Wien. Österreich ist Europameister - allerdings im negativen Sinn. In keinem anderen Land Europas werde so viel fruchtbarer Boden verbaut und zerstört wie hier, sagte Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, am Montag. Konkret sei es eine Fläche von 20 Hektar täglich. Das entspricht etwa 30 Fußballfeldern. In einem Jahr sind das 73 Quadratkilometer, das ist etwas mehr als die Größe der Stadt Salzburg. Der Statistik Austria zufolge wächst die Inanspruchnahme von Flächen rund viermal schneller als die Bevölkerung. Bleibt Österreich weiterhin auf dieser Rekordwelle, gibt es in rund 165 Jahren keinen Agrarboden mehr.

Oder, anders ausgedrückt: Österreich verbaut jährlich 0,5 Prozent der Agrarfläche, in Deutschland und der Schweiz sind es nur je 0,25 Prozent. Dass gerade wir diese Liste der Negativrekorde anführen, liegt laut Weinberger am "sorglosen Umgang mit Grund und Boden". Straßen zum Beispiel würden völlig ungezügelt gebaut. Auch hier steht Österreich mit 15 Meter Straßenlänge pro Kopf an der Spitze. Zudem gebe es unverhältnismäßig viele, platzfressende Einkaufszentren, so Weinberger.

Wunsch nach Haus mit Garten


Es sei aber auch der hohe Anspruch vieler Österreicher an ihre eigene Wohnsituation, der die Verbauung vorantreibe, ergänzt der Regionalforscher Martin Heintel von der Universität Wien. "Wer auf dem Land baut, möchte ein Haus mit Garten", sagt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Freilich könne man nicht überall ein Hochhaus hinstellen. Was aber sehr wohl möglich wäre und der Bodenverschwendung entgegenwirken würde, wäre, leer stehende Häuser oder Bauernhöfe in kleinen Gemeinden rechtzeitig wieder zu nutzen. Und zwar bevor sie verfallen und überaltert sind.

Wird ein Ortsbild nämlich von desolaten Häusern geprägt, macht das die Region unattraktiv - was laut Heintel zum nächsten Problem führt: der Flucht der Jungen in die Städte oder Speckgürtel. Hier schließt sich der Kreis. Denn damit verbunden sind ein großer Bodenverbrauch durch neue Siedlungen und einen intensiven Straßenbau aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens.

Die vom Zuzug betroffenen Städte und umliegenden Gemeinden profitieren freilich. Sie waren es ja auch, die zuvor die potenziellen Bewohner und Steuerzahler mit Grundstücken, Infrastruktur und Einkaufszentren angelockt hatten. Hier wird Österreich wiederum seine Kleinteiligkeit zum Verhängnis. Das Land zerfällt in rund 2300 Gemeinden, die alle ihr eigenes Straßennetz, ihre Kleinsiedlungen und ihre großzügig angelegten Gewerbeparks errichten. "Es bräuchte eine überschreitende Raumplanung", sagt dazu Heintel.