Eigentlich müsste Weihnachten rund um Ostern gefeiert werden. Zumindest wenn es nach dem US-Physiker Michael Molnar geht. Der hat nämlich - fast 400 Jahre, nachdem Johannes Kepler den Stern über Bethlehem als sehr seltenes Zusammentreffen von Mars, Jupiter und Saturn identifizierte - anhand der Planetenkonstellation den 17. April 6 vor Christus als Jesu Geburtstag ausgerechnet. Der deutsche Astrophysiker Thomas Boller wiederum kommt bei seinen Berechnungen auf den 15. März 7 vor Christus.
Wie die beiden das herausgefunden haben, würde hier zu weit führen. Jesus dürfte jedenfalls mehrere Jahre vor seinem offiziellen Geburtstag auf die Welt gekommen sein. Und schuld daran ist eine fehlerhafte Berechnung des in Rom lebenden Mönchs Dionysius Exiguus aus dem Jahr 533 (oder besser: 525), der den Kalender an der Geburt Jesu ausrichtete statt wie bis dahin an der Gründung Roms und den römischen Königs-, Konsul- und Kaiseramtszeiten - und sich irgendwo um ein paar Jahre verzählte. Und weil er römische Zahlen benutzte, wo es die Ziffer 0 nicht gibt, gab es übrigens auch kein Jahr 0: Auf den 31. Dezember 1 vor Christus folgte der 1. Jänner 1 nach Christus. Und wenn wir bedenken, dass König Herodes im Jahr 4 vor Christus (wann auch immer das nun war) starb und die - übrigens nicht von Kaiser August und nur für Judäa angeordnete - Volkszählung im Jahr 6 nach Christus stattfand, haben wir den Salat.
Der Stern von Bethlehem und das Licht der Welt
Bei Jesu Geburt ist die Frage nach dem Datum freilich nur eine von mehreren Ungereimtheiten - oder besser gesagt: Nicht nur hier wurde wohl nachträglich ein bisschen geschichtsgeklittert. "Grundsätzlich hat das Neue Testament aber einen für antike Quellen durchaus respektablen Geschichtswert", sagt Markus Tiwald, Professor für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Uni Wien. Heute bezweifeln selbst atheistische Historiker nicht, dass vor rund 2.000 Jahren eine reale Person namens Jesus in Galiläa als Sohn eines Bauhilfsarbeiters (das war wohl der "tekton" Josef) zum Religionsführer wurde, sich mit jüdischem Establishment und römischer Besatzungsmacht anlegte und den grausamen Kreuzestod starb.
Aber natürlich steckt gerade in den Kindheitsevangelien - die übrigens nur Lukas und Matthäus geschrieben haben, Johannes und Markus lassen Jesu Kindheit aus - sehr viel Symbolik. Das beginnt schon beim Stern von Bethlehem. Tiwald verweist hier auf eine Auslegung zum Buch Numeri, in dem prophezeit wird, der Erlöser (Messias) werde einst "wie ein Stern aus dem Hause Jakob aufgehen".
Das Licht spielt auch beim Termin von Weihnachten eine Rolle: Denn Dionysius legte Jesu Geburtstag auf die Wintersonnenwende (im alten julianischen Kalender am 25. Dezember, heute am 21. Dezember) fest. Die dazu passende Theorie besagt, dass die heidnischen Römer an diesem Tag ihren Sol invictus, die unbesiegte Sonne, feierten und die Christen diese Symbolik aufgriffen: "Der neugeborene Gottessohn, in der Krippe liegend, ist die Sonne der Welt, die aufgeht", formuliert es Tiwald. Diese römische Christianisierung begann erst unter Kaiser Konstantin. "Er hat sich dabei alle Optionen offengehalten. Es gibt Darstellungen mit Strahlenkranz, wo man nicht weiß: Ist es Konstantin selbst, ist es Jesus Christus oder ist es der römische Sonnengott?" Dem Ganzen hält allerdings der Kirchenhistoriker Hans Förster entgegen, dass spätantike Autoren wie Maximus von Turin ausdrücklich gelobt hätten, dass es am 25. Dezember eben keine heidnischen Parallelfeste gebe. Es sei auch eher die Geburt des Tages (der dann wieder länger wird) als der Sonne. Passend ist der Termin aber so oder so.
Was den Stern von Bethlehem betrifft, griff auf diesen auch jener jüdische Revolutionär zurück, der sich im Jahr 132 beim Aufstand gegen die Römer "Bar Kochba" (Sternensohn) nannte. Schon gut 80 Jahre früher hatten mehrere Juden für sich in Anspruch genommen, der Messias zu sein. Über sie berichtet etwa der zu den Römern übergelaufene jüdische Historiker Flavius Josephus (37/38 bis 100), der auch als authentische und durchaus objektive Quelle in Bezug auf das Leben Jesu betrachtet werden kann.
Legt man die vier Hauptevangelien, die ab etwa 70 nach Christus entstanden sind, diverse andere kanonische Schriften und apokryphe Texte (also Aufzeichnungen abseits des kirchlichen Kanons) und zeitgenössische heidnische Berichte übereinander, so ergibt sich ein recht plastisches Bild von Jesus. Berücksichtigen muss man freilich, dass ihn keiner der Autoren - selbst Paulus (gestorben im Jahr 64) als einer der frühesten - persönlich gekannt hat. Und dass Jesu Muttersprache Aramäisch war, während die meisten Texte über ihn auf Griechisch abgefasst wurden.
Jesus hatte laut Bibel mindestens vier "Brüder"
Die Sprache kommt uns auch in die Quere, wenn wir Jesu Familienverhältnisse betrachten: Denn das aramäische Wort für "Bruder" kann genauso gut "Cousin" oder "Freund" bedeuten. Das Neue Testament nennt mindestens vier solcher "Brüder" namentlich: Jakobus, Joses, Judas und Simon. Nicht ausgeschlossen sind auch Halbbrüder und -schwestern Jesu aus einer früheren Ehe Josefs.
Ja, einfacher wäre es natürlich, hätte Jesus lesen und schreiben können und sein eigenes Tagebuch geführt. Aber da er aus der arbeitenden Unterschicht kam, war er wohl - so wie 90 bis 95 Prozent der damaligen Weltbevölkerung - Analphabet, meint Tiwald. "Umso faszinierender ist sein Aufstieg zum Religionsführer." Ein Aufstieg, der vielleicht noch weiter unten begann, als es die beiden Evangelisten Lukas und Matthäus schildern. Denn der Geburtsort war womöglich gar nicht Bethlehem - die Stadt des Königs David -, sondern das weit unbedeutendere Nazareth. "Dafür geniert man sich im Neuen Testament zu Beginn noch", erläutert Tiwald. "Lukas, der als Heidenchrist mit starker Affinität zum Judentum für eine gebildete Mittelschicht schreibt, stellt Jesus als gebildeten Menschen dar." Dazu passt auch die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus (es ist das Alter der Bar Mitzwa), der im Tempel die Gelehrten zurechtweist - ein gängiges antikes Erzählmotiv.
Tiwald sieht in den Kindheitsgeschichten "theologische Deutungen des späteren Lebens Jesu, fast wie eine Ouvertüre nach Richard Wagner, wo die wichtigsten Leitmotive zum Klingen gebracht werden: die Hirten, die an König David erinnern, der selbst ein einfacher Hirte war; ebenso Bethlehem, woher laut Prophezeiungen der Erlöser kommen sollte".
Der grausame Herodes und Astrologen als Könige
Und natürlich die Heiligen Drei Könige, die ebenfalls voller Symbolik sind. Ursprünglich sind die einfache Astrologen ("magoi") aus dem Osten, werden aber später zu Königen aufgewertet. Denn bei Jesaja heißt es: "Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz." Und warum genau drei? Vermutlich, weil das als göttliche Zahl gilt. Ihre Gaben sind natürlich ebenfalls theologische bedeutsam: Gold steht für den König, Weihrauch für den Gottessohn, Myrrhe deutet schon auf das bevorstehende Leiden hin. Womit klar ist, dass Matthäus - ein jüdischer Gelehrter - sein Evangelium nach Jesu Kreuzigung geschrieben hat.
Nach den Sterndeutern kommt der nächste Rückgriff auf das Alte Testament: Ein Engel warnt Josef vor dem Kindermord des Herodes. Na, woher kennen wir das? Richtig: Vor dem Auszug aus Ägypten ließ Jahwe alle ägyptischen Erstgeborenen sterben. Und während das Volk Israel ins Gelobte Land zog, flüchtet nun die Heilige Familie nach Ägypten. Dort gab es übrigens auch zu Jesu Zeit eine starke jüdische Bevölkerung mit intensiven Kontakten nach Jerusalem.
Später kommt Jesus als "neuer Moses" zurück: "Moses hat am Berg Sinai dem Volk das Gesetz Gottes gegeben - Jesus aktualisiert es in seiner Bergpredigt. Auch die fünf großen Reden im Matthäus-Evangelium spielen auf die fünf Bücher Mose an", erklärt Tiwald, der bei all dem die jüdische Komponente betont: "Gerade die Kindheitsevangelien dienten wohl auch dazu, Jesus ins Judentum rückzubinden." Später stehen dann die zwölf Apostel für die - in der Endzeit erwartete - Wiederherstellung der zwölf Stämme Israels, von denen damals nur noch zweieinhalb übrig waren. Überhaupt war die Trennung zwischen Judentum und Christentum ein langer Prozess, der wohl erst im vierten oder fünften Jahrhundert ganz abgeschlossen war.
Keine reine Symbolik, sondern historischer Fakt ist die Grausamkeit des Herodes. Der ließ seine Ehefrau und drei seiner eigenen Söhnen umbringen und richtete auch im weiteren familiären Umfeld einen regelrechten Kahlschlag an. Der Historiker Macrobius hat dazu ein launiges griechisches Wortspiel von Kaiser Augustus überliefert: Es sei besser, Herodes Schwein ("hys") als sein Sohn ("hyios") zu sein. "Herodes ließ sogar verfügen, bei seinem Tod etliche prominente Gefangene im Hippodrom in Jericho hinzumetzeln, damit im Moment seines Todes jedenfalls jemand weinen würde", so Tiwald. "Das ist dann aber doch nicht passiert."