Kraken haben acht Arme, leben vor allem in warmen Gewässern, können sich ausgezeichnet tarnen und knifflige Aufgaben lösen. Das haben Volksschüler im Text "Faszinierende Kraken" als Teil der internationalen PIRLS-Studie (Progress in International Literacy Study) erfahren. Wie gut sie selbst im Anschluss gestellte Aufgaben lösen konnten, hing von ihren Lesekompetenzen ab, die im Rahmen der Studie erhoben wird. Sie soll Teilnehmerländern als Grundlage für schulpolitische Entscheidungen dienen und helfen, die Effektivität einzelner Bildungssysteme zu bewerten und zu vergleichen. Die Ergebnisse von 2021, die am Dienstag veröffentlich wurden, galten darüber hinaus aber auch als Indikator, wie sehr der Lernfortschritt von Schulkindern unter der Corona-Pandemie gelitten hat.
Alle fünf Jahre werden Lesekompetenz und Einstellung zum Lesen bei Schülern in der vierten Schulstufe – in Österreich also in der vierten Klasse Volksschule – getestet. 57 Länder nahmen 2021 teil, wenngleich nur 43, darunter Österreich, die Tests wie geplant im Frühjahr durchführten. 14 Länder verschoben die Erhebung um ein halbes Jahr, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschwert.
Fest steht: Die Lesekompetenz der 4.800 teilnehmenden österreichischen Volksschülern hat im Vergleich zu 2016 abgenommen – allerdings nicht so stark wie vielfach befürchtet. Erreichten die Kinder damals im Schnitt noch 541 Punkte, waren es im zweiten Pandemiejahr 530, was dem Niveau von 2011 entspricht. Insgesamt liegt Österreich damit signifikant über dem internationalen Schnitt (509) und im EU-Schnitt (527). Am besten lasen Schüler aus Singapur (587), Hongkong (573), Russland (567) und England (558), innerhalb der EU waren Finnland und Polen Spitzenreiter.
Verschlechterungen oder eine Stagnation bei der Lesekompetenz waren aber auch im Großteil der Vergleichsländer zu verzeichnen gewesen, nachdem es bei früheren Erhebungen viel häufiger zu Verbesserungen gekommen war. Daraus müsse man, bezogen auf das Gesamtergebnis, ableiten, dass Corona wohl eine Rolle gespielt habe, sagt Dirk Hastedt, Geschäftsführer der IEA, die die PIRLS-Studie durchführt, gegenüber der APA.
Auf- und Abbewegungen nicht ungewöhnlich
Wie groß diese Rolle allerdings in Österreich war und wieweit die Verschlechterungen auf "Änderungen beim Lehren und Lernen" zurückzuführen seien, sei laut Hastedt dagegen schwieriger zu beantworten. Denn grundsätzlich seien solche Auf- und Abbewegungen nicht ungewöhnlich, heißt es in der Studie. So hat die Lesekompetenz in Österreich etwa auch zwischen 2006 und 2011 abgenommen, ganz ohne Pandemie. Man habe von einigen Forschern gehört, ein ganzes Schuljahr sei durch die Corona-Maßnahmen verloren gegangen, sagt IEA-Geschäftsführer Dirk Hastedt gegenüber der APA, tatsächlich dürften "die Verluste weniger ausgeprägt sein als von vielen erwartet".
Während das Gesamtergebnis im guten Mittelfeld liegt, zählen rund ein Fünftel der Volksschüler in Österreich zu den schwachen beziehungsweise sehr schwachen Lesern, die maximal einfache Leseaufgaben lösen können. International sind es sogar 25 Prozent. Sieben Prozent gehören dagegen zur Gruppe mit dem besten Abschneiden, hier liegt Österreich genau im internationalen Schnitt.
Mädchen lesen besser als Buben
Insgesamt lesen Mädchen – in Österreich ebenso wie international – besser als Buben. Über alle teilnehmenden Länder gerechnet, betrug der Unterschied 16 Punkte, in Österreich 14. Im Vergleich zu 2016 hat sich dieser Abstand allerdings deutlich vergrößert, damals waren es sechs Punkte.
Nicht verändert hat sich dagegen die Kluft zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund. Diese betrug 2016 wie 2021 52 Punkte, internationale Vergleichszahlen gibt es nicht. Bereinigt man diese Differenz um den sozioökonomischen Hintergrund, verringert sie sich auf die Hälfte.
Denn das Abschneiden der Kinder beim Lesetest hängt maßgeblich von Faktoren wie Bildungsstatus und Beruf der Eltern ab. International erzielten jene 30 Prozent der Schüler mit hohem sozioökonomischem Status im Schnitt 543 Punkte, jene 48 Prozent mit mittlerem Status 501 und jene 22 Prozent mit niedrigem Status nur 457 Punkte. In Österreich ist der Abstand mit 98 Punkten sogar noch höher.
Dieser Umstand war der SPÖ nach Veröffentlichung der Ergebnisse Grund für Kritik. "Dieser massive Unterschied ist mehr als beunruhigend. Die Regierung muss hier endlich handeln und die Vererbung von Bildung beenden", wird SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler in einer Aussendung zitiert. Die FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl bemängelte wiederum die türkis-grüne Corona-Politik. Die Freiheitlichen hätten regelmäßig vor Bildungsrückständen durch Schulschließungen und "völlig unverhältnismäßigen Corona-Maßnahmen" gewarnt, durch die Studie fühle man sich in der Kritik bestätigt. (vis)