Die Zunahme an Diversionen und Rücknahme bei den Verurteilungen seien deutliche Hinweise, dass es sich bei der Jugendkriminalität weiterhin überwiegend um Bagatelldelikte handle, so Beclin. Dazu zählen beispielsweise Sachbeschädigungen, Diebstähle (Ladendiebstähle, Aufbruch von Zeitungskassen) und der unbefugte Gebrauch von Fahrzeugen. Zur Einordnung: Wegen (einfachen) Diebstählen und Sachbeschädigungen wurden 2018 knapp 7800 Jugendlichen angezeigt, 614 Jugendliche wegen Raub und schweren Raubes.

Dass es sich bei der Jugendkriminalität zum Großteil um geringfügigere Delikte handelt, bestätigt auch Philipp Stadler, stellvertretender Leiter des Landeskriminalamtes Vorarlberg. "Meist handelt es sich dabei um Zusammenschlüsse von ortansässigen und gleichaltrigen Jugendlichen, die im Bereich des jeweiligen Wohnortes Strafdelikte begehen", so Stadler. Eine Änderung im Organisierungsgrad sei nicht feststellbar: "Wir können nicht bestätigen, dass Jugendbanden wieder in Mode kommen."

"Vorverlagerung bei Gewaltkriminalität"

Auffallend sind jedoch die Zahlen hinsichtlich der Gewaltkriminalität. Dazu zählen Delikte gegen Leib und Leben, die Freiheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung. In diesem Bereich waren 2018 laut polizeilicher Kriminalstatistik Anstiege bei den Jugendlichen zu verzeichnen.

2018 waren hier 6755 Tatverdächtige zwischen 14 und 17 Jahre alt - ein Plus von 12,7 Prozent gegenüber 2017. Auch bei den strafunmündigen Jugendlichen ist ein Plus zu verzeichnen. Bei den 18- bis 20-Jährigen blieben die Zahlen konstant, bei allen älteren Altersgruppen sinken sie hingegen. Insgesamt ging die Zahl der Tatverdächtigen bei Gewaltdelikten um 2,6 Prozent zurück.

Eine generelle sinkende Anzahl, aber ein deutlicher Anstieg bei den Jugendlichen: Laut Beclin könnte hier eine "Vorverlagerung" zu beobachten sein. "Denn generell nimmt die Gewaltkriminalität nicht zu - sie verlagert sich nur von den Erwachsenen zu den Jugendlichen."

Ein Grund dafür sei, dass sich Streitigkeiten unter jungen Menschen schneller als früher zuspitzen können, so die Kriminologin: "Aus dem Nichts heraus kann da eine blöde Streiterei eskalieren, die auf einem Missverständnis beruht." Diese Eskalationen beobachtet auch die Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Gabriele Wörgötter: "Schwerere Taten sind bei den Jugendlichen so gut wie nie geplant. Sie entstehen aus einer an sich nichtigen Situation heraus." In solchen Situationen würden die Jugendlichen gewaltsamer als früher vorgehen: "Die Taten sind dann massiver als früher. Es werden häufiger Waffen eingesetzt."

Beclin und Wörgötter machen als möglichen Grund die Überforderung der Jugendlichen mit persönlichen Kontakten aus: Das Handy, soziale Netzwerke und der ständige Leistungsdruck würden die Jugendlichen vermehrt belasten, der persönliche, direkte Kontakt komme zu kurz. "Außerdem gibt es zu wenig Betreuungsangebote für bedürftige Kinder und Jugendliche", so Wörgötter. Daher wüssten die Jugendlichen oft nicht mehr, wie sie mit Konfliktsituationen umgehen sollen.