Der Heilige Maron, der jedes Jahr am 9. Februar gefeiert wird, bescherte dem Libanon heuer ein langes Wochenende. Bis zuletzt war es für die Wintertourismusorte ein großes Bangen und Zittern, aber im letzten Moment geschah es dann doch noch: Neuschnee. Maron von Beit ist der Namensgeber der Maroniten, der größten christlichen Gemeinschaft des Libanon, unter ihnen wird augenzwinkernd von einem himmlischen Geschenk in letzter Minute gescherzt. Die Betreiber der Liftanlagen in Libanons Bergen konnten jedenfalls pünktlich am Feiertag des Heiligen in die längst herbeigesehnte Wintersaison starten. Die Neuschneemenge von mehr als 120 Zentimetern war eher ungewöhnlich. Dementsprechend groß ist nun der Andrang in die Skiregion.

Um einen solchen winterlichen Ansturm bewältigen zu können, müssten jedoch die Straßen vom Schnee befreit werden, ebenso die Parkplätze. Doch man war schlecht vorbereitet im größten Wintersportgebiet des Libanon, in Mzaar-Feraya. Und so starrten die Insassen der mehrheitlich dunklen SUVs gelangweilt und genervt auf ihre Smartphones und verfolgten auf TikTok oder Instagram die wenigen Glücklichen, die bereits ihre Schwünge im Schnee zogen. Für wohlige Wärme im Inneren sorgte der Benzinmotor, Schnee en masse versprachen die Videos am Display. Wegen des Neuschnees waren sie gekommen - wegen der Masse an Neuschnee standen sie im Stau.

Das Perch thront über dem Feraya-Tal. - © Georg Gassauer
Das Perch thront über dem Feraya-Tal. - © Georg Gassauer

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Noch vor kurzem waren die alten Pistengeräte - in den Alpen längst ausgedient - im Matsch gestanden, nun mussten sie in kürzester Zeit so viele Pistenkilometer wie nur möglich hervorzaubern. Quasi rund um die Uhr bearbeiteten die Fahrer mit ihnen den Berg, dennoch konnten zunächst nur wenige der 80 Pistenkilometer freigegeben werden. Zum überraschenden Saisonstart gingen somit nur 3 von 19 Liftanlagen in Betreib. Zwar sollte in den nächsten Tagen noch der eine oder andere Skilift hinzukommen, viel mehr wird es jedoch nicht, zu groß sind die technischen Probleme der veralteten Anlagen. Auch der Mzaar-Gipfel, mit knapp 2.490 Metern der höchste Berg der Region, wird von einer Liftanlage bedient - die grandiose Aussicht von dort zum Mittelmeer werden jedoch nur Skitourengeher genießen können.

Die Pistengeräte im libanesischen Skigebiet sind veraltet. 
- © Georg Gassauer

Die Pistengeräte im libanesischen Skigebiet sind veraltet.

- © Georg Gassauer

Skifahren hat Tradition

Nicht sofort denkt man an Pistenzauber und Après-Ski, wenn man an den Libanon denkt, dennoch hat das Skifahren in den Bergen unweit der Hauptstadt Tradition. Waren es zuerst französische Gebirgsjäger, die das Skifahren Anfang des 20. Jahrhunderts in den Libanon brachten, so erkannten Jahrzehnte später libanesische Unternehmer das Potenzial der zwei Bretter. Die ersten Skilifte wurden zu Beginn der 1950er Jahre errichtet, in den darauffolgenden Jahren boomte der Wintersporttourismus im Land - am Vormittag Ski fahren, am Nachmittag im Mittelmeer baden. Der Bürgerkrieg setzte diesem Idyll ein jähes Ende. In den 1990er Jahren wurden die Liftanlagen, die bis heute bestehen, wieder aufgebaut und neu errichtet.

Kurz vor dem Saisonstart war noch alles Matsch statt Schnee im Skigebiet. 
- © Georg Gassauer

Kurz vor dem Saisonstart war noch alles Matsch statt Schnee im Skigebiet.

- © Georg Gassauer

Heute betrifft die Klimakrise auch den Mittelmeerstaat Libanon - dass das der Wintertourismus spürt, ist wenig überraschend. In den vergangenen Jahren hat sich die Klimavariabilität im Land stark verändert, was sich auf die Länge und die Berechenbarkeit der Wintersaison auswirkt. "Ging die Saison früher von Jänner bis Mitte März, so geht sie mittlerweile von Ende Jänner bis Anfang März", sagt dazu Nadim Farejalla, Leiter des Klimaforschungsinstituts der American University of Beirut. "Manchmal gibt es auch zwei Jahre lang gar keinen Schnee, dann wieder überdurchschnittlich viel."

Klimaforscher rechnen in den nächsten Jahren im Libanon mit einem Niederschlagsrückgang von 20 Prozent, was hauptsächlich mit den gestiegenen minimalen und maximalen Temperaturen zusammenhängt. Seit Beginn der Aufzeichnungen im Libanon im Jahr 1874 ist die Durchschnittstemperatur um 3 Grad angestiegen. Auf den Grundwasserspiegel hat der aktuell niedrige Niederschlag schon jetzt negative Auswirkungen, da das Wassereinzugsgebiet wegen der steilen Berghänge ohnehin schon gering ist, wird in Zukunft noch weniger Wasser für die Bauern oder die städtische Nutzung zur Verfügung stehen. Gesellschaftliche Spannungen im Land werden weiter zunehmen.

Unprofitable Bergbahnen

Genaue Daten zur Schneelage im Libanon gibt es nicht, und auch Klimaforscher Farajella tut sich schwer, exakte Aussagen zu tätigen. Wie viel weniger Schnee es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten tatsächlich gegeben hat, kann auch er nicht sagen. Der Grund ist ein einfacher: Die Messung von Schneedaten hat erst vor wenigen Jahren begonnen. Dass die Wintersaisonen deutlich kürzer geworden sind, steht jedoch außer Zweifel. So konnte man beispielsweise in Dahr el Baidar vor 15 Jahren noch Ski fahren, heute stehen dort die Skilifte still, da es nicht genügend Schnee für einen Winterbetrieb gibt.

Die Frage, ob der Wintertourismus im Libanon noch profitabel sein kann, drängt sich auf. Nicole Wakim, Kommunikationsmanagerin der Mzaar-Kfardebian-Bergbahnen, gibt sich gelassen: "Niemand weiß, warum es in manchen Jahren keinen Schnee gibt, und man sollte abwarten, bevor Schlüsse gezogen werden. Schließlich gab es in der vorjährigen Wintersaison große Schneemengen, und das Skifahren war sogar bis Anfang April möglich."

Bei der Frage, ob es Investitionen in das Skigebiet geben wird, erzählt Wakim, dass man als Tourismusregion künftig eine attraktive Sommersaison gestalten will und die Bergbahnen zu einem Zwei-Saisonen-Betrieb ausgebaut werden sollen. Zudem sollen Schneekanonen für Schneesicherheit im Winter sorgen. Während sie über potenzielle Möglichkeiten ins Schwärmen gerät, unterbricht sie sich selbst: "Wir müssen realistisch bleiben - die wirtschaftliche Lage lässt keine großen Investitionen zu." Der anfänglichen Erzählfreude weicht eine ernste Miene: "Die Wirtschaft ist kollabiert, und wir sind froh, dass ein guter Saisonkartenvorverkauf dazu führt, dass wir über die Runden kommen." Die Mzaar-Kfardebian-Bergbahnen geben in dieser Saison die Ticketpreise ausschließlich in Dollar an, da so viel Fremdwährung wie möglich einkassiert werden soll.

Wintertourismus als Luxusgut

Wie überall im Libanon ist auch hier wegen der Hyperinflation und drastischer Kursschwankungen der Glaube an die libanesische Lira längst verschwunden. Betrug der Schwarzmarktkurs zum US-Dollar Mitte Jänner noch 48.000 Lira, so ist dieser binnen drei Wochen auf 68.000 Lira für 1 US-Dollar abgestürzt und zuletzt sogar bei ein Rekordtief von 75.000 Lira gelandet. Es wird vermutet, dass der Schwarzmarkt-
Wechselkurs zum Dollar noch vor dem Sommer die Marke von 100.000 Lira überschreiten dürfte. Zum Vergleich: Vor der Krise 2019 betrug der Kurs noch 1.500 Lira für 1 US-Dollar.

Und so kostet ein Skitag im Durchschnitt mittlerweile etwa 150 Dollar (inklusive Verleih, Essen und Benzin), nahezu die Hälfte eines durchschnittlichen Monatseinkommens. Die Gehälter passen sich nicht der Inflation an, weshalb die Kaufkraft der Libanesen rasant schwindet. Und rasant schwindet auch die Mittelschicht im Land.

"Skifahren im Libanon war schon immer ein Luxus," relativiert Snowboardlehrer Riad. "Vor der Krise konnte sich fast jeder Libanese ein Dienstmädchen von den Philippinen oder aus Äthiopien leisten, da war ein Skiwochenende auch kein Problem. Nun gibt es den Luxussport eben nur noch für die, die Cash haben." Cash haben bedeutet im Libanon, dass man Dollar als Bargeld oder auf ausländischen Konten besitzt, und damit spricht Riad einen heiklen gesellschaftlichen Wandel an, der sich seit 2019 im Land bemerkbar macht.

Denn die, die heute über Bargeld verfügen, sind nicht mehr die Banker, Ärzte oder Manager aus den Beiruter Szenevierteln Aschrafeh, Gemmayzeh oder Badaro, sondern die Wechselstubenbetreibe in Hamra und die Tankstellenbesitzer aus den schiitischen Vororten. Sie verdienen in Dollar und haben die hohen Verluste, die durch die Bankenkrise hereingebrochen sind, wettmachen können. Ihre Dollar-Scheine lagern sie daheim oder investieren diese in Immobilien. Das Geld der ehemaligen Mittelschicht hingegen liegt auf den eingefrorenen libanesischen Bankkonten.

Selbst verschuldete Missstände

Diesen Wandel anzusprechen, ist nicht einfach, denn er hat auch religiöse und deshalb, besonders im Libanon, politische Dimensionen. Nur hinter vorgehaltener Hand und unter Anonymität erzählt ein Unternehmer, dass die wohlhabenden neuen Besucher zum Großteil Schiiten sind. "Die Christen", so der Unternehmer, "haben kein Geld mehr oder sind ausgewandert." Das sorgt in den christlichen Hochburgen, wo sich die Skigebiete befinden, für Unmut und Scham. Erschwerend kommt hinzu, dass internationale Gäste nach der Corona-Pandemie noch nicht wieder zurückgekehrt sind. Und die Explosion im Hafen von Beirut hat ihr Übriges dazu beigetragen.

Dennoch können die Missstände im Wintertourismus nicht nur der Wirtschafts- oder Klimakrise zugeschrieben werden, sie sind vielerorts auch selbst verschuldet. In Mzaar etwa hatte die Gemeindeverwaltung kein Interesse daran, die Straßen von den Schneemengen zu befreien oder ausreichend Parkplätze zur Verfügung zu stellen, und so versuchten am Feiertag Unternehmer und freiwillige Helfer mit entsprechenden Gerätschaften einzuspringen. Später am Tag übernahm sogar das Militär. Für den eingangs erwähnten Stau der SUVs änderte dies freilich an diesem Tag - wie auch am nächsten - kaum etwas. Kein besonders guter Start also in die ohnehin verspätete Skisaison.

Die Bergbahnen im 30 Kilometer entfernten Bscharre haben mit andersartigen Problemen zu kämpfen, die jedoch auch zu stehenden Liftanlagen führen. Nach einer Auseinandersetzung zwischen Bergbahnbetreiber und einer Zulieferfirma wurde das Seil des längsten Sesselliftes sabotiert. Da Ersatzteile im Libanon kaum zu finden sind und der Import mehrere Monate dauert, ist unklar, ob der Lift in dieser Saison überhaupt noch in Betrieb genommen werden kann.

Bad Gastein als Inspiration

Aber es wäre nicht der Libanon, wenn es sie nicht gäbe - resiliente Unternehmer, die durch Kreativität versuchen, neue Kundensegmente anzusprechen und neue Märkte zu erschließen. So auch die Künstlerin Sandra Keir Seyouh und ihr Mann Teddy. Bei einem Besuch in Bad Gastein vor einigen Jahren erlebten sie, wie eine Gruppe engagierte Hoteliers mit Kunst und Design aus dem heruntergekommenen Ort und seinen zerfallenden Belle-Époque-Bauten die Künstlerszene aus Berlin und München anlocken konnte.

Zurück im Libanon bauten sie aus eigener Hand das Perch Chabrouh. Das Perch (übersetzt: Vogelstange) thront über dem Feraya-Tal und bietet seinen Gästen eine Mischung aus Holzdesign, Kunst und Kultur. Die vergangenen Jahre waren nicht einfach, erzählt Seyoun, "aber durch das einzigartige Konzept konnten wir uns vom klassischen Winter- und Skitourismus loslösen". Denn die meisten ihrer Gäste kommen hierher, um sich zu entspannen und die Chalets zu genießen. Und auch sie bestätigt den Gästewandel, der in den vergangenen Jahren Einzug gehalten hat: "Die, für die wir eigentlich die Chalets gebaut haben, haben kein Geld mehr, es kommen jetzt eben andere Gäste."

Ihr Mann Teddy, ein gebürtiger Oberösterreicher, besitzt ein Parkettbodenunternehmen und importiert und vertreibt seit mehr als zwei Jahrzehnten Ski der Marke Völkl. Von ihm erfährt man aus erster Hand, wie sehr der Skimarkt in den vergangenen Jahren geschrumpft ist. Früher konnte er direkt an die verschieden Skiverleihstellen im Libanon verkaufen, doch diese befinden sich mittlerweile in Konkurs oder bestellen nicht mehr nach. Er musste die Importe drosseln und gibt zu, dass der Skiverkauf jetzt eher als Leidenschaft zu betrachten ist und fast nichts mehr abwirft.

Um die Krise gut zu meistern, hat er aber einen Nischenmarkt entdeckt, der ihm zumindest ein kleines Plus beschert: Tourenski. Viele Skifahrer haben während der Lockdown-Phasen diesen Sport für sich entdeckt. Und so hat er die ehemalige Rezeption des Perch in einen Völkl-Touren-Shop umgerüstet, in dem sein Sohn und er potenzielle Kunden beraten. Im Sommer will er zusätzlich ins Mountainbike-Geschäft einsteigen. Vielleicht gibt es in dieser Bergregion ja doch noch genügend Impulse, damit auch eine Sommersaison Bestand haben kann.

Geld aus der Diaspora

Einer der schon längst mit gewinnreichen Wintersaisonen abgeschlossen hat und vermehrt auf den Sommer setzt, ist Charbel Sabbagh. Seit 15 Jahren betreibt er Bars und Chalets in Feraya, unter anderem den legendären Odin Club. Seiner Erfahrung nach endet der Winter in den Bergen des Libanon immer Mitte März, da steigen die Temperaturen, und die Städter fahren lieber ans Mittelmeer. Fängt eine Saison - wie heuer - erst Anfang Februar an, ist es nicht mehr möglich, diese kostendeckend abzuschließen, Haute Cuisine und tolle DJs, wie sie das Odin anbietet, hin oder her.

Um die Wertschöpfungskette der Region aufrecht zu erhalten, ist es Sabbagh dennoch wichtig, dass seine Betriebe im Winter geöffnet sind. Gänzlich anders verhält es sich im Sommer, da ist er aufgrund der guten Witterung in der Lage, große Events mit internationalen DJs zu veranstalten. In den Sommermonaten kommen dann auch vermehrt jene, die für die libanesische Volkswirtschaft eine zentrale Rolle spielen: die Diaspora-Libanesen. Diese sind das Rückgrat der libanesischen Volkswirtschaft, senden sie doch das im Ausland verdiente Geld zu ihren Familien nach Hause. Im Jahr 2021 erreichten diese sogenannten Rücküberweisungen Schätzungen zufolge den unglaublichen Wert von mehr als 50 Prozent des libanesischen Bruttoinlandsproduktes.

Egal ob sie in Kanada, Australien oder Frankreich wohnen, zurück in den Libanon kommen sie Jahr für Jahr. Und auch das spricht für die Libanesen und ihren Spirit - sie wollen zu Hause sein, etwas bewegen und ihr Land wieder in eine positive Richtung drehen, auch wenn sie zwischenzeitlich im Ausland Geld verdienen müssen. Nach Hause werden sie immer kommen.