Krems. "Bitte lassen Sie das, das ist Nötigung!" – der 46-jährige Angeklagte weigert sich, neben seinem Pflichtverteidiger Platz zu nehmen. Die Justizwachebeamten lassen ihn gewähren. "Der lebende Mann bleibt da stehen!", verkündet M. B., Anhänger der sogenannten OPPT-Bewegung, die den Staat und seine Organe ablehnt und für die weder finanzielle Schulden noch sonstige Verbindlichkeiten gelten. Die gesamte Verhandlung über steht B. im hinteren Teil des Saals am Kremser Landesgericht. Immer wieder antwortet er auf Fragen der Richterin, der an diesem Montagvormittag alles an Geduld abgerungen wird, mit Gegenfragen: "Sind Sie der Treuhänder des Namens M. B.? Ich bin ein lebender Mann aus Fleisch und Blut, nur mein Schöpfer kann über mich richten! Das einzige, was sie geschaffen habe, ist eine Geburtsurkunde und die brauche ich nicht, die schenk ich Ihnen."
Mehrere Dutzend Polizisten mit Hunden bewachen den Zugang zum Gebäude, es gibt strenge Sicherheitsvorkehrungen. Man befürchtete, dass Sympathisanten des Angeklagten die Gerichtsverhandlung stören, so, wie dies bei Prozessen gegen "Reichsbürger", das deutsche Pendant der Staatsverweigerer, regelmäßig der Fall ist. Seit Dezember des vergangenen Jahres sitzt B. in U-Haft, am Montag steht er wegen versuchter Erpressung vor Gericht. Dass er dieses nicht anerkennt, ist für die Anwesenden offensichtlich. Er beruft sich dabei auf eine rechte Verschwörungstheorie ("American Bar Assoziation"), deren Anhänger denken, dass die "Familie Rothschild" irgendwann das bis dahin angeblich geltende "Naturrecht" durch internationales Handelsrecht ersetzt habe. An seiner Zurechnungsfähigkeit bestehe dennoch kein Zweifel, sagt die Richterin in einer Verhandlungspause.
Als erster Zeuge ist einer der Hauptgeschädigten B.s geladen, der Amtsleiter des Gemeindeabfallwirtschaftsverbandes Horn. Er erhielt Drohschrieben des Angeklagten - versehen mit dessen Fingerabdrücken. B., gebürtig in Hall in Tirol, wollte ausständige Müllabfuhr-Gebühren nicht zahlen - stattdessen drohte er dem Amtsleiter, ihn persönlich haftbar zu machen, sollte er weitere Zahlungsaufforderungen bekommen. B. ließ eine Fantasieforderung an den Amtsleiter über 10 Millionen in das US-Handelsregister UCC eintragen. Als Grund führte B. einen Verstoß gegen das "Copyright" an, das angeblich seinen Namen schützen würde. "Haben Sie das ernst genommen, dass von Ihnen Millionenbeträge gefordert werden?", fragt die Richterin. "Also angenehm war das nicht", entgegnet der Amtsleiter. Er habe erfahren, dass OPPT-Anhänger über Inkasso-Büros in Malta versuchen würden, die Fantasieforderungen tatsächlich einzutreiben. Was er denke, wieso B. das getan habe? "Er wollte damit erreichen, dass ich als Person einen Amtsmissbrauch begehe, und ihm keine Gebühren mehr vorschreibe", sagt der Amtsleiter. "Haben Sie gedacht, dass Ihnen so ein persönlicher finanzieller Schaden entstehen könnte?", fragt der Staatsanwalt. "Ja. Käme es nach Malta, wäre eine Rechtsvertretung nötig gewesen. Meine Rechtsversicherung hat mir gesagt, Malta sei bei ihnen nicht abgedeckt."
Ähnlich verläuft die Befragung der weiteren Zeugen, darunter der Bürgermeister von B.s Heimatgemeinde, dessen Vizebürgermeisterin. Diese fühlte sich "massiv unter Druck gesetzt", als Unternehmerin könne dies für sie geschäftsschädigend sein. "Da geht es um Summen, die beeinträchtigen den Rest deines Lebens, um Summen, die man im Leben nicht erarbeiten kann." Sie habe sich "massiv bedroht" gefühlt, sagt sie.
Eine Handbreit dick ist der Stapel von Drohschreiben, die B. an die Gemeinde und an die Sozialversicherung der Bauern (SVB) geschickt hat. Auf deren Mitarbeiter hatte es B. besonders abgesehen, auch sie sagen heute als Zeugen gegen B. aus. Hätten sie B. die Sozialversicherungsbeiträge prinzipiell erlassen können? Nein, sagen die Zeugen geschlossen, schließlich handle es sich um Pflichtbeiträge.
"Was haben Sie sich gedacht, als Sie diese Schreiben gesehen habe?", fragt die Richterin eine Zeugin der SVB. "Das darf ja nicht wahr sein. Wir leben in einem Rechtsstaat, da gibt es Rechte, und Pflichten auch. Man denkt sich, das ist irgendwie ein schlechter Scherz."
"Am Beginn, große Verwunderung, und dann auch das Nachdenken was passiert, wenn diese Beträge tatsächlich eingefordert werden", sagt ein anderer Zeuge. Was B. bezwecken wollte? Er habe wohl versuchen wollen, "den Rechtsstaat auszuhebeln, mit der Zeit, wenn sich viele dafür finden", sagt eine SVB-Bedienstete. Man sei von der Landespolizeidirektion aufgefordert worden, die Schreiben B.s nicht zu vernichten, sondern zu sammeln, und der Staatsanwaltschaft zu übergeben, sagt der Direktor der SVB. Die Polizei habe auch auf den deutschen Verfassungsschutz verwiesen.
Grinsend und mit verschränkten Händen steht B. indes im hinteren Bereich des Gerichtsaals. Er atmet hörbar laut, er sieht aus, als mache er Meditationsübungen. Wenn er zu den Zeugenaussagen gefragt wird, entgegnet er der Richterin stereotyp: "Im Namen Jesus Christus, sind Sie der Treuhänder des Namens M.B.? .(..) Über lebende Männer und Weiber können Sie nicht verhandeln!"
Das Schlussplädoyer der Pflichtverteidigers, mit dem B. während der Verhandlung kein einziges Wort wechselt, und mit dem er auch zuvor in keinerlei Kontakt gestanden habe, wie der Verteidiger sagt, plädiert "pflichtgemäß" auf Freispruch. B. habe sich "Mitte 2015 entschieden, sich vom Staat zu verabschieden", und sich ein Wahngebilde angeeignet, das er bis heute aufrechterhalte – auch wenn dieses "in sich nicht schlüssig" sei. Der Staatsanwalt fordert ein "hohes Strafmaß". Dies sei aus Gründen der Generalprävention notwendig. Nach kurzer Pause das Urteil: B. ist schuldig der versuchten Erpressung und des Widerstands gegen die Staatsgewalt, das Strafmaß: 18 Monate Haft, sechs davon unbedingt.
Gefragt, ob er Rechtsmittel einlegen wolle, sagt B.: "Ich verzichte auf das Privileg, von Ihnen verurteilt zu werden. (... ) Der lebende Mann aus Fleisch und Blut verzichtet auf dieses Privileg!" "Herr B., wenn Sie jetzt keine Rechtsmittel einlegen, müssen Sie ins Gefängnis!", versucht sein Verteidiger es nochmals. Vergeblich. Die Richterin wertet das dennoch nicht als Verzicht auf Rechtsmittel, es gelten drei Tage Bedenkzeit. Das Urteil ist somit nichts rechtskräftig.