In den 1950er- und 1960er-Jahren etablierte sich im deutschen Sprachraum die so genannte "Nachkriegsliteratur", welche sich eingehend mit den Gräueln des Zweiten Weltkrieges und den Versuchen zu deren Bewältigung auseinandersetzte. Nicht selten erwuchsen die Texte aus einer ganz persönlichen Betroffenheit der Literaten.
In Österreich ist in dieser Hinsicht vor allem der geniale Lyriker Ernst Jandl (1925–2000) hervorgetreten. Das in dem 1966 erschienenen Band "Laut und Luise" abgedruckte Gedicht "wien: heldenplatz" ist heute weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und zählt in Österreich längst zum Standardrepertoire der schulisch-literarischen Bildung.
1974 legte Jandl den faszinierenden Band "dingfest" vor, worin er mit dem Gedicht "vater komm erzähl vom krieg" noch einmal in eindrucksvoller Weise das Kriegsthema aufgriff. Pointiert spricht er damit ein Phänomen an, das hierzulande jahrzehntelang beobachtet werden konnte: den (verbalen) Umgang der Veteranen mit ihren Kriegserlebnissen.
Einerseits konnte beobachtet werden, dass Weltkriegsteilnehmer im Hinblick auf ihre soldatischen Erlebnisse regelrecht verstummten. Zu krass waren in solchen Fällen offenbar die Ereignisse im Kriege vor Augen getreten. Das Unaussprechliche mit seiner nachwirkenden Bildhaftigkeit sollte nach Möglichkeit durch eine Therapie des Schweigens in den Griff bekommen werden. Wir, die solcherart Angeschwiegenen, können über die Ursachen solch hartnäckiger Verschwiegenheit nur Mutmaßungen anstellen. Es ist die Vermutung naheliegend, dass diese Veteranen entweder selbst an inhumanen Handlungen teilnahmen beziehungsweise teilnehmen mussten oder aber unfreiwillige Augenzeugen von Gräueltaten wurden.
Überaus augenfällig waren andererseits all jene, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit über den Krieg sprachen respektive alle möglichen Themen benützten, um ans Kriegsthema anzuknüpfen. In besonders krassen Fällen kamen solche Veteranen überhaupt nicht mehr vom Krieg los. Sobald nur irgend jemand gutmütig sein Ohr neigte, schilderten solch manische Kriegserzähler meist stundenlang bis zur völligen Ermüdung ihre Erlebnisse. Zumindest aber einen Teil ihrer Erlebnisse! Denn in dem einen oder anderen Falle konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei der Erzählung etwas (Wesentliches) ausgelassen wurde. Die ganz schrecklichen Bilder aus dem Krieg nämlich konnten oder wollten viele Veteranen vermutlich nicht nachzeichnen.
Sowohl das hartnäckige Schweigen der einen wie das permanente Thematisieren des Krieges der anderen sind wohl in vielen Fällen nichts anderes gewesen als Bewältigungsstrategien, um gewisse Schreckensbilder aus dem Gedächtnis zu verdrängen oder wenigstens zu verarbeiten.
Unser Foto aus dem Jahr 1941 zeigt jüdische Kriegsgefangene in der Ukraine auf dem Weg zur Exekution. Soldaten, die zu einem Erschießungskommando eingeteilt waren und solchen bedauernswerten Menschen Aug in Aug gegenüberstanden, ehe sie den Abzug betätigten, konnten die Gedächtnisbilder nach dem Krieg wohl in den allerwenigsten Fällen aus dem Kopf bekommen. Die entsetzten Blicke der Männer vor den Gewehrläufen, die Schüsse, das Zusammensacken der entseelten Körper... All diese Eindrücke schleppten die vormaligen Soldaten ein ganzes Leben lang mit sich herum.
In beeindruckender Weise und überaus facettenreich widmet sich die im ehemaligen Semperdepot präsentierte Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" – aus der unser Bild stammt – ganz bestimmten "Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944". Ganz im Gegensatz zur ersten Fassung vermittelt die nunmehr völlig überarbeitete Ausstellung einen auch für ehemalige Kriegsteilnehmer akzeptablen Überblick über das Thema. Sie provoziert nicht, sie klagt nicht an und sie belehrt nicht mit dem Zeigefinger! Hingegen versteht sich die thematisch gut strukturierte und keineswegs überfrachtete Ausstellung ganz offensichtlich als Einladung zum Dialog in jegliche Richtung.
Schade nur, dass in Österreich das allgemeine Geschichtsbewusstsein immer noch so unreif ist. Die Demonstrationen zur Ausstellungseröffnung mit den provokanten Slogans "Danke Großvater" und "Unser Großvater ist ein Mörder" zeugen davon. Es ist also notwendig, dass die Jugend kein klischeehaftes, sondern ein differenziertes Geschichtsbild erhält, und zwar durch einen guten schulischen Geschichtsunterricht, der weder abzuwerten noch zu kürzen ist, wie das von einer wirtschaftlich dominierten Lobby schon verlangt wurde. Nur so können unsere Kinder vor gefährlichen ideologischen Vereinnahmungen bewahrt werden.