Es gibt sehr gute Spiele - und es gibt Spiele, die zu den ganz großen gehören. "Horizon: Forbidden West" ist ganz klar bei Letzteren dabei. Solche Spiele stechen unter anderem deshalb hervor, weil sie in allen Disziplinen spitze sind - egal, ob Grafik, Geschichte, Geschicklichkeit oder generell. So wie ein Benjamin Raich oder ein Bode Miller, die von Slalom bis Abfahrt bei jedem Skirennen Goldmedaillenanwärter waren und konsequenterweise schließlich auch den Gesamtweltcup abgeräumt haben.

Schon die ersten Szenen sorgen für Wohlgefühl: Die Landschaft und die Personen im Spiel sehen aus wie extern eingespielte filmische Zwischensequenzen. Das Rauschen im Blätterwald, die im Wind tanzenden einzelnen Haare, die an der Haut herunterrinnenden Regentropfen: Alles fühlt sich echt und lebendig an. Entwickler Guerilla Games setzt hier einen Maßstab für das, was 2022 grafisch möglich ist.

- © Screenshot / Sony
© Screenshot / Sony

Jener Teil, bei dem es diesmal nicht ganz für Gold gereicht hat, ist die Geschichte, genauer gesagt: die Vorgeschichte. Hat man den Vorgänger "Horizon: Zero Dawn" nicht gespielt, ist es in den ersten Stunden mühsam, sich aus einzelnen Dialogen die Puzzleteile vergangener Geschehnisse zusammenzupicken, um ein Gesamtbild der Situation zu erhalten. Das in einer Welt, die an sich schon nicht zur Kategorie "Erzähl einmal kurz nebenbei" gehört. Denn die Erzählung ist zwar sehr gut, aber auch sehr kompliziert.

Die hochtechnisierte Menschheit hat sich in einer fernen Zukunft beinahe selbst ausgerottet. Tausend Jahre später lebt der traurige Rest auf dem Niveau von Eingeborenenstämmen, während technische Überbleibsel in Form von Roboterwildtieren die neuen Spitzenprädatoren sind. Dazu überzieht auch noch eine tödliche Seuche nach und nach das Land.

Als Klon einer führenden Wissenschafterin aus der Zeit vor dem Niedergang versucht man in "Forbidden West", die einzelnen Programme einer überlegenen Künstlichen Intelligenz aus vergangener Zeit zu finden und zusammenzusetzen, die die Erde wieder ins ökologische Gleichgewicht bringen soll. Abenteuerlich, interessant, aber eben nicht gerade leichte Kost. Eine etwas profundere Einführung am Anfang wäre da sicherlich hilfreich.

Fantastisches Kampfsystem

Hat man "Zero Dawn" hingegen gespielt, kann der Beginn ein wenig frustrierend wirken: In einem Moment hat man gerade noch die Welt gerettet, im nächsten ist der Erdball erneut nur Monate von seinem Untergang entfernt. Bei der Rettung gilt es unter anderem die erwähnten Maschinen, aber auch feindlich gesinnte Menschen zu besiegen. Das dazugehörige Kampfsystem gehört zum Befriedigendsten, das derzeit auf dem Markt ist. Auf der einen Seite stehen unterschiedliche Waffen zur Verfügung von Bogen über Lanzen bis hin zu Fallen. Hinzu kommen spezielle Elementarschäden wie Feuer und Eis. Natürlich kann man sich auch anschleichen, um Gegner aus dem Hinterhalt zu meucheln. Und dann sind da natürlich auch noch die Rüstungen, die unterschiedlichen Schutz gegen diverse Angriffe bieten.

Auf der anderen Seite gibt es Gegner mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Mit fortschreitendem Erfolg können noch spezielle Fähigkeiten freigeschaltet werden. So kann man mit einer Unzahl unterschiedlicher Kombinationen experimentieren und sich stetig verbessern, während die Stärke der Gegner graduell zunimmt. Damit ist für ständig neue Herausforderung gesorgt.

Abwechslungsreich

"Horizon: Forbidden West" verwebt auf kunstvolle Weise die Haupthandlung mit Kämpfen, der Lösung von Rätseln oder Kletter-, Lauf- und Sprungübungen. Dieser Abwechslungsreichtum bietet ebenso effektiven Schutz vor Monotonie wie die kohärenten, spannenden Charaktere.

Auch nicht selbstverständlich: Die Nebenmissionen machen Spaß und ergeben auch Sinn. Es gibt keine sich ewig wiederholenden Aufträge im Stil von: Gehe zu Ort X, finde die zehn dort befindlichen Monster, mach ihnen den Garaus und bringe von jedem einen Zahn. Stattdessen liegen diesen Ausflügen in der Regel politische, religiöse oder soziale Fragen zugrunde. Bei der Erzählung fasst "Horizon" tief in den Farbtopf der griechisch-römischen Mythologie, um Künstlicher Intelligenz einen besonderen Anstrich zu verpassen. Es gilt, die personifizierte Erde und Urmutter Gaia in Form eines Computerprogramms mit ihren Abkömmlingen wie Hephaistos, Poseidon und anderen gottgleichen Programmen wieder zu vereinen.

Von der Vorgeschichte abgesehen, hat "Horizon: Forbidden West" bei der Vermittlung der Hintergrundgeschichte eine angenehme Balance zwischen Erzählung und Erarbeitung im Selbststudium gefunden. Üblicherweise sieht dieser Zweispalt wie folgt aus: Das für ein flüssiges Spiel Notwendigste wird in Dialoge während des Spielgeschehens verpackt. Die Ausführungen und Details der Spielwelt findet man hingegen in über das Spiel verstreuten ausführlichen Notizen. Findet man solche, gibt es aber meist Spannenderes zu tun, was letztlich dazu führt, dass mehr als 90 Prozent der hunderten herumliegenden Notizen ungelesen bleiben. Hier sind diese Notizen auf ein erträgliches Maß reduziert und zudem noch mit Hinweisen gespickt, die zur Lösung der Rätsel beitragen.

Anspruchsvolles Minispiel

Fast schon zu viel des Guten ist das in großen Rollenspielen üblich gewordene mitgelieferte Minispiel, wie man es von "The Witcher" (Gwent) oder "Assassin’s Creed" (Orlog) kennt. "Maschinenstreit" ist ein schachähnliches Brettspiel, das ob der Vielzahl an Figuren, Bewegungsmöglichkeiten und Spielfeldern in der realen Welt nur schwer umzusetzen wäre. Als Minispiel ist es dafür ein anspruchsvoller Denksport mit guten Chancen, zu einem späteren Zeitpunkt als eigenes Game ausgekoppelt zu werden.

Zu den besten Dingen, die man über ein Spiel sagen kann, gehört, dass es nach 50 und sogar 100 Stunden noch immer Spaß macht und gut zu spielen ist. Dies trifft auf "Horizon: Forbidden West" zu. Man muss Action-Adventure-Rollenspiele schon wirklich hassen, um bei diesem Spiel nicht glücklich zu werden.

"Horizon: Forbidden West" erscheint heute, Freitag, exklusiv für die Playstation. Das Testmuster wurde der "Wiener Zeitung" zur Verfügung gestellt.