Kanus können kippen, und zwar leicht und schnell. In der Au sah ich einmal einen Mann von hinten in das schnittige Wasserfahrzeug springen, auf dass es augenblicklich Fahrt aufnehme. Im Kanu ist die Mitte golden, der linke Fuß des Kanuten lag aber knapp daneben. Das Kanu fuhr, sein Schwerpunkt wanderte. Instinktiv breitete der Mann, immer noch aufrecht, Arme und Beine aus. Doch die Lage ließ sich durch keinen noch so artistischen Balanceakt mehr beruhigen. Am Ende einer gewiss unvergesslichen Schrecksekunde kamen beide Füße des Unglücklichen auf derselben Höhe zu stehen, der linke noch im Boot und der rechte schon auf dem Wasser, in das er schließlich plumpste: Kanus können nicht im Sturm erobert werden.

Mister Kanu.
Wer sich für solche Erkenntnisse interessiert, findet in Wien eine gute Adresse: "Arwex" an der U6-Station "Neue Donau". In dem Sportgeschäft kann man Kanadier und Kajaks kaufen oder ausleihen, Kanutouren buchen, sich mit Spitzenpaddeln, Schwimmwesten, Helmen, wasserdichten Säcken und sonstigem Zubehör für das schneidige oder gemächliche Dahingleiten in zahmen oder wilden Wassern eindecken. Man kann hier aber auch lernen, heil ins Boot und wieder heraus zu kommen.
Der Laden gehört dem Kanu-Diplomtrainer Werner Raabe. "Jeder, der gerade gehen kann, kann auch paddeln", sagt der Mittfünfziger. Wer aber nicht so gerne aus Erfahrung klug wird, kann bei ihm auch Kurse buchen. Wer es freier und wilder mag, sollte es unbedingt tun.

Das Kanu ist wie gemacht für Abenteuer: "Die schlammigen Fluten ließen uns auf manche Schotterbank auflaufen und wirbelten unser Boot in den überraschend auftretenden Strudeln wie einen Korken umher", beschrieb der Weltenbummler Algernon Blackwood vor mehr als hundert Jahren eine Kanu-Reise die Donau hinunter, und sein Kanadier, "sich aufbäumend wie ein feuriges Pferd", "stieß mit gelblich aufschäumender Bugwelle mitten hinein in die Wildnis aus Inseln, Sandbänken und den sich dahinter erstreckenden Sümpfen". Das kann man noch heute erleben, wenn man es darauf anlegt.
Doch auch wenn die Donau zahm ist, bereitet sie dem Kanuten Herzklopfen. Während sie im Staubecken des Wiener Flusskraftwerkes still liegt wie ein See, rauscht sie unterhalb Wiens wie ein Gebirgsfluss. Damit man nicht ratlos im Boot sitzt, wenn man mit 7, 8, 9 Stundenkilometern dahinsaust und das Wasserfahrzeug sich dreht, ausbricht oder andere Rätsel aufgibt, genügen zehn Stunden Training. Dann, sagt Werner Raabe, macht das Kanu mit einem nicht mehr, was es will.
Der Kanu-Sport hat in ihm einen ebenso beherzten wie gewitzten Vertreter gefunden, aber nicht nur dieser Sport: Als Geschäftsführer des ASKÖ Wien ist Raabe Mentor von 250.000 Freizeit- und Profisportlern, die in 750 Vereinen nach ihrer jeweiligen Fasson glücklich werden.

Der Ex-Bundestrainer des Kanu-Nationalteams paddelt, seit er 15 wurde. Damals, in den 70er Jahren, war das Kanufahren noch ein österreichischer Breitensport. In der Nachkriegszeit hatten noch viele Wiener ein Faltboot: Es war eine billige Möglichkeit, die Natur zu erkunden.
Ein Boot zum Überleben
Je weiter man in die Zeit zurückgeht, umso tragfähiger erscheint das Kanu. Es transportiert Menschen und ihre Habseligkeiten seit tausenden Jahren durch unwegsame Wildnis, hat sich bisweilen als Schlüssel zum Überleben erwiesen. Das Kajak der Inuit zum Beispiel: Es "wirkte auf mich wie die Miniaturausgabe der langen, schmalen, schnellen Kriegsschiffe der USS-Iowa-Klasse", schrieb der Evolutionsbiologe Jared Diamond. Der etwas drastische Vergleich sollte wohl zeigen, wie effektiv dieses Boot war. Die Kajaks der Inuit bestanden nur aus Fell, Holz und Knochen, aber sie konnten damit selbst große Grönlandwale jagen. Die Wikinger, die auch einmal auf Grönland lebten, mussten ihre Kühe nach den langen Wintern ins Freie tragen, so schwach waren die Tiere. Auf die Idee, ihre Lebensweise auf Beutetiere wie Robben oder Walrosse abzustimmen, die reichlich vorhanden waren, kamen sie einfach nicht. Und deshalb, resümierte Diamond in seinem Buch "Kollaps", starben sie aus.
Wer Donau sagt, muss Au sagen
Als Algernon Blackwood die Donau hinunter sauste, stach ihm ein Baum so sehr ins Auge, dass er seinen Reisebericht nach ihm benannte: "Die Weiden" sind an der Donau auch heute noch überall, wenngleich man sie nur bei Sturm und Regen als "Herde monströser, vorsintflutlicher Wesen" erkennen wird, "die ihren Durst löschen".
Die Weide ist der Baum der Römer, erfahren wir auf der Fahrt mit dem Großkanu durch die Stopfenreuther Au. Er diente ihnen als natürliche Apotheke, die von den Wurzelspitzen bis zu den Blättern allerlei Heilkraft bereit hielt. Ihr Carnuntum bauten sie in unmittelbarer Nachbarschaft zu den "monströsen, vorsintflutlichen Wesen", und man kann sie auf einer Bootstour durch die Hainburger Au in großer Zahl bewundern. Buchen kann man solche Fahrten im Zentrum des Nationalpark Donau-Auen in Orth. Ungefähr 8000 Personen lassen sich jedes Jahr von sachkundigen Rangern die Geheimnisse der Au zeigen. Ein Teil davon entscheidet sich für die Erkundungsfahrt im Kanadier. Bis zu zehn Leute können darin sitzen und paddeln. In so großen Booten ist die Schwankungsbreite naturgemäß größer, man muss also keine Angst vor dem Kentern haben. Drei, vier Stunden geht es durch die Au, und da so viele Leute mithelfen, spielt Kondition keine Rolle. Bei sportlicher gehaltenen Touren geht es auch hinaus auf die Donau.