Wien. "Die Masern? Natürlich habe ich die als Kind gehabt und später meine beiden Kinder auch." Die Wienerin Hannelore Bernhardt, Jahrgang 1940, erinnert sich noch gut daran. Komplikationen gab es keine, aber: "Wir haben damals schon gewusst, dass das keine harmlose Krankheit ist." Damals: Das war in den 1960er Jahren, und die Gratis-Impfung gegen die Masern, bei denen schwere Komplikationen wie Mittelohr- und Lungenentzündung auftreten können, lag noch in weiter Ferne.

Diese wurde in Österreich 1998 unter der damaligen Gesundheitsministerin Lore Hostasch für Kinder bis zum vollendeten 15. Lebensjahr eingeführt. Ab dem Sommer 2011 wurden Masern-Mumps-Röteln-Impfstoffe für Nachholimpfungen von Personen bis zum Alter von 45 Jahren gratis angeboten, bis schließlich der damalige Gesundheitsminister Alois Stöger im Juni 2014 die Altersgrenze völlig aufhob.

Impfgegner nicht erreicht


Mit der Kampagne "Masern sind kein Kinderspiel" wollte Stöger auch die Impfgegner und -skeptiker im Kampf gegen die hochansteckende Viruserkrankung ins Boot holen. Bisher vergeblich. Damit die Masern als ausgerottet gelten können, bräuchte es eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent. Davon ist Österreich aber weit entfernt. In letzter Zeit gab es sogar wieder vermehrt Fälle von Masern. So wurden heuer bis zum Stichtag 20. April bereits 147 Erkrankte gezählt, was weit mehr ist als im Gesamtjahr 2014 mit insgesamt 117 Fällen.

Laut einer Umfrage der Karl Landsteiner Gesellschaft empfinden Eltern den Schutz oft als unnötig, oder sie sorgen sich, dass das Kind zu stark belastet werden könnte. Auch unter Ärzten gibt es Impfgegner, die den generellen Nutzen von Impfungen in Frage stellen. Das Argument der Impfverweigerer, Impfen sei gefährlich für die Gesundheit, entkräftet das Gesundheitsministerium mit dem Hinweis, dass seit 1998 rund drei Millionen Impfdosen verabreicht wurden und es dabei zu keinem einzigen bleibenden Impfschaden gekommen ist.

Anders als früher sind es nicht mehr nur die Kleinen, die mit Fieber und dem typischen roten Ausschlag das Bett hüten müssen. "Wir können nicht mehr sagen, dass Masern eine reine Kinderkrankheit sind", sagt Pamela Rendi-Wagner, Leiterin der Sektion Öffentliche Gesundheit und medizinische Angelegenheiten im Gesundheitsministerium. Die meisten Krankheitsfälle betrafen zwar Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene sind nicht mehr vor den Masern gefeit. "Wir beobachten eine Verschiebung von den Kindern zu über 20- und 30-Jährigen", so Rendi-Wagner. Leider werde auch vermehrt ungeimpftes Personal in Gesundheitseinrichtungen als Infektionsquelle identifiziert.

Das bestätigt auch Mark Muskat vom WHO-Regionalbüro Europa. In den 53 europäischen Ländern wurden zwar im Vorjahr mit rund 16.156 Fällen um 50 Prozent weniger Betroffene gezählt, dennoch gibt es nach wie vor in einigen Ländern große Ausbrüche, etwa in Kirgistan oder Bosnien-Herzegowina. Muskat: "Mehr als 40 Prozent der Betroffenen sind 20 Jahre oder älter." Diese Personengruppe wurde im Kindesalter nicht geimpft und kann das Virus weiterverbreiten, verhindert also die Herdenimmunität. Besonders gefährlich ist die Krankheit für Unter-Einjährige, da erst ab dem 12. Monat geimpft wird.

Ruf nach Impfpflicht


Der Ruf nach einer gesetzlich verordneten Schutzimpfung kommt nicht von ungefähr. So fordert Günther Kräuter von der Volksanwaltschaft eine "Kleine Impfpflicht", also verpflichtende Impfungen in öffentlichen Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen, und zwar für Betreuungspersonal und Kinder. Außerdem sollte der Impfnachweis von Beschäftigten in Ambulanzen, Kinderabteilungen, Intensivstationen und im Empfangsbereich von Krankenhäusern längst Standard sein.

Rendi-Wagner ist überzeugt, dass eine hohe Durchimpfungsrate auch ohne Impfpflicht möglich ist. Das Ziel, gemeinsam mit der WHO Masern und Röteln in Europa auszurotten, werde weiter vehement verfolgt.