Wien. Stoff rein, Wissen raus. Wie Schülern Lernstoff vermittelt wird, ist seit Jahrzehnten gleich. Das Leben aber hat sich verändert. Mit jedem Jahr wächst die Vernetzung - und damit die Herausforderung, eine neue Art der Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen. Der Frontalunterricht in der Schule sei nicht mehr adäquat, um junge Menschen auf diese Zukunft vorzubereiten, sind viele Eltern und Pädagogen überzeugt. Vor diesem Hintergrund lud das Europäische Forum Alpbach gemeinsam mit der "Wiener Zeitung" und in Kooperation mit der Bildungs-NGO "jedesK!ND" am Montagabend zu den "Alpbach Talks" in die Albertina: Margret Rasfeld, Mitbegründerin der Initiative "Schule im Aufbruch" und Direktorin einer Berliner Gemeinschaftsschule, erzählte im Gespräch mit dem "jedesK!ND"-Bildungsaktivisten und AHS-Lehrer Daniel Landau, wie Schulen die Bildungswende schaffen können. Mit der "Wiener Zeitung" sprach sie schon vorab zu dem Thema.
"Wiener Zeitung": Frau Rasfeld, Sie sind Mitbegründerin der Initiative "Schule im Aufbruch". Worin besteht dieser "Aufbruch"?
Margret Rasfeld: Wir wollen Schulen dabei unterstützen, dass Schüler ihre Potenziale entfalten können. Denn dazu sollte Bildung dienen.

Was machen Schulen derzeit falsch?
Es wird zu wenig darauf geachtet, dass Lernen über Beziehung läuft. Jede Information hat eine kognitive Ebene und eine emotionale. Fast alle weiterbildenden Schulen bauen ihre Stundenpläne aber derzeit so, dass sie Beziehung verhindern. In der Volksschule ist es noch ein bisschen anders, weil da ein Klassenlehrer viele Stunden mit unterschiedlichen Fächern in der Klasse ist. Genau dieses Modell sollte man weiterführen: Ein Lehrer, der nur wenige Klassen hat, mit denen er viel Zeit verbringt. Dann ist Beziehung möglich. Und damit Wertschätzung, Anerkennung und Vertrauen zwischen Lehrern und Schülern. Erst wenn man jemanden genau kennt, kann man ihn individuell fördern.
Wie funktioniert das in der Praxis? Kein Lehrer kann sämtliche Fächer beherrschen.
Eine der größten Zukunftskompetenzen ist, mit Heterogenität umgehen zu können. Dazu müssen die Schüler lernen, sich selbst zu organisieren. Bei uns in der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, eine Ganztagsschule, gehören daher drei Klassen als Kleinteam aus 13- bis 15-Jährigen zusammen, das sind etwa 75 Schüler. Jede Klasse hat zwei Klassenlehrer, die 19 Stunden pro Woche nur mit ihren Schülern verbringen. Sie halten zum Beispiel einen gemeinsamen Klassenrat ab, bei dem alle ihre Probleme sagen können, oder man geht in einer Doppelstunde Mittagessen. Jeder Schüler hat auch einen Lehrer als persönlichen Tutor. Das Lernen selbst passiert in Form eines offenen Lernformats im Lernbüro. Das bedeutet, die Lernmaterialien für jedes einzelne Fach sind in bestimmten Klassenräumen, in denen auch der Fachlehrer sitzt. Jeder Schüler des Kleinteams entscheidet sich morgens: In welches Fach gehe ich? Wahlfreiheit erhöht maßgeblich die Motivation.