Bad Tölz an der Isar, ein ehemaliger Kurort, war schon sehr lange vor seinem Ruf als Heilbad ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, denn die von Flößern genützte Isar kreuzte hier die Salzhandelsroute. Aus Tölz exportierte man die berühmten, wunderschön bemalten Bauernkästen, Truhen und Himmelbetten, die "Tölzer Waaren", bis nach Linz, Wien und Budapest. Und man traf sich zu Bier und in Biergärten, wie im bereits 1486 erwähnten "Alber Jörgs prewgarten". Das Bier hier schmeckt so gut, dass hundert Jahre später bereits zweiundzwanzig Brauereien das allseits gerühmte Hopfengetränk anbieten. Der Wein, davor das Tölzer Lieblingsgetränk, wurde damit auf einen jämmerlichen zweiten Platz mit bloß fünf Weinwirten verdrängt – aber auch das ist eine beachtliche Dichte, bei gerade 1.500 Einwohnern.

Bier als Exportschlager

Offenbar kam man von nah und fern, um sich mit dem in Tuffsteinhöhlen wohltemperiert gekühlten Untergärigen zuzuprosten: Man machte gerne Rast in Tölz (nach dem Burgherren Heinrich der Tölzer benannt), unterbrach hier die beschwerliche Reise auf holprigen Landstraßen von Ost nach West; oder das gefährliche Flößen auf der Isar von Nord nach Süd. Auch die umliegenden Klöster wurden fleißig und lukrativ versorgt - bis sie auf die Idee kamen, selbst zu brauen, was den Tölzern natürlich gar nicht passte. Ihre Proteste halfen nichts, und so mussten sie exportieren, vor allem nach München. Dabei waren sie so erfolgreich (dank der erwähnten Höhlenkühlung, die in der Großstadt fehlte), dass man Tölz die "Bieramme" Münchens nannte, und beim Oktoberfest vor allem Tölzer Bier ausgeschenkt wurde. Der in der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannte Reiseschriftsteller Heinrich Noë meinte damals: "In meiner Jugend war das Tölzer Bier viel berühmter als jetzt. Da waren auf der Theresienwiese beim Oktoberfest eigene Tölzer Bierstuben aufgeschlagen, die sich des größten Zulaufs erfreuten."

Jodquelle statt Bier

Leider gibt es heute nur zwei Brauereien in Bad Tölz, die die alte Tradition wiederbeleben, denn um 1850 bot sich eine andere Einnahmequelle, im wahrsten Sinn des Wortes: Eine Jodquelle wurde entdeckt. Geschäftstüchtig wie die Tölzer schon immer waren, bediente man nun den wachsenden Heilbad-Boom, auch mit Hilfe der Eisenbahn, die ab 1874 von München direkt bis nach Bad Tölz führt. Als auch noch der Adel, wie die Bismarcks und Mathilde, Herzogin von Bayern (und Schwester "unserer" Sisi), und Berühmtheiten wie Thomas Mann und Lion Feuchtwanger, Karl May und D.H. Lawrence zu Gast sind, muss man sich hier einfach sehen lassen. Mark Twain kam mit seiner Frau, die hier Jahre ihres Lebens gewann, wie damalige Ärzte bestätigten.

1969 als "Heilklimatischer Kurort" ausgezeichnet, wurde Bad Tölz bis 1990 von den Krankenkassen für Heiltherapien akzeptiert und finanziert – und erlitt dann dasselbe Schicksal wie viele andere Kurorte in Deutschland: Die Gäste blieben aus. Man musste umdenken und machte die fehlende Industrie zum Vorteil, setzte auf unberührte Landschaft und gute Luft, Wanderbegeisterung und dieses heimelige Etwas der hiesigen Gaststuben und Gastgärten.

Mordslustig

Das bayrische Voralpenland hat seit jeher etwas Heimelig-mystisches. Vor allem die westliche Landschaft mit ihren vier Seen, Mooren und den Ammergauer Alpen, dem Mieminger Gebirge und dem Karwendel als schroffe Kulisse für den lieblich-hügeligen Vordergrund ist so wunderschön, so perfekt friedlich, so ländlich-kitschig, dass da irgendwo etwas nicht stimmen kann. Zu perfekt. Wie es schon die beliebten englischen Krimis vormachten, wo in wohlgepflegten, efeubewachsenen, blumenumrankten, strohgedeckten Fachwerkhäuschen rund um ein Kirchlein mit trügerisch-friedlichem Friedhof ständig Morde passieren, so treiben hier ebenfalls mordlustige und mords-lustige Typen immer wieder ihr Unwesen: in Serien wie "Hubert & Staller", "Rosenheim Cops" und "Der Bulle von Tölz".

Künstlertreff

Diese Büste von Gabriele Münter steht im Schlossmuseum Murnau. 
- © Elisabeth Hewson

Diese Büste von Gabriele Münter steht im Schlossmuseum Murnau.

- © Elisabeth Hewson

Aber auch tragische Künstler, die das "Blaue Land" (genauer das Oberbayerische Alpenvorland) mit ihrem Herzblut zu Bildern und Theaterstücken verarbeiteten, zeigten die Schattenseite der ländlichen Idylle. Die Künstlerstadt Murnau am Staffelsee, zu jeder Jahreszeit Landschaftskitsch pur, ist Heimat des Expressionismus, dem man zum Beispiel auf dem Weg durch die von Linden engbestandene, malerische Kottmüller-Allee nachspüren kann. Sie führt vom Ortszentrum zum Münter-Haus, das in Nazikreisen auch gerne herablassend "Russenhaus" genannt und von Kindern mit Steinen beworfen wurde. Dort entstanden revolutionäre Ideen und Kunstwerke, dort fanden Gabriele Münter und ihr Lebensmensch Wassily Kandinsky (der sie später höchst lieblos behandelte) mit Franz und Maria Marc, Heinrich Campendonk, August und Helmut Macke, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin inmitten selbstbemalter Möbel und Wände neue Zugänge, sich künstlerisch auszudrücken. 1912 entstand der Almanach "Der Blaue Reiter", Redaktion Kandinsky und Marc, als Manifest der neuen, gemeinsam erarbeiteten Kunstrichtung. "G’hört ins Clohaus" war die Meinung der Hitler-Anhänger.

Auch Ödön von Horvath, umzingelt von diesen Hitlerbegeisterten, dichtete und dachte zehn Jahre hier, bezaubert von der Landschaft, bis er schließlich 1933 entnervt nach Paris emigrierte. Dass die Murnauer ihn nicht mochten, ist leicht zu begreifen, wenn man seine Stücke liest. Er hat ihnen eben sehr genau auf die Finger und den Mund geschaut. Die Ödön-von-Horvath-Ausstellung unter dem Dach des Schlossmuseums Murnau erinnert an diese Zeit des aufkeimenden Nationalsozialismus, der hier blühte und gedieh, und den man auch in speziellen Ausstellungen wie "Es kommen kalte Zeiten" zu verarbeiten versucht.

Kunstrundgänge, Staffelseewirte, die Kunstverständnis mit Kulinarik kombinieren, eine Schokomanufaktur, die 2019 den König von Ghana zu Besuch hatte (und deren Chef ihm bei einem Gegenbesuch eine Gummistiefelsammlung gegen Schlangen mitbrachte) – es gibt viel zu erzählen und zu erleben in Murnau.

Bildlich festgehalten

Die Landschaft Oberbayerns will einfach gemalt, bedichtet oder bewundert werden. Auch heute finden sich Kunstbegeisterte zu Maler-Gruppen zusammen, wie die Künstlervereinigung Tusculum, deren Mitglieder sich immer wieder zum Ideenaustausch treffen, oder manchmal ins Moor ziehen und dort ihre Staffeleien aufstellen. Was man auch ohne Staffelei tun sollte: Ein zwei Kilometer langer Bohlenweg führt über das "Murnauer Moos", ein 3.500 Hektar großes naturgeschütztes Alpenrandmoor, Heimat für über 1.000 Arten von Blühpflanzen, Farnen und Moosen und gezählten 4.000 Tierarten, die in und auf den bis zu 25 Meter tiefen Torfschichten leben. Noch ein besonderes Erlebnis in dieser unverschämt kitschigen Landschaft.

Vogel-Kunst

Der "schönste Festsaal des Oberlandes" – die Marktstraße von Bad Tölz. 
- © Elisabeth Hewson

Der "schönste Festsaal des Oberlandes" – die Marktstraße von Bad Tölz.

- © Elisabeth Hewson

Zurück in Bad Tölz sorgen Wellness-Moorbäder für müde Wanderer, für Spaziergänger die Marktstraße, vom Münchner Architekten Gabriel von Seidl umgestaltet und seither als "schönster Festsaal des Oberlandes" bekannt. Sie ist mit ihren vielen netten kleinen Geschäften und Schanigärten die ideale Flaniermeile. Immer wieder gibt es Konzerte, Theateraufführungen, Märkte und – besonders kurios – ein Marionettentheater, das schon seit über 100 Jahren Kinder und Erwachsene unterhält.

Im nahen Dietramszell, im Falkenhof von Paul Klima, der als Vogel-Experte immer wieder für Filmaufnahmen zugezogen wird, kann man sogar die Falknerei lernen, oder einfach beim Training zuschauen und mitmachen, sich über Aufzucht und Pflege informieren und einigen seiner zehn Vögel – Steinadler, Falken, Habichte, Eulen – ganz nah ans Gefieder rücken. Es gibt viel zu tun und zu sehen im Tölzer Land: Ein Spaß, wenn nicht sogar ein Mordsspaß, ist hier garantiert.