Lang ist‘s her, aber Portugal war einst eine richtige Großmacht und nicht bloß Fußball-Europameister. Das Padrao dos Descobrimentos (Denkmal der Entdeckungen) in Belem, einem Stadtteil Lissabons, lässt ahnen, wohin die Reisen gingen. Wie ein gewaltiger Schiffsbug ragt das siebenstöckige Bauwerk mit seinen steingemeißelten Entdeckern in den Fluss Tejo, der hier immer breiter wird und schließlich in den Atlantik mündet.

Ab dem 15. Jahrhundert arbeiteten sich portugiesische Flottenverbände die Küsten Afrikas vor, fanden schließlich den Seeweg nach Indien und machten das kleine Königreich zu einer globalen Handelsmacht: 240 Millionen Menschen sprechen heute noch portugiesisch, auch wenn nur zehn davon in Portugal leben, in Lissabon selbst gerade 520.000.
Vasco da Gama, Bartolomeo Dias, Pedro Cabral und all die anderen Abenteurer – heute wären sie wohl unter der Flagge von Red Bull unterwegs – legten den Grundstein für den Reichtum des Landes an der Südwestecke Europas, der Königen und Kirchenfürsten ein Leben in Saus und Braus ermöglichte. Die manuelinische Architektur der Übergangszeit zwischen Gotik und Renaissance, benannt nach der Blütezeit der Entdeckungsfahrten unter Manuel dem Glücklichen aus dem Hause Avis, brachte indische und orientalische Elemente mit stilisierten Steintauen, Korallen und tropischen Früchten. Nicht wenige davon finden sich in den Fassaden der Prunkbauten von Belem, Cascais und Sintra, wo Adelige und Exzentriker aus ganz Europa kuriose Schlösschen in die waldige Serra de Sintra stellen ließen und der britische Dichter Lord Byron "das glorreiche Eden" ortete.

Trendmetropole

Die Stadt auf den sieben Hügeln ist längst zur Trendmetropole geworden. Noch ist Overtourism wie in Barcelona ausgeblieben, wo sogar schon Eintrittsgebühren für Tagestouristen erwogen werden. Doch Lissabons viele Facetten machen die Stadt adretter als so manche andere – ein Streifzug durch das wellige Häusermeer, hügelauf und hügelab, gleicht bisweilen einer Zeitreise: Die Neuzeit tickt nicht mehr nur im behäbigen Tempo der legendären Uralt-Trams, die sich immer noch über die kopfsteingepflasterten Hügel bimmeln.

Wo feine Leute einst die Nase rümpften, flaniert man heute auf schicken Promenaden. Ehemalige Lagerhäuser sind zu stylischen Cafès geworden. Die Rua Augusta, die einstige Hauptverkehrsader des Geschäfts- und Bankenviertels Baixa, ist jetzt Fußgängerzone und wohl die mondänste Straße der Unterstadt, unten an der Fähranlegestellen des Rio Tejo. Dort, am Praca do Comercio, betrachtet König Josè I., Herrscher von 1750 bis 1777, hoch zu Ross das muntere Treiben zu den Füßen seiner Statue: Drei Seiten des Riesenplatzes sind von Ministerien umgeben, im Norden öffnet sich ein monumentaler Triumphbogen. Am anderen Ufer breitet die Statue des Cristo Rei seit den 1950ern ihre Arme aus: Auf einem 75 Meter hohen Sockel mit Aussichtsplattform erhebt sich die 28 Meter hohe Skulptur des Christus.

Mit dem Elevador de Santa Justa kommt man rasch in Lissabons Oberstadt. 
- © Günter Spreitzhofer

Mit dem Elevador de Santa Justa kommt man rasch in Lissabons Oberstadt.

- © Günter Spreitzhofer

Wer es eilig hinauf in die Oberstadt hat, nimmt den Elevador de Santa Justa, einen Aufzug aus senkrechter Eisenkonstruktion von Raoul Mesnier de Ponard, der 1902 eröffnet wurde. Dieser Stadtteil – Bairro Alto – wechselt mehrfach täglich sein Gesicht: Wohnquartier am Tag, dem Gemüseläden, Designer-Boutiquen und Antiquitätengeschäfte sein besonderes Flair geben. Und abends dann, wenn die Fado-Lokale und Karaoke-Bars endlich öffnen, haben nicht nur Nachteulen die Qual der Wahl.

In der Innenstadt schießen zwischen Greißlerläden und Bürgerhäusern mit Stuckfassaden gläserne Bürotürme empor. Doch trotz glitzernder Konsumtempel halten sich in der Alfama, der labyrinthischen Altstadt mit mehr Stufen als so mancher zählen kann, immer noch die Fischverkäuferinnen, als wäre die Zeit stehengeblieben. Wer immer den besten Blickpunkt sucht, ist am Miradouro de Santa Lucia gut aufgehoben: Auf den kachelgeschmückten Sitzbänken vor der kleinen Kirche lässt sich prächtig von alten Zeiten träumen, mit Blick auf die weiße Kuppel des Panteao Nacional inmitten des roten Dächermeeres, während Fähren und Frachter auf dem Tejo dahingleiten. Wer noch höher hinaus will, steigt zum Castelo de Sao Jorge hinauf, dem ehemaligen Königspalast: Und wer wirklich alles sehen will, besucht dort den Torre de Ulisses (Odysseusturm) und genießt durch ein Periskop einen 360-Grad-Rundblick – bis hinüber in das ehemalige Gelände der Expo 1998 im Osten der Stadt, der heute zum Parque das Nacoes (Park der Nationen) geworden ist.

Vom Castelo de Sao Jorge aus hat man einen großartigen Blick über Portugals Hauptstadt. 
- © Günter Spreitzhofer

Vom Castelo de Sao Jorge aus hat man einen großartigen Blick über Portugals Hauptstadt.

- © Günter Spreitzhofer

Dort ist es aus mit dem maurisch-kolonialen Erbe: der Gare do Oriente etwa, der neue Hauptbahnhof mit seinem filigranen Palmwedeldach, vom spanischen Stararchitekt Santiago Calatrava entworfen. Oder der Pavilhao do Conhecimento, das neue Technikmuseum mit Hands-on-Aktivitäten für Jung und Alt. Das Oceanario de Lisboa, das zweitgrößte Meeresaquarium der Welt, beherbergt 15.000 Meerestiere – nicht alle davon vergnügen sich im zentralen Becken, das allein fünf Millionen Liter Wasser fasst, ganz ohne Mithilfe des Tejo. Bis zum Torre Vasco da Gama, mit 145 Metern immer noch höchster Turm des Landes, ist es bloß ein Kilometer: Wer es luftig mag, nimmt dorthin den Teleferico (Seilbahn), der am Oceanario startet und – in 20 Metern Höhe – bedächtig das Tejo-Ufer entlangschwebt.

Mafra und Fatima: Profaner und religiöser Kult

Überdimensionale Paläste aus lang vergangenen Blütezeiten prägen das Umland der portugiesischen Hauptstadt. Mafra etwa, vierzig Kilometer nordwestlich von Lissabon, ist eigentlich eine beschauliche Kleinstadt. Doch der königliche Klosterpalast (Palacio Nacional) im Zentrum ist der größte der iberischen Halbinsel: 40.000 Quadratmeter, 250 Meter Länge, 1.200 Säle mit 4.500 Türen und Fenstern, teils ein wenig windschief, staubig und morbid. Errichtet von 45.000 Arbeitern für Joao V. und seine Gemahlin Maria Anna von Österreich, die sich dort jedoch nur ein paar Tage aufhielten, ist der weiße Klotz heute teils ein Riesenmuseum, wo sich die Besucher rasch aus den Augen verlieren können.

Fatima ist Marienkultstätte und begrüßt jährlich rund vier Millionen Pilger. 
- © Günter Spreitzhofer

Fatima ist Marienkultstätte und begrüßt jährlich rund vier Millionen Pilger.

- © Günter Spreitzhofer

Das kann in Fatima kaum passieren: Der Pilgerort liegt eine Autostunde nördlich von Lissabon, wo Mitte Mai 2017 die hundertjährige Marienerscheinung gefeiert wurde. Das 10.000-Einwohner-Städtchen verdankt seinen arabischen Namen übrigens einer Legende: Ein maurisches Fräulein dieses Namens verliebte sich in einen christlichen Ritter und konvertierte zum Christentum. Jedenfalls kein schlechtes Omen für eine neue Marien-Kultstätte: 1930 erklärte der Bischof von Leiria die Erscheinungen für glaubwürdig und gestattete die öffentliche Verehrung "Unserer Lieben Frau von Fatima". Seither ist das Städtchen neben Lourdes der bedeutendste katholische Marienwallfahrtsort Europas geworden – jährlich vier Millionen Pilger waren es zuletzt, auf der Suche nach Hilfe, Hoffnung und Heilung, deutlich mehr als der portugiesische Jakobsweg (Caminho Portugués) je anziehen konnte.

Viele sind seit Tagen unterwegs, nächtigen in Garagen und Feuerwehrgebäuden, und haben oft noch ihre grün-gelben Pannenwesten an, die sie im Gänsemarsch am Straßenrand ein wenig beschützen sollten. Denn Weitwanderwege wie nach Santiago de Compostela gibt es keine. Die meterlangen Kerzen, in den Souvenirhallen Fatimas wie in Baumärkten nach Länge und Dicke geordnet, kaufen sie aber erst jetzt. Oder Wachsbabies, Wachsbrüste und Wachsknie in Originalgröße, je nachdem, was Heilung oder Hoffnung braucht. Dazu Schneekugeln mit Hirtenkind, fromme Posterrollen made in China und garantiert unzerbrechliche Mini-Madonnen für Heimreise und Handgepäck – unvergessliche Souvenirs des Holy Business, das auch um andere sakrale Stätten immer schon recht gut gedeiht.

Cascais und Nazaré: Sun, Surf & Fish

Ruhe findet man anderswo: Im Naturpark Cascais-Sintra, eine halbe Stunde westlich der Hauptstadt, liegt der westlichste Punkt von Festland-Europa. Am Cabo da Roca, an der Steilküste zum Atlantik, können Abenteurer gar ein Zertifikat erstehen, dass man dort war, was keines allzu großen Entdeckergeistes mehr bedarf, wie Herr Magellan bestätigen würde.

Den braucht es eher, um in die "Boca do Inferno" abzusteigen, einen schaumumtosten Klippenabbruch am Ortsrand der königlichen Sommerresidenz Cascais, das heute ein mondänes Seebad geworden ist. Oder man streift doch lieber über Küstenwanderwege rundum, in duftenden Blumenmeeren, und staunt über die chromblitzenden Porsche Cabrios und Range Rovers auf Überlandpartie, deren Fahrer Staubbrille und Lederhandschuhe bisweilen ablegen müssen, um die Kostümchen der adretten Beifahrerinnen zurechtzuzupfen.

Azenhas do Mar: Das malerische Städtchen klebt nahezu an der Atlantikküste. 
- © Günter Spreitzhofer

Azenhas do Mar: Das malerische Städtchen klebt nahezu an der Atlantikküste.

- © Günter Spreitzhofer

Azenhas do Mar und andere Fischerdörfer rund um Lissabon sind längst zu edlen Künstlerdomizilen geworden, wo Bacalhau à Brás (Stockfisch) und Ginjinha (Kirschlikör) gereicht werden. Fish&Chips interessieren hier niemand, die finden sich eher an den Surf-Hotspots bei Nazaré, die mittlerweile Eingang in das Guinness-Buch der Rekorde gefunden haben: 2011 gelang es dem Amerikaner Garrett McNamara, eine über 23 Meter hohe Welle zu surfen, die höchste bis dahin. Seither locken die Big-Wave-Contests tausende Schaulustige – die warten oft vergeblich, denn nicht selten ist der Atlantik dort so friedlich harmlos, wie es sich die alten Seefahrer immer gewünscht hätten, als Entdeckungsreisen noch Jahre gedauert haben und das Pökelfleisch an Bord bald ranzig war.

Ob der Fado, Portugals melancholischer Singsang um Liebe und Leid, die Crews aufgeheitert hat, ist nicht überliefert. Ob alle an Deck so schön waren, wie sich Senhor Ronaldo fühlt, die portugiesische Fußballikone auf Entdeckungsreise durch die Ligen Europas, noch weniger. Entdecken lässt sich immer etwas, das wusste schon Heinrich der Seefahrer, der Sponsor zahlreicher Fahrten in unbekannte Welten. Gosto dista Lisboa, schön war’s, auch rundherum.