Wien. Seine große Schulliebe war die deutsche Literatur. Doch anstatt sich ausgiebig in Goethe und Schiller zu vertiefen, "musste ich 90 Prozent meiner Energie auf die Angstfächer Mathematik, Physik und Latein verwenden". Dieses Schicksal - was man gerne und gut macht zu vernachlässigen, um sich völlig auf das zu konzentrieren, was einen nicht besonders interessiert und einem nicht sonderlich liegt - will Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl den zukünftigen Schülern ersparen. Der seit Samstag 65-Jährige fordert mehr Individualisierung des Unterrichts - und hat auch sonst einige Bildungs-Ideen auf Lager.

Leitl fordert "ein System, das Talentreserven hebt", wie er am Montag vor Journalisten erklärte. Die Lehrpläne würden von allen Schülern das selbe Niveau verlangen. "Wo Probleme da sind, reitet man darauf herum. Wo mehr Talent ist, liegt es brach." Stattdessen soll im Zuge einer Individualisierung des Unterrichts von einem Schüler in besseren Fächern mehr, in schwächeren Fächern weniger verlangt werden. Wobei natürlich am Ende der Schulpflicht sichergestellt werden müsse, dass gewisse Mindeststandards erreicht seien. Das Alter soll dabei jedoch nicht eine starre Grenze bilden: "Zur Not dauert es dann halt ein Jahr länger."

Nicht einfach "schulscheu"

Gleichzeitig braucht es aus Sicht des WKO-Präsidenten aber auch eine verpflichtende Potenzialanalyse aller Schüler. Mit ihr soll letztlich festgestellt werden, wo die Begabungen der jungen Leute sind. Ziel soll sein, dass jeder 19-Jährige entweder einen Schul- oder einen Berufsabschluss hat. Gerade jene 8000 Jungen, die jedes Jahr ohne Schul- oder Lehrabschluss abbrechen - "gesellschaftlicher Sprengstoff" -, seien keineswegs einfach "schulscheu", sondern oft durchaus talentiert. Aber das Talent wird oft einfach nicht erkannt.

Für Leitl, einen bekennenden Fan des dualen Bildungssystems, geht es aber nicht nur um Schul- oder Berufsabschluss, sondern immer mehr um Berufs- und Schulabschluss. Nachdem in den letzten Jahren die Bemühungen im Bereich "Lehre mit Matura" intensiviert wurden, will Leitl künftig auch den anderen Weg gehen: "Matura mit Lehre." Nach abgeschlossener AHS-Matura soll es möglich sein, innerhalb eines Jahres (statt bisher in zwei) einen Lehrabschluss nachzuholen.

Kritikern - am Montag sprach sich etwa die Gewerkschaftsjugend gegen eine solche "Expresslehre" aus - hält Leitl entgegen, dass etwa im Strafvollzug einjährige Lehren durchaus gängig sind.