Galileis Wohnhaus entfernt. Seinen Sohn Vincenzo legitimierte Galilei später, seine Töchter Virginia und Livia brachte er im Kloster unter.

Die Glocken der nahen Basilika des Heiligen Antonius hörten Marina und Galilei ähnlich klar. Der Kirchenlehrer Antonius soll etliche unglaubliche Wunder bewirkt und überaus einflussreiche Predigten gehalten haben. Als er im Jahr 1231 verstarb, errichtete man ihm zu Ehren ein gigantisches Gotteshaus – mit einer monumentalen Ziegelfront, byzantinischen Türmchen und acht Kuppeln. Deren Innenseiten sind teils mit Sternen geschmückt. In der kunstvollen Grabeskapelle des Heiligen Antonius stellen sich noch heute Pilger an, um den grünen Steinsarkophag zu berühren. Sie drücken ihre Stirn dagegen. Viele werfen die Fotos von Angehörigen samt handgeschriebenen Bitten in ein Glasgefäß – Antonius möge sie erhören. Der Seitenausgang führt von einem Kreuzgang zum nächsten.

Lapislazuliblauer Sternenhimmel in der Scrovegni-Kapelle - himmlisch schön. 
- © Christian Pinter

Lapislazuliblauer Sternenhimmel in der Scrovegni-Kapelle - himmlisch schön.

- © Christian Pinter

Der Himmel in der Kapelle

Im Vergleich zu dieser Basilika muss sich selbst die Kathedrale Santa Maria Assunta hinten anstellen. Nicht so aber deren Taufkapelle: Der in Florenz geborene Maler Giusto de’ Menabuoi schuf ab dem Jahr 1375 den prächtigen Freskenzyklus des Baptisteriums, der unter anderem von Johannes dem Täufer erzählt. Vom Kuppelscheitel schaut der von hunderten Heiligen umringte, über alles herrschende Christus herab. Sobald der Aufpasser den Raum verlässt, zücken die Besucher ihre Kameras und fotografieren auf Teufel komm raus.

An Schönheit wird das Baptisterium nur noch von der Scrovegni-Kapelle überboten. Selbst wer nicht kunstbeflissen ist, hält da den Atem an. Der Bankier Enrico Scrovegni ließ die Kapelle um das Jahr 1303 errichten – angeblich, um seinen als Wucherer verschrieenen Vater vor dem Fegefeuer zu bewahren. Ihr Inneres ist ein einziger Freskenzyklus: Giotto di Bondone verewigte Motive aus dem Leben von Maria und Jesus. Für sein überwältigendes Himmelsblau verwendete er Pigment aus kostbarem Lapislazuli. Sterne leuchten darin.

Giotto sah den Halleyschen Kometen im Jahr 1301 mit eigenen Augen. Er setzte ihn über die Anbetungsszene der Heiligen Drei Könige und hinterließ so die erste realistische Kometendarstellung der Kunstgeschichte. Galilei kannte sie zweifellos; er selbst wusste aber nichts wirklich Gescheites über die Natur der Schweifsterne zu sagen.

Keine tausend Schritte trennten die Universität von Galileis Wohnhaus in der Contrada de’ Vignali, heute "Via Galilei" genannt. Mit ziemlicher Sicherheit bezog er das Haus Nr. 17, das damals noch von etlichen Gemüse- und Weingärten umgeben war. Der zweistöckige Bau mit dem für Padua so typischen Laubengang ist ein Privathaus, kein Museum. Dennoch halten vereinzelt Touristen davor inne. Einst gingen hier Studenten ein und aus. Sie wurden von Galilei gegen Bezahlung in Arithmetik, Festungsbau oder Mechanik ausgebildet und zum Teil auch beherbergt. Das Gebäude diente Galilei außerdem als Werkstatt.

Um sein Gehalt aufzubessern, konstruierte er den sogenannten "Geometrischen und militärischen Kompass". Mit seinen Skalen erlaubte dieser Proportionalzirkel verschiedenste Rechenoperationen. Galilei ließ hunderte Exemplare aus Kupfer und Silber herstellen. Dazu beschäftigte er den Uhrmachersohn Marcantonio Mazzoleni, der zuvor im venezianischen Arsenal tätig gewesen war.

Neben Kost und Logis erhielt der Instrumentenhersteller ein recht bescheidenes Gehalt. Seine Frau fungierte als Haushälterin und Köchin. Für den Druck des Handbuchs "Le operazioni del compasso geometrico et militare" ließ Galilei sogar eine Presse installieren.

Drei weite Plätze prägen Paduas Zentrum. Auf der Piazza dei Signori, dem "Platz der Herren", weist eine stark astrologisch geprägte Uhr die Zeit. Sie ist am Turm des Palazzo del Capitanio angebracht. Die Säule mit dem Markuslöwen davor erzählt ebenfalls von der Herrschaft Venedigs. Auch auf der nahen Piazza dei Frutti (Platz der Früchte) und der Piazza delle Erbe (Platz der Kräuter) pulsiert seit 800 Jahren das Marktleben. Der langgestreckte Palazzo della Ragione schiebt sich zwischen die beiden. In seinen Bogengängen lassen sich Fisch, Käse, Fleisch und vieles mehr erstehen. Das oberste Stockwerk nimmt der riesige Ratssaal ein. Das Dach dieses 80 Meter langen "Salone" scheint der Schwerkraft zu trotzen.

Das Zentrum des Universums

Die meisten Menschen richteten sich im 16. Jahrhundert noch nach dem naiven Augenschein. Sie sahen die Sterne im Osten auf- und Stunden später im Westen untergehen. Also wirbelte vermeintlich der ganze Kosmos einmal pro Tag um die Erde herum. Sie galt als das völlig unbewegte Zentrum des Universums.

Nikolaus Kopernikus – er hatte zwischen 1501 und 1503 selbst in Padua studiert – stellte dieses alte, erdzentrierte Weltbild auf den Kopf. Für ihn rotierte die Erde um eine Achse und kreiste außerdem um die Sonne. Da man diese Bewegungen nicht spürte, lehnten fast alle Gelehrte sein neues Modell ab. Selbst Galilei, der in Padua zum Kopernikaner wurde, wollte sich eineinhalb Jahrzehnte lang nicht öffentlich dazu bekennen. Er fürchtete den Spott seiner Zeitgenossen.

In Padua formulierte er das Pendelgesetz. Das Pendel behält aber nicht nur seine Schwingungsdauer bei, sondern – was Galilei nicht wusste – auch seine Schwingungsebene. Das Foucaultsche Pendel, das heute von der Decke des Salone herabhängt, legt davon Zeugnis ab. Während die Augen langsam über die Hundertschaften seiner Fresken wandern, dreht sich der Saal samt der rotierenden Erdkugel unter der schwingenden Pendelmasse weiter. Aus Sicht des Besuchers schreitet das Pendel daher gemächlich eine weite, runde Skala entlang.

Galilei brachte ein zehn Meter langes Pendel am Palazzo del Bò an. Er bemerkte eine zunehmende Abweichung der Schwingungsebene relativ zur Gebäudewand, verfolgte das Phänomen aber nicht weiter. Schade: Es wäre ein hochwillkommener Nachweis für die von Kopernikus behauptete, von den meisten Menschen jedoch geleugnete Erdrotation gewesen!

Im Mai 1609 erhielt Galilei einen Brief des befreundeten Ordensmanns Paolo Sarpi. Dieser berichtete ihm von einer merkwürdigen Erfindung. Holländische Brillenmacher hatten, wohl durch zufälliges Hintereinanderhalten von Gläsern für Weit- und Kurzsichtige, ein neuartiges Instrument geschaffen: Es zeigte ferne Gegenstände so, als weilten sie in der Nähe. Galilei baute das Gerät nach und begann sofort, es zu verbessern.

Im August 1609 erklomm er mit den Männern des venezianischen Senats den Campanile von San Marco. Oben angelangt, präsentierte Galilei sein mittlerweile achtfach vergrößerndes "Perspicillum": Auf hoher See erlaube es rasch Aussagen über Anzahl und Bauart ferner Schiffe, betonte er. Der Senat revanchierte sich mit der Verdopplung seines Gehalts. Die Anstellung an der Universität war Galilei nun auf Lebenszeit sicher.
Durch die Wahl geeigneter Linsen steigerte er die Vergrößerung des Sehglases bis aufs 30fache. Schon Ende 1609 betrieb er daheim eine Schleifmaschine. 

Die Rohlinge aus Murano-Glas waren qualitativ überlegen, aber nicht frei von eingeschlossenen Bläschen. Galilei experimentierte beim Linsenschleifen mit Kanonenkugeln, griechischem Pech und Tonerde aus Tripolis. Zum Polieren erwarb er Filz. Von seinen über 60 gebauten Teleskopen sind bloß zwei erhalten geblieben. Sie werden heute in Florenz aufbewahrt. Ab 30. November 1609 richtete Galilei ein solches Fernrohr erstmals zum Mond – und sah höchst Unerwartetes. Er erblickte eine Welt, die von Bergen und Tälern ähnlich gezeichnet war wie die Erde. Am 7. Jänner 1610 fand er drei, dann vier Monde, die den Planeten Jupiter umkreisten. Das altvertraute Siebengestirn im Stier entlarvte er im Februar als Ansammlung von 40 Sternen; das matte Band der Milchstraße löste er sogar in ein wahres Sternenmeer auf. Doch wo gelangen Galilei diese für die damalige Zeit unerhörten Entdeckungen?

Wo hat der Sterngucker nach den Sternen geschaut?

Der Ponte Molino ("Mühlenbrücke") überspannt den Bacchiglione, einst ein wichtiger Wasserweg zwischen Vicenza und Padua. Die Häuser schieben sich hier ganz dicht an den Fluss heran. Die Brücke endet am mittelalterlichen Stadttor Porta Molino, erbaut im 13. Jahrhundert. Angeblich stellte Galilei sein Teleskop auf dessen hohem Dach auf. Doch das ist wohl Legende.

Ganz sicher wählte er nicht die Sternwarte La Specola. Sie wurde erst 160 Jahre später in einem alten, turmbewährten Schloss eingerichtet. "Die herrliche Lage der Stadt konnte ich vom Observatorium aufs klärste überschauen", schwärmte Johann Wolfgang von Goethe 1786. Das hier untergebrachte Museum präsentiert Instrumente, mit denen Galileis Nachfolger die Sternenwelt erforschten.

Natürlich ist dem Gelehrten Galilei eine eigene Straße gewidmet. 
- © Christian Pinter

Natürlich ist dem Gelehrten Galilei eine eigene Straße gewidmet.

- © Christian Pinter

Er selbst beobachtete wahrscheinlich vom ummauerten Garten seines Wohnhauses aus. Ich versuche, einen Blick in den Hinterhof zu erhaschen. Mein armseliges Italienisch hilft mir nicht weiter. Also probiere ich es von einem hohen Hotel, einer Baustelle und schließlich von jenem nahen Gebäudekomplex aus, den man "Loggia und Odeon Cornaro" nennt: Er ist reich verziert mit mythologischen Szenen und Grotesken. Fanden dort Theateraufführungen oder Konzerte statt, mag ihnen Galilei gelauscht haben.

Der Forscher fasste seine epochalen Himmelsbeobachtungen jedenfalls rasch im "Sidereus Nuncius" zusammen. Dieser "Sternenbote" erschien im März 1610 in Venedig und sorgte für erhebliches Aufsehen. Darin bekannte sich Galilei erstmals zu Kopernikus. Seine Beobachtungen lieferten zwar keinen eindeutigen Beweis für die Bewegungen der Erde – sie schwächten aber die Argumente, mit denen Kritiker dagegen zu Felde zogen.

Galilei widmete seinen Sternenboten dem jungen Großherzog der Toskana, Cosimo II. de’ Medici. Die vier Jupitermonde erklärte er zum himmlischen Denkmal für das Florentiner Fürstengeschlecht, taufte sie "Sterne der Medici". Aus Dankbarkeit wurde Galilei zum Hofphilosophen in Florenz ernannt. So verließ er im September 1610 jene Stadt, die ihm fast 18 Jahre lang Heimat gewesen war – und damit auch die Universität sowie Marina Gamba.

Padua setzte dem legendären Himmelsforscher dennoch ein Denkmal. Am unvergleichlich weiten, elliptischen Platz Prato della Valle reihen sich die Statuen von 78 Männern aneinander, die mit der Geschichte der Stadt verwobenen sind. Jene des Galileo Galilei richtet den Blick – natürlich – zum Himmel.