Spielen fördert die Kreativität, schärft das Sozialverhalten und ist obendrein die beste Art, Neues zu erlernen. Insofern war es nur konsequent, die 70. Internationale Pädagogische Werktagung dem Spielen zu widmen. Der Tagungsband dazu ist soeben erschienen und trägt den programmatischen Titel "Faszination Spiel" (Verlag Anton Pustet).
Zum Jubiläum blickt darin der Präsident der Fachtagung, Anton A. Bucher, zum Abschied zurück auf seine 23-jährige Amtszeit und stellt auch fest: Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Krisen von Ukraine-Krieg bis Energieunsicherheit mute es fast als Luxus an, sich mit dem Spiel auseinanderzusetzen. "Aber man kann es auch umgekehrt sehen. Gerade angesichts dieser politischen und ökonomischen Katastrophen ist es notwendig, sich mit dem Spiel zu beschäftigen und zu diesem zu ermutigen. Spielen hat Kultur hervorgebracht, ist Kreativität, Freiheit, setzt heilende Kräfte frei und ist erfülltes Menschsein. Vor allem aber verbindet es und stiftet Gemeinschaft."

Auch die anderen Beiträge betonen den Wert des Spielens, vor allem des freien Spielens. Die Texte stammen vom Philosophen Christian Klager, vom Kinderarzt Oskar Jenni, vom Digitalisierungsprofessor Fares Kayali, von der Sozialpädagogin Helga Lindner, von der Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel und von Thomas Brezina. Der Bestsellerautor, der soeben 60 Jahre alt geworden ist und erst seit ein paar Jahren neben Kinder- auch Erwachsenenbücher schreibt, erklärt im Interview mit der "Wiener Zeitung", dass man nie zu alt zum Verspieltsein ist, warum sein ganzes Berufsleben einen spielerischen Zugang hatte und hat und was ihn an seinem Lieblingsspiel Backgammon fasziniert.
"Wiener Zeitung": Herr Brezina, haben Sie ein Lieblingsspiel?
Thomas Brezina: Ich bin ein ganz großer Backgammon-Fan.
Was reizt Sie daran?
Es ist diese Mischung aus Würfelglück und Taktik, die den Kitzel ausmacht. Man muss immer darauf eingehen, was gewürfelt wird. Das ist eine Herausforderung, auf alles zu reagieren, was da passiert.
Soll Spielen also auch eine Herausforderung sein?
Da müssen wir unterscheiden, von welcher Art Spielen wir reden. Es gibt das spielerische Erleben der Welt, diesen angeborenen Spieltrieb, den jedes Kind hat. Und bei Spielen wie Backgammon und viele andere, da geht es um eine Herausforderung, um Reaktion, aber auch um Freude und Spaß.
Vermutlich wird heute immer mehr am Handy oder an der Konsole gespielt und weniger am Wohnzimmertisch. Macht Ihnen das Sorgen?
Wir leben in einer Zeit, wo die Bandbreite immer größer wird. Und schon Paracelsus hat gesagt: "Alles ist Gift, es kommt immer auf die Dosis an." Das sehe ich auch hier. Wir können nicht in einer Zeit, in der es immer mehr Möglichkeiten zu spielen gibt, sagen: Das ist das Gute, das ist das Schlechte. Früher war es so: Fernsehen ist böse, Lesen ist gut. Mittlerweile ist es so, dass Fernsehen schon gut ist und Computerspielen böse. Das verschiebt sich. Ich bin absolut gegen diese Schwarzweißmalerei. Aus meiner eigenen Umgebung kann ich eines sagen: Kinder, bei denen sich die Eltern auch Zeit nehmen, zum Beispiel Brettspiele zu spielen oder auch mit ihnen einfach rauszugehen, haben viel eher Zugang zu allem als Kinder mit Eltern, die zu beschäftigt dafür sind. Da ist oft nicht einmal ein böser Wille dabei, sondern sie haben einfach zu wenig Zeit, und da können die Kinder halt mit Handy oder Spielkonsole leichter beschäftigt werden. Es kommt schon auf die Möglichkeit des persönlichen Einsatzes an. Und auf das Miteinander, gerade beim Spielen.
Es gibt aber auch Kinder, die offenbar mit analogen Spielen gar nichts mehr anfangen können. Die kann man ja schlecht zu Brett- oder Kartenspielen zwingen. Aber sollte man da einfach aufgeben und akzeptieren, dass das wohl nichts mehr wird?
Keines von beidem! Prinzipiell glaube ich, dass man Kindern etwas sehr Gutes tut, wenn man sie schon früh im Leben mit vielen verschiedenen Möglichkeiten zum Spielen in Verbindung bringt. Das ist das Gleiche wie beim Vorlesen. Das ist etwas wahnsinnig Wichtiges. Wird aus jedem Kind, dem viel vorgelesen wird, eine begeisterte Leserin? Nein, nicht unbedingt. Ich kenne eine Familie mit drei Kinder, denen allen vorgelesen wurde und wird - eines liest unglaublich viel, eines verweigert das Lesen mehr oder weniger, und das dritte liest fallweise. Wir haben es hier mit unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun. Es ist ja auch nicht so, dass jeder Erwachsene begeistert Brettspiele spielt. Es geht darum, das nicht nur anzubieten, sondern da muss man schon auch miteinander Spaß haben, das halte ich für wichtig. Kinder sind natürlich sehr unterschiedlich. Ich war als Kind kein begeisterter Brettspieler - nur "DKT" und "Fang den Hut" habe ich geliebt und ganze Sommer lang mit meiner Oma Karten gespielt. Aber "Mensch ärgere dich nicht" habe ich doof gefunden. Spielegeschmäcker sind verschieden. Ich glaube aber, wenn Kinder zu sehr nur in eine Richtung gehen, zum Beispiel nur am Computer spielen wollen, dann muss man schauen: Was gibt es für Alternativen? Muss das ein Brettspiel sein? Nein, es gibt auch vieles andere!
Gerade Kinder können ja oft schlecht mit dem Verlieren umgehen. Insofern wundert es nicht, dass kooperativen Spielen wieder verstärkt im Trend liegen. Sind die besser als Spiele mit Gewinnern und Verlierern?
Ich finde, da gibt es kein Besser oder Schlechter. Beides ist wichtig. Aber es gab eine Zeit, da wurden nur kooperative Spiele als gut bezeichnet, und da haben viele Kinder gesagt: "Das ist aber langweilig." Und es ist ja bitte auch nicht das Leben. Im Leben ist Zusammenhalt etwas wahnsinnig Wichtiges. Aber manchmal klappts und manchmal eben nicht. Und zu lernen damit umzugehen, dass etwas nicht funktioniert, dass man etwas nicht geschafft hat, halte ich für wichtig. Ich habe einen Wahlneffen, der hat Wutanfälle ohne Ende bekommen, wenn er verloren hat, da ist auch alles durch die Gegen geflogen. Die Eltern haben überlegt, ob sie ihn lieber gewinnen lassen sollen, und dann entschieden: Nein. Sie haben ihn toben lassen. Ein halbes Jahr später hat er sich eingekriegt, weil niemand mehr mit ihm spielen wollte. Und er kapiert hat, dass er vielleicht anders damit umgehen muss.
Spielen die Kinder heute genug?
Meiner Beobachtung nach wird von ihnen zu viel verlangt, oft gut gemeint: Kurs da, Kurs dort, dieses lernen, jenes lernen und so weiter. Der Raum fürs freie Spielen - sowohl örtlich als auch zeitlich - fehlt da oft, weil die Großen glauben, dass die Kinder möglichst viel erlernen müssen. Dass man auch beim Spielen etwas lernt, auch das Miteinander, dem kann man ruhig mehr Bedeutung, aber auch mehr Wert zumessen. Und auch Langeweile muss einmal erlaubt sein. Denn aus Langeweile entsteht Kreativität.
Sie sind vor kurzem 60 Jahre alt geworden. Kann man zu alt zum Spielen und zum Verspieltsein werden?
Nein, ganz sicher nicht! Im Gegenteil! Ich glaube, jeder Mensch, der ein freudiges, glückliches, erfülltes Leben hat, wird es in irgendeiner Form mit Spielen verbringen. Ich meine da nicht nur Brett- oder Kartenspiele. Das kann ja auch die Art sein, wie man miteinander redet, dass man nicht nur todernst über alle Schrecklichkeiten dieser Welt spricht, von denen es leider viel zu viele gibt. Fantasieren hat ja auch etwas Spielerisches. Ich muss dazusagen: Mein ganzes Leben hatte und hat eine spielerische Komponente. Mein Zugang zu Geschichten, zu Fernsehsendungen, zum Neugierigmachen für ein Thema ist immer spielerisch. Wenn ich nicht den Spaß und die Neugier entwickle, wenn ich nicht das Gefühl habe, das ist es - wie soll es dann jemand anderer haben? Aber um diese spielerische Komponente sorge ich mich auch, die behüte ich. Und es gibt einen Satz, den ich gesetzlich verbieten möchte, und der lautet: "Jetzt beginnt der Ernst des Lebens", wenn Kinder in die Schule kommen. Warum sagen wir nicht: "Jetzt beginnt das größte Abenteuer"? Oder: "Jetzt beginnt ein Spiel, bei dem du entdecken wirst, was es alles gibt. Das ist manchmal anstrengend und herausfordernd - aber es ist toll!"
Vor kurzem haben Sie Ihr 600. Buch veröffentlicht. Wie verhindern Sie bei dieser Riesenmenge, dass sie sich selbst kopieren? Lässt sich das überhaupt verhindern?
In dem Moment, wo mir zu einfach eine Idee kommt oder ich nur entferntest das Gefühl habe, dass ich etwas schon einmal geschrieben habe, mache ich es nicht. Und ich habe sehr gute Lektorinnen und Lektoren, die selbstverständlich darauf schauen. Und ich suche auch ständig neue Herausforderungen. Mein 600. Buch ist eines für Erwachsene, und im Endeffekt geht es um eine Lebensphilosophie. Etwas, das ich in meinem Leben erlernt habe und jetzt in eine Geschichte verpacke, die vielleicht für andere Menschen interessant ist. Eine Bestärkung im Leben zu finden, mehr Freude zu entdecken, einen gewissen Halt, Orientierung - in dem Buch sind Dinge, die das bei mir bewirkt haben, aber eben in eine Geschichte verpackt. Und eine Geschichte ist ja auch etwas Spielerisches. Ob ich etwas in zwanzig Kapiteln erkläre oder ob ich etwas erzähle in einem Erleben - da ist das Erleben oft wesentlich zugänglicher, weil die Leute sich hineinversetzen können.
Sie haben recht spät mit den Erwachsenenbüchern begonnen. Ist bei Ihnen also doch letztlich der Ernst des Lebens eingezogen?
Nein. Man hat mir zwanzig Jahre lang vorgeschlagen, Bücher für Erwachsene zu schreiben, und ich habe es immer abgelehnt, weil es einfach nicht aus mir gekommen ist. Es ist prinzipiell so, dass ich im Leben das mache, was auf mich zukommt, und die Herausforderung annehme, aber das nicht vom Kopf her bestimme. Aus purem Zufall - warum, weiß ich bis heute nicht - habe ich vor sechs Jahren plötzlich beschlossen, diese erwachsene Fortsetzung der "Knickerbockerbande" zu schreiben. Damit hat es begonnen. Parallel dazu habe ich begonnen, sehr viel auf Social Media zu erzählen, weil es mir einfach Spaß gemacht hat. Diese Insta-Storys sind ja im Grunde so ähnlich, wie ich als Kind ständig gebastelt habe: Man kann alles zusammensetzen und erzählen. Ich habe dann begonnen, da ganze Geschichten, ganze Krimis zu erzählen. Und dann habe ich auch damit begonnen, Dinge zu erzählen, die mir im Leben geholfen haben. Und da ist ein enormes Echo entstanden. Das hat sich so entwickelt. Dann hat sich ein Verlag bei mir gemeldet und mir vorgeschlagen, daraus ein Buch zu machen. Und so ist "Tu es einfach und glaub daran - Wie du mehr Freude ins Leben bringst" entstanden. Das ist alles gekommen. Und das ist aus meiner Sicht nicht der Ernst, sondern die Lebensfreude, die ich vermitteln möchte.
Das heißt, Ihre Bücher suchen Sie nicht, sondern die finden Sie?
Ja, genau so ist es.
Sie haben auch in London einen Wohnsitz. Wie haben Sie eigentlich den Brexit erlebt?
Auf zweierlei Arten. Für mich war immer das Gefühl, es gehört alles zusammen. Ich habe am Tag nach der Abstimmung in einem Amt angerufen, weil eine Bestätigung unserer Heiratsurkunde nicht angekommen war, und ich habe gemeint, sie sollen es doch eingeschrieben schicken. Und da plötzlich sagt der Mensch am Telefon: "Das macht man vielleicht so bei euch in Europa, aber nicht bei uns." An dem Tag habe ich gewusst: Da ist etwas passiert. Und ich musste dann auch um eine Art Aufenthaltsgenehmigung ansuchen. Die habe ich zwar ohne weiteres bekommen, aber ich habe sechs Wochen darauf gewartet, und es war ein ganz komisches Gefühl.
Wird in England eigentlich anders gespielt als bei uns?
Es ist nicht repräsentativ, aber mein persönlicher Eindruck ist, dass Brettspiele dort weniger populär sind als in Österreich. Dafür ist alles, was mit Fantasy zu tun hat, wesentlich stärker verbreitet, also zum Beispiel Rollenspiele. Ich glaube auch, dass der spielerische Faktor ernster genommen wird als bei uns. Er hat mehr Achtung, mehr Respekt. Das hängt aber auch damit zusammen, dass in England Kultur immer etwas für möglichst viele Menschen sein soll und nicht für eine Bildungselite.
Dort sind ja auch öffentliche Museen gratis.
Genau. Es geht darum, möglichst viele Menschen zu erreichen. Ein William Shakespeare hat sich nicht hingesetzt und gesagt: "Ich schreibe jetzt Weltliteratur." Sondern der musste Abend für Abend ein Theater füllen! Und Charles Dickens hat seine Geschichten in Fortsetzungen in einem Hausfrauenmagazin veröffentlicht. Das ist auch der Grund, warum in manchen seiner Geschichten jemand überraschend stirbt: Da ging damals die Auflage zurück, und er musste ankündigen, dass nächstes Mal jemand sterben wird, damit sie wieder in die Höhe gegangen ist. Aber die Geschichten haben ein hohes soziales Anliegen, und gleichzeitig sind sie so erzählt, dass sie Menschen zutiefst berührt und bewegt und dabei unglaubliche Spannung erzeugt haben, wie es weitergeht. Ich glaube, da liegt schon ein bisschen ein Unterschied. In England sind große Ausstellungen, auch für Erwachsene, so gestaltet, dass ganz großes Augenmerk auf das Erleben gelegt wird. Da sind wir wieder beim Spielerischen.
Sollte bei uns in der Schule mehr gespielt werden?
Ja. Das ist aber in etlichen Schulen schon sehr wohl der Fall. Da beobachte ich, dass nicht nur der Wille da ist, sondern auch der Wert gesehen wird.
Also nicht nur "Bewegte Klasse", sondern auch "Spielende Klasse".
Ja, unbedingt. Das ist beides wichtig. Manches kann im Spiel wesentlich besser entdeckt werden. Ich glaube auch, dass sehr viel soziales Verhalten im Spielerischen unglaublich gut trainiert und innerlich begriffen werden kann. Nicht vom Hirn her, sondern aus dem Herzen. Denn alles, was vom Herzen herauskommt, ist das, was bleibt.