"Die Hölle wird nicht kalt", meint Jorge. Im Büro seiner Autovermietung deutet er auf eine Fotografie, die einen weit aufgerissenen Vulkanschlot zeigt. Auf Lanzarote haben in sechs düsteren Jahren von 1730 bis 1736 gewaltige Eruptionen fruchtbare Regionen zu einem schwarzen Island geformt. Seither sei jeder Schritt auf dieser geheimnisvollsten Insel des kanarischen Archipels ein Tanz auf dem Vulkan.

Von den hellen Stränden der Playa Blanca surrt der Jeep in den Norden zur Vulkanhöhle "Jameos del Agua". Als bereits vor 3.000 Jahren der Monte Corona ausbrach, hinterließen glühende Lavaströme auf ihrem Weg zum Atlantik im Erdreich ein sechs Kilometer langes Tunnelsystem. César Manrique (1919-1992) korrigierte später die erstarrte Modellierung der Feuerwalze. Auf 200 Metern gab der Meister der lange als Müllhalde genutzten Röhre eine touristische Infrastruktur und schuf aus finsterem Gestein eine Touristenattraktion. Auf Gängen und Stiegen erreichen Besucher ein Restaurant, Café, Museum und einen Konzertsaal und treten über Treppen hinauf in ein Gartenidyll mit schneeweißem Pool. Eine sich über das himmelblau schimmernde Wasser neigende Palme soll über 100 Jahre alt sein.

Unterirdisches Naturphänomen

In dieser paradiesisch anmutenden "Unterwelt" fühlen sich sogar blinde Albinokrebse wohl, die als weiße Pünktchen im Binnensee am Eingang zu erkennen sind. Ein Naturphänomen – denn eigentlich sind die in ewiger Dunkelheit lebenden Winzlinge nur in Meertiefen von über 2.000 Metern zuhause.

Ist bei jeder Lanzarote-Rundfahrt dabei: die Höhle Jameos del Agua mit den Albinokrebsen. 
- © Manfred Lädtke

Ist bei jeder Lanzarote-Rundfahrt dabei: die Höhle Jameos del Agua mit den Albinokrebsen.

- © Manfred Lädtke

Wie Feuer und Wind hat auch César Manrique das Gesicht der Vulkaninsel mitgeprägt: Weiße Häuser, grüne Fensterläden, raffinierte Bauwerke sowie das unbedingte Festhalten am Zusammenspiel von Natur und Architektur gelten heute als Inselstatuten. Die 400 Meter hohe Aussichtsterrasse "Mirador del Río" auf dem Famara-Kliff, der üppige Kakteengarten im Dorf Guatiza oder das kubistische Fruchtbarkeitsdenkmal bei San Bartolomé tragen die Handschrift des Architekten, Malers, Bildhauers und Umweltschützers. Selbst auf Verkehrsinseln sind fantastische Gebilde aus der Werkstatt des Tausendsassas zu sehen. Als vom Wind bewegte Skulpturen tauchen sie plötzlich als Farbtupfer in dunklerer Wüste vor dem Autofenster auf und begleiten die Fahrt zurück in den Süden.

Weder das Ergebnis gestalterischer Inspiration von Manrique noch eine Laune der Natur sind indessen Zehntausende trichterförmige Vertiefungen auf den Lavafeldern von La Geria. Was zunächst wie ein zerbombtes Schlachtfeld aussieht, ist ein simples, aber bewährtes Bewässerungssystem für Weinanbau. Zwar liefert eine Entsalzungsanlage für Meerwasser auf der trockensten aller Kanareninsel ausreichend Trinkwasser, das reicht aber nicht zum Wässern der Reben. In der Bodega "Antonio Suarez" schenkt ein Bauer einen preisgekrönten Malvasai ein und beschreibt das offene Geheimnis ökologischer Agrarwirtschaft: "Die feine Oberschicht der Aschefelder kühlt nachts ab und begünstigt das Kondensieren von Luftfeuchtigkeit. Die Asche saugt Tau auf und gibt nachts jeden Tropfen in die Erde ab." Am Muldenrand schützen halbrunde Mäuerchen die Reben vor Wind.

Früher mussten die Kamele auf den Äckern arbeiten, heute tragen sie Touristen durch die Landschaft. 
- © Manfred Lädtke

Früher mussten die Kamele auf den Äckern arbeiten, heute tragen sie Touristen durch die Landschaft.

- © Manfred Lädtke

Allmählich kündigen auf der Weinroute kantige Steinformationen und massige Lavabuckel den Nationalpark Timanfaya an. Nahe der Feuerberge bei Uga traben Kamelkarawanen über die Schlacke und schaukeln Touristen in Sitzkörben 20 Minuten durchs Abenteuerland. Einmal Wüste und zurück kosten sechs Euro. Zeiten, in denen die vierbeinigen Wüstenschiffe vor den Pflug gespannt oder sich als Lastesel für Transporte ins Zeug legen mussten, sind längst vorbei. Heute machen rund 300 Dromedare als Reittiere vor Kameras bella figura und sichern ihren Besitzern ein tägliches Auskommen.

Der erste Hotspot im Parque Nacional ist nur wenige Kilometer entfernt. Für das Restaurant "El Diablo" könnte kein Name passender sein. Der Teufel hat aber nur scheinbar seine Hand im Spiel, wenn auf dem Rost über einem Erdloch ohne Strom und Feuer Hühner gegrillt werden. Den umweltfreundlichen Vulkanofen "befeuert" nämlich ausschließlich natürliche Energie aus dem Untergrund. Schon in wenigen Metern Tiefe erreichen die Temperaturen 400 bis 600 Grad Celsius.

Mit Wasserdampffontänen demonstrieren Ranger die höllische Hitze im Erdreich. 
- © Manfred Lädtke

Mit Wasserdampffontänen demonstrieren Ranger die höllische Hitze im Erdreich.

- © Manfred Lädtke

Wie höllisch heiß die kilometertiefen Magmakammern sind, demonstrieren Ranger vor der Tür. "Cuidado, Attention, Vorsicht!" Ein Mitarbeiter kippt Wasser in ein Rohr im Erdreich – dann springt er flink beiseite. Sekunden später schießt eine kochende Fontäne mit Karacho in die Luft. Einen Steinwurf weiter sind ebenfalls Feuerteufel am Werk. Eine Erdmulde wird mit Gestrüpp gefüllt, das im Nu in Flammen lodert. Hier bekommt keiner kalte Füße.

Stop! Eine Rundtour durch den versteinerten Nationalpark ist zum Schutz der empfindlichen Natur mit dem Privatauto verboten und nur in bereitstehenden Bussen möglich. Welcome to the Moon – willkommen auf dem Mond. Auf beängstigend schmalen Serpentinen lenkt der Fahrer das Fahrzeug geschickt durch eine 50 Quadratkilometer große Welt aus verbrannter Erde. Auf Haarnadelkurven geht es eine Stunde lang vorbei an Kratern mit weit aufgerissenen Mäulern, in Feuerschluchten durch den Krater Caldera Quemada sowie durch kahle Asche- und bröckelige Lavafelder, die wie ein schwarzes Tuch auf der surrealen Mondlandschaft liegen. Weit und breit unwirkliche, einsame Stille. In dieser Endzeitstimmung singt kein Kanarienvogel.

Manch einem mag angesichts dieser mystischen Bilder die Apokalypse in den Sinn kommen. Ist das alles Vergangenheit oder schon die Zukunft? Und nirgendwo wird deutlicher, dass Lanzarote kein beschaulicher Ferienort ist, wie ihn sich sonnenhungrige Urlauber erträumen. Dafür aber ein Fleckchen Erde mit viel geologischem Sexappeal. Klar, dass die Filmindustrie derart markante Bühnenbilder für Science-Fiktion-Produktionen liebt. "Doctor Who", "Als die Dinosaurier die Erde beherrschten" und angeblich die erste Folge von "Planet der Affen" haben hier gespielt.

Auch wenn dieses naturgeschichtliche Juwel kein Garten Eden ist, auf Hingucker und paradiesische Eindrücke müssen Besucher nicht verzichten. Seit täglich Dutzende Busse Touristen zur Bucht von El Golfo bringen, ist es dort mit der Ruhe zwar vorbei, das ist aber kein Grund, den Pfad hinauf zum nächsten Naturwunder zu ignorieren. Eine Aussichtsterrasse gibt den Blick frei auf die Lagune "Lago Verde" in einem zum Ozean hin geöffneten Krater. Am späten Nachmittag, bei idealem Sonnenstand, lassen Algen den See inmitten einer bizarren Kulisse aus blauem Atlantik, schwarzem Strand und der knalligen Farbenpracht vulkanischer Steilwände in hellem Smaragdgrün leuchten.

Algen lassen den "Lago verde" smaragdgrün leuchten. 
- © Manfred Lädtke

Algen lassen den "Lago verde" smaragdgrün leuchten.

- © Manfred Lädtke

Unten im Fischerdörfchen El Golfo deckt Adrian bereits die Tische in der Taverne "Bogavante". Wie in allen Restaurants im Dorf haben die frischen Fischgerichte auch hier ihren stolzen Preis. Dafür ist ein luftiger Logenplatz direkt am Meer mit Aussicht auf einen der schönsten Sonnenuntergänge inklusive.

"Que lastima!" Schade, bedauert Jorge später im Autoverleih, dass das weiße Haus von César Manrique mit seinen Zimmern in vulkanischen Blasen sowie einem Museum in Tahice kein Ziel der Reise war. Weiter oben in Haría sei Manrique mit 73 Jahren bei einem Zusammenstoß in seinem geliebten Sportwagen gestorben. Ein Unfall? Jorge hängt die Autoschlüssel an ein Wandbrett und zuckt die Achseln: "Quizás." Vielleicht. Der engagierte Naturschützer habe nicht nur Freunde auf der Insel gehabt.