Kabul. Abseits, schamhaft versteckt lebt das einzige Schwein in Afghanistan. Es ist das vielleicht berühmteste Tier des Zoologischen Gartens von Kabul. Schwein Khunzir sorgte im Mai 2009 international für Schlagzeilen, als der kerngesunde Eber in Quarantäne musste, weil der weltweite Ausbruch der Schweinegrippe den Besuchern des Zoos Angst machte. Damit wurde es noch einsamer für Afghanistans einziges Schwein, das 2002 als männlicher Teil eines Paares aus China in den Tierpark gekommen war. Die Gefährtin starb wenig später und ließ Khunzir allein in einem tief muslimischen Land zurück, in dem Schweinefleisch und überhaupt jegliche Produkte schweinischer Herkunft aus religiösen Gründen verboten sind.

Inzwischen ist Khunzir wieder zu besichtigen, doch die Zoo-Besucher mögen ihn nicht besonders. Schweine gelten ebenso wie Hunde als unrein. Kein Wunder also, dass Khunzir sein altes Gehege am Eingang des Parks für eine Dromedar-Familie räumen hat müssen. Das weiße Schwein lebt nun in einer verwahrlosten Ecke des Zoos hinter drei ausrangierten Karussellen, die vor sich hin rosten. Das zwischen mehreren verfallenen Gebäuden liegende Areal ist voll von Müll. Die Besucher wenden sich angeekelt ab, allerdings eher wegen Khunzir.

Der 1967 eröffnete Zoo von Kabul spiegelt die wechselvolle Geschichte des Landes wider. In seiner Blütezeit beherbergte der Park einmal um die 500 Tiere, doch das ist lange her. Die Geschichten von Gewalt und Zerstörung sind legendär: Sowjetische Soldaten sollen sich einen Spaß daraus gemacht haben, die Zootiere abzuschießen. Später erlegten Taliban-Kämpfer das Wild, um ihre knurrenden Mägen zu füllen. Zwei Elefanten und ein Zebra sollen schließlich bei einem Schusswechsel zwischen zwei Mudjahedin-Fraktionen während des Bürgerkrieges getötet worden sein.

Heroischer Löwe

Auch das beliebteste Zoo-Tier hat eine traumatische Vergangenheit. Der Löwe Marjan war zu Lebzeiten der Stolz des Tierparkes. Seine leidvolle Geschichte machte ihn zum nationalen Symbol für Widerstand und Märtyrertum. Sicher ist, dass Marjan Ende der 1970er Jahre aus Deutschland in den Zoo am Hindukusch gekommen ist. Welches Deutschland allerdings den Löwen schenkte, lässt sich nicht mehr eindeutig nachvollziehen. Einige glauben, Marjan stamme aus dem Kölner Zoo, andere hingegen sagen, die damalige DDR habe Afghanistan das Tier geschenkt. 1993, auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges, sprang ein junger Mann in den Käfig, um seinen Gefährten zu imponieren. Die Mutprobe ging allerdings nicht gut für ihn aus. Marjan tötete den Eindringling in wenigen Augenblicken. Einen Tag darauf nahm der Bruder des Getöteten Rache, indem er eine Handgranate in den Käfig warf. Die Raubkatze überlebte, verlor aber ein Auge, ihr Gehör und ihre Zähne. Der Handgranaten-Werfer wurde von einem wütenden Mob angegriffen und erlag eine Woche später seinen Verletzungen. Der kriegsversehrte Löwe hingegen lebte noch bis Anfang 2002.

Wenige Wochen vor Marjans Tod hatte der Zoo erstmals nach Jahren des Krieges und der Isolation tierärztliche Hilfe aus dem Ausland bekommen. Doch die bessere Pflege hat dem Löwen, der Bürgerkrieg und die Taliban überlebte, auch kein längeres Leben mehr beschert. Kabul nahm von seinem aufrichtigen Helden mit einem öffentlichen Begräbnis Abschied. Marjans Käfig im Zoo ist bis heute respektvoll leer.

Auch nach fast zehn Jahren wird der Löwe so heroisch verehrt wie der Nord-Allianz-Kommandeur Ahmed Shah Massud, dessen Poster überall in Kabul zu sehen sind. Gleich am Eingang des Tierparks erinnert ein steinernes Denkmal an das legendäre Raubtier. Es dient als beliebtes Hintergrundmotiv für Erinnerungsfotos.

Um die 2000 Menschen besuchen den Zoo an jedem Tag, am Wochenende kommen bis zu 10.000 Gäste, die einen Ausflug auf das an und für sich hübsche Gelände machen. Viel gibt es zwar nicht zu sehen, doch Kabul ist mit Attraktionen nicht gerade gesegnet. "Viele Leute kommen hierher. Es ist wie Urlaub für sie", erzählt Gulam, der seit zwei Monaten im Zoo arbeitet und in einem kleinen Zelt in einem leeren Tierkäfig wohnt.

Rauer Umgang

Zwei Frauen mit blauer Burka und einer Schar Kinder haben sich neben dem von Gulam bewohnten Gehege niedergelassen und trinken Tee aus einer Thermoskanne. Der Zoo ist einer der wenigen Plätze in Kabul, wo Frauen und Kinder großteils in Ruhe gelassen werden. Wenn Frauen im männlich dominierten und streng konservativen Afghanistan sonst ohne Begleitung unterwegs sind, müssen sie Spott, Beschimpfungen und aufdringliche Avancen über sich ergehen lassen.

Aber auch der Umgang der Zoo-Besucher mit den Tieren ist rau: Ein Kind bewirft einen Braunbären mit einer Plastikflasche. Eine Gruppe von Männern versucht mit Holzstöcken die Schleiereulen in ihrem Käfig zu wecken. Auch die Wölfe, die viele Besucher für große Hunde halten, werden gezielt provoziert. Die grausame Vergangenheit des Landes habe die Menschen abgestumpft, sagt Zoo-Direktor Aziz Gul Saqib entschuldigend.

Doch auch andere Zoos in der Region sind eher Folterkammern als Zentren des Artenschutzes. Gewalt ist auch im indischen Neu Delhi oder im pakistanischen Lahore nichts Ungewöhnliches, wo die Zootiere mit Dosen und brennenden Zigaretten beworfen werden. Und trotz all dieser Widrigkeiten lässt sich etwas kaum bezweifeln - dass der Zoo von Kabul überhaupt wieder Besucher hat, ist schon ein Fortschritt.