"Die Dominikanische Republik, das Land auf der östlichen Hälfte der Insel Hispaniola, ist geschichtsträchtiger als manche glauben würden." Steht im Führer, den aber die wenigsten lesen. Wider Erwarten vieler gibt es auch ein Leben vor der Invasion von All-Inclusive-Chartergästen, die seit den 1970ern weiße Bettenburgen zwischen Puerto Plata und Punta Cana schneller in die Höhe schießen ließen als so manche tropische Schlingpflanze es nach unten schaffen würde. Viele verlassen ihr Resort nie. Schade drum.

Alles begann mit Kolumbus

Es war Christoph Kolumbus, der die Insel 1492 – Auftraggeber Spanien zu Ehren – Hispaniola nannte, kurz zum ersten Gouverneur der "Neuen Welt" aufstieg und damit seine Schuldigkeit getan hatte: 1502 wurde er abgesetzt, sein Sohn Diego de Colon bald Vizekönig. Der Seeweg nach "Westindien" war vermeintlich gefunden, auch wenn die angeblichen Indianer eigentlich Tainu, die lokale Urbevölkerung, waren. Eroberung und Kolonisation übernahm dann die spanische Krone selbst, die den westlichen Teil der Insel – heute Haiti – 1697 an Frankreich abgeben musste und bald Havanna (Kuba) zur neuen Zentrale ihrer Ländereien bestimmte.
Strandidylle mit Sonnenuntergang – ein Hit in der Dominikanischen Republik nicht nur für Touristen. 
- © Günter Spreitzhofer

Strandidylle mit Sonnenuntergang – ein Hit in der Dominikanischen Republik nicht nur für Touristen.

- © Günter Spreitzhofer

Die Dominikanische Republik – 1844 gegründet, etwa halb so groß wie Österreich, zehn Millionen Einwohner – hat viel erlebt. Jeder Dritte lebt bereits in der Hauptstadt oder will zumindest hin, weil man von Zuckerrohr nicht mehr so gut leben kann wie früher. Nach zwei Phasen US-amerikanischer Besatzung und etlichen Diktaturen erst seit 1996 als Demokratie politisch endlich stabil, hat der "Heilige Sonntag" (= Santo Domingo) mit Invasoren umzugehen gelernt: Francis Drake und andere Piraten plünderten die Stadt 1586 recht gründlich. Herr Trujillo, Hitlerverehrer und Diktator, der die Stadt in den 1930ern schlicht in Ciudad Trujillo umbenannte, ist ebenfalls lange schon Vergangenheit. Und mit den Teutonen (und anderen Touristen) aus den Urlauberghettos an der dominikanischen Südküste, die zumeist mittels gebuchter Air-Con-Halbtagsfahrt (inklusive Mittagessen, alkoholfreiem Getränk und Besuch einer Zigarrenfabrik) anreisen, hat man sich längst arrangiert.

Spaniens erste koloniale Residenzstadt

Santo Domingo, die heutige Hauptstadt, wurde 1496 die erste koloniale Residenzstadt. Wie ein Bergdorf klebt die kleine Ciudad Colonial (Altstadt) am westlichen Steilufer des Rio Orama, voller enger Gässchen wie die Calle Isabel La Catolica oder die Calle Las Damas, wo Diegos Gattin Maria zu flanieren pflegte – höchstwahrscheinlich nicht mit Top und Minirock, wie heute auf Tagestrip von der Costa de Coco bisweilen üblich. In der Catedral Santa Maria La Menor, der ältesten Kathedrale Amerikas im schattigen Parque Colon, fanden sich einige Überreste von Kolumbus, dem 1992, anlässlich der 500-Jahr-Feier seiner Entdeckung, (nicht nur) ein neues Denkmal gesetzt wurde. Auf seinem Hut sitzen stets zwei Tauben und machen seine Nase weißer, als ihm zu Lebzeiten wohl lieb gewesen wäre. Seit 1990 ist die Altstadt jedenfalls Unesco-Weltkulturerbe.

Souvenirs en masse

Viele der gedrungenen Steinhäuser tragen oft noch Wappen von spanischen Konquistadoren-Familien – das Casa Bastidas etwa, in dessen arkadengeschmücktem Innenhof das Museo Infantil Trampolin auf kleine Besucher wartet. Die Nachkömmlinge der Edelleute von damals spielen davor Domino oder verkaufen Zigarren in der Fußgängerzone El Conde. Oder reichlich farbenprächtige Karibik-Kunstmalereien, die alle ziemlich gleich aussehen: Mulatte und Meer, Sonne und Segel, Palme und Platanos. Letztere sind eigentlich Kochbananen, doch mit Zucker und Zimt recht delikat, vor allem mit einem Becher Lechoza. Das ist Papayajuice mit Milch und Wasser, wenn vermeidbar nicht aus dem Rio Orama direkt.
Souvenirs, Souvenirs... 
- © Günter Spreitzhofer

Souvenirs, Souvenirs...

- © Günter Spreitzhofer

Mamajuana hingegen, das hochgepriesene, urtypisch dominikanische Elixier aus trockenen Wurzel- und Rindenstücken, gibt’s dagegen nur in den Souvenirshops nebenan: "Gin hinein in die Flasche, ziehen lassen, dann die Brocken nochmals in Rum, Honig und Rotwein baden", sagt das Etikett in vielen Sprachen – und fertig ist das Wundertonikum, das gegen alles, also wirklich gegen alles helfen soll. Vor allem gegen leere Kassen, wenn sich wieder einmal ein Karibik-Kreuzfahrt-Kapitän für ein paar Stunden um ein paar tausend Passagiere auf Landgang erleichtert hat. Das hilft so nachhaltig, dass manche Galerien und Boutiquen danach für den Rest der Woche schließen.

Weltstadt mit U-Bahn

Der Alcazar de Colon ist ein Palast für Diego, Sohn und Erbe von Christoph Kolumbus. Er liegt am Plaza Espana, wo jedes Wochenende Folklore- und Flamenco-Shows zur touristischen Ergötzung abgehen, und ist bis heute das Wahrzeichen der Drei-Millionen-Metropole an der Südküste: Die größte Stadt der Karibik ist eine Weltstadt geworden, die bislang von gröberen Hurrikans und Erdbeben verschont geblieben ist. Seit kurzem gibt es sogar zwei U-Bahnen, die den Dauerstau auf den vierspurigen Boulevards aus dem Umland abfangen sollen. Manchmal gelingt es wirklich, was mit Mamajuana aber nichts zu tun haben dürfte.

"La Capital" (die Hauptstadt), wie die Minibusfahrer aus dem ganzen Land ihre Endstation am Parque Enriquillo hinter der kleinen Chinatown gleich neben der Altstadt ausrufen, ist jedenfalls ein Magnet geblieben. "Wer es nicht ins Zentrum schafft, übernachtet in den Cabanas am Stadtrand", sagt Pedro Cubillas augenzwinkernd. Er ist Buskassier mit viel Zeit, wenn es ab der Mautstation beim Flughafen wieder einmal keinen Zentimeter Weiterkommen gibt und das WiFi im Bus immer kläglicher wird, trotz türkisrosa Rosenkranz unter dem Rückspiegel. Cabanas? "Das sind Häuschen, wo jeder Gast eine Garage für sein Auto hat und ein Kämmerchen zum Schlafen dahinter. Da bezahlst du stundenweise."

Die meterhohe Leuchtreklame blinkt in allen Rottönen und zeigt "Paraiso" (Paradies). Er grinst. Und ich will eigentlich weiter, genauso wie Fernando, Alfredo und José auf den Hinterbänken, wo bisweilen Bibelsprüche auf den Fenstern stehen wie in vielen Bussen auf Hispaniola. Ob die drei wirklich so heißen, bleibt unklar. Sie sehen jedenfalls so aus, als ob sie am Abend wieder von Santo Domingo träumen würden, und von weißen Orchideen (die es hier nur im Jardin Botanico gibt). Das machen sie zumindest seit Jahrzehnten in den Schlagerparaden auf Radio Burgenland.

Karibische Gelassenheit

Ein anderer José, der – seinem Namensschildchen am blütenweißen Hemd zufolge – übrigens wirklich so heißt, hat Merengue lieber. "Das ist unsere Musik, so wie Jamaica den Reggae hat", sagt er. Falco kennt er nicht, und wie ein junger Römer sieht er eigentlich auch nicht aus. Er trägt Uniformhose und Spiegelbrille, sitzt vor dem Convento de los Dominicanos, der Urzelle der ersten amerikanischen Universität (1538), wippt in einem knallgelben Klappstuhl und bewacht das denkmalgeschützte Gebäude mit dem vollsten musikalischen Einsatz, den sein tragbarer CD-Player erlaubt. Merengue klingt wie Polka im Zweivierteltakt und ist mittlerweile weltbekannt, nicht zuletzt wegen der dominikanischen Band 4:40 (Cuatro Cuarenta). Neben sich hat er noch ein paar Reste von seinem Frühstück: "Mangu, das ist Kochbananenpüree mit Zwiebel und Spiegeleiern." Muy rico, amigo, ein wahrlich deftiges Gericht. Und für wichtige Wächter der Landesgeschichte wie geschaffen.

Ob er mit Mahl und Musik den Geschmack der Familie Kolumbus getroffen hätte, werden wir nie erfahren. Und träumen muss in der Karibik erlaubt sein, nicht nur Fernando, Alfredo und José. Wo sonst?