Die Idee zum vinophilen Musenkuss in Wien kam von dem talentierten Winzer Franz Reinhard Weninger aus Horitschon im Mittelburgenland. Der stereotype Umgang mit Wein im Rahmen von Bewertungen und Punktevergaben, wie man es seit vielen Jahren gewohnt ist, sei ihm zu eintönig, sagt Weninger. Nachdem er schon zuvor den Wein in spezieller Weise mit Musik in Verbindung gebracht hatte, fand er nun mit dem Wiener Schriftsteller und Musiker Ernst Molden einen kongenialen Partner, um in Kombination mit seinen Weinen den kreativen Prozess des Schreibens auszuloten.
Nachdem die Wiener "Schule für Dichtung" eine "Schreib- und Trinkklasse" unter dem Motto "Weine erschreiben – der Rausch der Poesie, die Poesie des Rausches" ausgeschrieben hatte, war die Veranstaltung binnen Kurzem ausgebucht. Zum Teil fand diese direkt in den Räumlichkeiten der "Schule für Dichtung" in der Wiener Mariahilfer Straße statt, zum Teil ging sie in der freien Natur über die Bühne.
Ausgehend von der These, dass der Wein früher oder später zu Kontrollverlust führt und auch ein Dichter nach Kontrollverlust strebt, regte Ernst Molden die Teilnehmer dazu an, für sich herauszufinden, wie fruchtbar respektive unfruchtbar sich der durch Alkohol herbeigeführte Kontrollverlust auf die Produktion von Literatur auswirkt. Begleitet wurde der Schreibprozess an den einzelnen Tagen von unterschiedlichen Weinen aus dem Keller von Franz Reinhard Weninger.

Nach einer Aufwärmrunde, wobei die Teilnehmer zunächst Vierzeiler über ihre Befindlichkeit vor und nach dem Genuss des Weins verfasst und anschließend vorgetragen hatten, waren diese aufgerufen, Adjektive zum soeben getrunkenen Wein zu notieren. "Ich hätte gerne eine neue Weinsprache als Produkt dieser Klasse", so die Vorgabe von Molden. An dieser Stelle ist zu vermerken, dass – mit Ausnahme einer Teilnehmerin, die beruflich im Weinumfeld tätig ist – alle "Schüler" zwar eine persönliche Liebe für den Wein hatten, jedoch keine Weinkenner waren. Zu beziehen hatten sich die Adjektive auf einen 2013er Blaufränkisch mit 12,5 Volumsprozent Alkohol, der aus kleinen Achterl-Gläsern, wie sie anno dazumal in Wirtshäusern üblich waren, genossen wurde.
Tatsächlich ersannen die Teilnehmer recht eigenständige, durchaus nachvollziehbare und zum Teil recht treffliche charakterisierende Beiworte für Weningers Tröpfchen. Zum Teil handelte es sich um emotional gefärbte Zuordnungen wie "herzerwärmend", "ehrlich", "freundlich", "ich-erlöst", "blutig" oder "fröhlich", zum anderen Teil waren es unmittelbare sensorische Erfahrungen wie "stark", "flüssig" (= guter Trinkfluss), "geschmeidig", "erdig", "sanft" oder "salzig", wie sie teilweise auch in der üblichen Weinsprache vorkommen. Mit der Charakterisierung "gegen den Strich gebürstet" war ganz offensichtlich das kantige Tannin des Klassiker-Blaufränkischen gemeint. Freilich ist hier anzumerken, dass das Trinken aus den altvaterischen Minigläsern (aus denen das Bukett rasch verpufft) eine viel "weinigere" Wahrnehmung evozierte als dies bei hochwertigen Weingläsern, die ja bekanntlich wie ein Rauchfang zur Nase hin funktionieren, der Fall gewesen wäre.