Wien. Ein Ehepaar ohne entsprechende Ausbildung versorgt rund um die Uhr 15 teils hochgradig pflegebedürftige Personen. Die beiden Häuser des Vereins in Oberösterreich, für den dieses arbeitet, sind behördlich nicht genehmigt. Sie sind nicht barrierefrei, minimalistisch ausgestattet und die Privat- und Intimsphäre von Männern und Frauen mit Behinderung wird massiv verletzt. Die hygienische Situation ist katastrophal. Zu diesem Schluss kam die Volksanwaltschaft im Zuge ihrer präventiven Menschenrechtskontrolle, wie sie diese Woche bei der Präsentation des Jahresberichts 2015 bekannt gab.
Volksanwalt Günther Kräuter berichtete von einer "menschenunwürdigen und erniedrigenden Behandlung von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen". In dem konkreten Fall des Vereins in Oberösterreich wurden für die meisten Pflegebedürftigen Anwälte gerichtlich mit der Sachwalterschaft betraut. Diese hätten "Mietverträge" mit dem Verein abgeschlossen, suchten ihre Klienten aber nie auf, so Kräuter. Es gebe wenig Klarheit über die psychiatrische Diagnosestellung, zumeist würden Hochdosierungen von Psychopharmaka, Phasenprophylaxen und antiepileptische Substanzen verabreicht.
Betten auf dem Gang
Nach Ansicht der oberösterreichischen Landesregierung habe es seit 1999 immer wieder Beschwerden gegeben - ein behördliches Einschreiten sei bei besachwalteten Personen aber nicht möglich. "Wir haben den Fall daher dem Menschenrechtsbeirat übermittelt", sagte Kräuter, damit dieser den Fall umfassend analysiert und die "behördliche Verantwortungslosigkeit" beendet.
In einem zweiten Fall, in einer behördlich bewilligten Einrichtung des Landes Salzburg ("Konradinum"), werden 35 hochgradig pflegebedürftige Menschen mit Behinderung im Alter zwischen 14 und 52 Jahren in Wohngruppen betreut. Missstände wie Betten auf dem Gang, Toiletten ohne Abtrennung und Badezimmer ohne Sichtschutz haben laut Kräuter zu einem Dringlichkeitsbericht an die zuständigen Landesstellen geführt. Trotz seiner Forderung im Salzburger Landtag und trotz gerichtlicher Beschlüsse auf Betreiben der Bewohnervertretung sei keine "adäquate Reaktion" erfolgt.
Die Volksanwaltschaft betonte allerdings, dass sich die Kritik nicht gegen das jeweilige Pflegepersonal richte. Ziel sei die Strukturverbesserung zum präventiven Schutz von Menschenrechten.
Auch Behindertenanwalt Erwin Buchinger sieht die Probleme nicht in der Ausbildung des Betreuungspersonals, sondern in der Struktur. Jährlich gingen ein bis drei Beschwerden über Gewalt, Belästigung oder eine demütigende Behandlung bei der Behindertenanwaltschaft ein. Das heiße allerdings nicht, dass es nur so wenige Missstände gibt, sagt Buchinger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Denn die Hürde, diese zu melden, sei groß.
Tatsache sei, dass rund 20.000 Menschen mit Behinderung in Österreich in den unterschiedlichsten Varianten betreuter Wohneinrichtungen leben. Und Tatsache sei auch, dass die Zahl der Großeinrichtungen mit bis zu 700 Bewohnern gegen Null reduziert werden sollte. Denn nach wie vor gebe es freilich Negativfälle - aber auch gut funktionierende Projekte. Zu Letzteren zählten etwa jene Einzelbeispiele, dass die Medikation in den Apotheken selbst erfolge. Durch Personal mit Fachwissen also, das die Betreuer nun einmal nicht hätten.
Der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger hält ein Medikationsmanagement im gesamten Pflegebereich für überfällig und sinnvoll. Laut Weltgesundheitsorganisation wisse man bereits ab fünf verordneten Medikamenten nicht mehr, welche Wechselwirkungen möglich sind, sagt er. "Und manche nehmen bis zu 20 Medikamente."