Wien. Mit dem Auto muss man einmal im Jahr zum Mechaniker fahren, um gefährlichen Schäden vorzubeugen und das Pickerl für ein weiteres Jahr zu bekommen. Beim Menschen ist das ähnlich: Würde er regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen, "würde man Krankheiten rechtzeitig erkennen und zudem die Gesundheitskosten massiv dämpfen", sagte Karl Dorfinger, Präsident des Berufsverbands der Österreichischen Urologen, am Donnerstag. Anlass war die Präsentation der neuen Kampagne "Gesagt. Getan. Vorgesorgt." der Wiener Ärztekammer, die mit einer Website und einer Smartphone-App das Bewusstsein für die Vorsorgemedizin stärken soll. Allgemeinmediziner und Schriftsteller Günther Loewit vermutet dahinter allerdings eine Geschäftsidee der Medizin.

Nur 14 Prozent der im Osten Österreichs lebenden Bevölkerung gehen derzeit zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung, im Westen sind es etwas mehr. Der Großteil davon sind Frauen. Vermutlich ist das aber nicht der Grund dafür, dass Frauen mit einer Lebenserwartung von 83 Jahren um durchschnittlich fünf Jahre länger als Männer leben, denn: "Sie leiden dafür häufiger an chronischen, durch Früherkennung vermeidbaren Erkrankungen", sagt Gender-Medizin-Spezialistin und Ärztin Alexandra Kautzky-Willer. Mehr als ein Viertel ihres Lebens sei von Krankheiten geprägt. Frauen leiden häufiger an Diabetes und doppelt so oft wie Männer an Depressionen.

Ziel der Kampagne ist laut Ärztekammer, die "Erwartung an gesunden Jahren" zu heben. Über die App kann man sein persönliches Profil erstellen. Danach wird man über empfohlene Untersuchungen informiert und an diese erinnert, zudem gibt es eine Liste, welche Ärzte diese anbieten.

Dass Darmspiegelungen und Prostatauntersuchungen lebensbedrohliche Krankheiten ans Licht bringen können, ist auch laut Loewit unbestritten. Brust-, Gebärmutterhals-, Prostata- und Darmkrebs haben im Frühstadium keinerlei Symptome, bei rechtzeitiger Diagnose sind die Heilungschancen signifikant höher.

"Sehr einseitiges Geschäftsmodell"


Die Sinnhaftigkeit der Vorsorgeuntersuchungen, wie sie derzeit forciert werden, stellt Loewit allerdings in Frage. Sämtliche Kampagnen hält er für ein "sehr einseitiges Geschäftsmodell" mit dem Ziel, den Menschen als lebenslangen Patienten zu binden. "Es gibt keine Vorsorgeuntersuchung, bei der man nicht irgendetwas findet", sagt er zur "Wiener Zeitung". Die Angst, krank zu sein, mache aber noch kränker. Der größte Fehler sei, Werte und Zahlen diverser Screenings wie Blutuntersuchungen oder Mammographien gesondert zu betrachten. "Sie machen keinen Sinn, wenn man sie nicht in Beziehung zum Menschen bringt. Das sind Alibiuntersuchungen." Sein Vorschlag: Die Vorsorgeuntersuchung je nach Patient individuell zu gestalten und vor allem nicht auf die Psychohygiene zu vergessen. Der Schlüssel dazu sei der Hausarzt, "der den Menschen ein Leben lang begleitet".