Es ist sein elftes Osterfest als Papst. Vor zehn Jahren war Franziskus keine drei Wochen im Amt, als er am Ostersonntag den traditionellen Segen "Urbi et Orbi" auf dem Petersplatz erteilte. Zuvor hatte er für Aufsehen gesorgt, indem er Häftlingen (darunter auch zwei Frauen) die Füße gewaschen hatte. Es sollte nicht die einzige Aktion dieses neuen Papstes bleiben, mit der er viele Katholiken an der Basis für sich vereinnahmte und auch Hoffnungen auf Reformen weckte. Doch wie steht die katholische Kirche nun nach zehn Jahren unter Papst Franziskus da? Die "Wiener Zeitung" hat mit dem international renommierten Pastoraltheologen Paul M. Zulehner darüber gesprochen.
"Wiener Zeitung": 2013 hat Papst Franziskus das erste Mal den Ostersegen gespendet. Wie sieht die Bilanz seines Pontifikats nach zehn Jahren aus?
Paul Zulehner: Er hat wichtige Enzykliken zu zentralen Fragen der Welt herausgebracht, zum Beispiel "Laudato si" über den Klimanotstand, "Fratelli tutti" über universelle Solidarität, auch "Amoris laetitia". Manche waren enttäuscht von der Amazonien-Synode, weil er sich noch nicht entscheiden konnte über das Anliegen der "Personae probatae", der gemeindeerfahrenen Personen, die man ordinieren könnte. Dann hat er natürlich den Megaprozess der Synodalisierung der Kirche auf den Weg gebracht, wo man sehr gespannt sein kann, was bis 2024 auf den Synodentisch kommt. Eine Hoffnung ist, dass es zumindest eine Art Dezentralisierung der Weltkirche gibt.

In Deutschland ist der "Synodale Weg" mit seinen Reformwünschen zu Zölibat und Frauenweihe, die Rom offen ablehnt, weit vorgeprescht. Wenn die Synode keines dieser Anliegen akzeptiert - kann das in Deutschland zu Spaltung führen?
Die Kernfrage ist nicht, was Rom vom deutschen Synodalvorgang hält, sondern ob es den Deutschen gelingt - und übrigens auch den Australiern, die genau die gleichen Themen sogar in einem Plenarkonzil behandelt haben -, auf der Synode viele Mitstreitende zu gewinnen, Priester und Laien. Es werden wahrscheinlich wesentlich mehr Laien, darunter auch Frauen, als bisher teilnehmen. Ich bin auch sicher, dass die Bischöfe Amazoniens ihr Anliegen wieder auf den Tisch bringen. Die Kernfrage ist: Gewinnen die einzelnen regionalen Gebiete der Kirche Mitstreiter?

Paul M. Zulehner, 1939 in Wien geboren, ist Pastoraltheologe (1984 bis 2008 war er Ordinarius an der Universität Wien), Religionssoziologe und vielfacher Buchautor.
- © Heiner BoberskiFür die Deutschen spricht, dass sie theologisch sehr gut sind. Ohne sie wird man die Synode nicht machen können. Bei "Amoris laetitia" haben die deutschen Bischöfe samt Kardinal Schönborn dazu beigetragen, dass der Zugang von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten eine Möglichkeit geworden ist.
Aber wenn die Deutschen und ihre Mitstreiter scheitern - droht dann eine Spaltung?
Nein, das ist wie in einer Demokratie, die sich ja auch nicht auflöst, wenn eine Gruppe erfolglos bleibt. Wenn die Kirche auf Partizipation setzt, auf gemeinsames Beraten und Behandeln der Themen, und sich eine Seite nicht durchsetzt, dann war eben die Zeit noch nicht reif.
In Wien steht die Nachfolge von Kardinal Christoph Schönborn an. Man hört, der Papst will ihn noch als amtierenden Erzbischof bei der Synode haben und löst ihn daher nicht vorher ab . . .
Die Synode braucht exzellente Theologie, das hat man auch beim Zweiten Vatikanischen Konzil gesehen. Ohne Joseph Ratzinger (den späteren Papst Benedikt XVI., Anm.), Yves Congar oder Karl Rahner wäre das Konzil so nicht erfolgt. Und so braucht auch die Synode die besten Theologen, wenn man für die Zukunft der Kirche etwas wirklich theologisch Hieb- und Stichfestes haben will. Ich kann mir vorstellen, dass Schönborn einer derer ist, denen der Papst vertraut, und er deshalb die, die vielleicht Erzbischof von Wien werden wollen, noch länger warten lässt.
Wenn die Theologie so bedeutsam ist, wie wichtig bleiben dann die Amtsträger, die Bischöfe, der Papst?
Wenn die Partizipation stärker wird, ist der, der vorsteht, stärker gebunden und eingebunden. Manche Konservative befürchten, dass der Papst etwas entscheidet, während Progressive komischerweise erwarten, er sollte doch wie bisher autoritär entscheiden. Auch die Reformer haben nicht verstanden, dass ein synodal eingebundener Papst nicht wie ein absolutistischer Herrscher entscheiden kann. Er kann angesichts der angestrebten Synodalisierung nicht einfach sagen: Ich führe jetzt verheiratete Priester ein. Es muss sich zeigen, wie weit es ihm gelingt, das Bewusstsein der Weltkirche, aber auch das Kirchenrecht zu verändern.
Ist der interreligiöse Dialog unter Franziskus weiter gediehen als vor ihm?
Man sagt, dass Benedikt XVI. hier so manchen Fauxpas begangen hat. Aber es hat bereits unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. eine starke Entwicklung gegeben, gemeinsam zu beten, Kontakte aufzubauen, die Theologen zusammenzubringen, gemeinsame
Dokumente herauszubringen. Das Zusammenspiel der Religionen wird immer wichtiger, weil die Religionen in einer taumelnden Welt eine der entscheidenden Hoffnungsressourcen sind. Der Klimanotstand, die Migrationsfrage, die Frage von Krieg und Frieden - das sind Megaherausforderungen, die die Welt an den Rand des Abgrunds treiben. Ich bin überzeugt davon, dass ein Kirchen-Bashing, ein Krankreden der Kirche nicht nur der Kirche schadet, sondern gegen die Interessen der Welt ist. Ich bin nicht der Einzige, der das sagt, das schreiben viele Leute. Tomas Halik und ich haben einen Aufruf gemacht: Respektiert die Religionen, schützt sie. Sie haben Fehler, sie müssen sich erneuern, aber ohne die Religionen wird die Welt eine schlechte Zukunft haben.
Religionen haben aber auch oft versagt. Der Patriarch von Moskau lässt zum Beispiel viele daran zweifeln, dass die Religionen etwas zur Besserung der Situation beitragen . . .
Patriarch Kyrill geht es darum, das Gründungskloster der Russisch-Orthodoxen in Kiew wieder bei Russland zu haben. Das ist sehr kurzsichtig gedacht, denn es wird ihm genauso gehen wie dem Christentum nach dem Dreißigjährigen Krieg - blutige Hände, ein schwerer Einbruch für die Glaubwürdigkeit seiner Kirche. Die Weltorthodoxie ist vom Handeln des Moskauer Patriarchen maximal beunruhigt. Viele Bischöfe und Theologen sagen: Patriarch, lies das Evangelium und nicht nur die Regierungserklärung deines Freundes Putin. Auch der Papst hat Ähnliches zu den ungarischen Bischöfen gesagt, die lieber auf Viktor Orban hören, weil ihnen das Vorteile bringt. Ich nenne das schlicht und einfach Verrat am Evangelium.
Immer zu Ostern erinnert man sich an Versuche, die Ostertermine der verschiedenen Kirchen anzugleichen . . .
In der Ukraine haben sie damit angefangen.
Aber auch aus Protest, um sich von Moskau zu lösen . . .
Es gab jetzt natürlich eine Beschleunigung, aber diese Überlegungen sind älter als der Krieg. Ich glaube, wir sind da auf einem guten Weg, und es ist wirklich wichtig. Wenn die Kirchen sagen, wir sind das Sakrament der Einheit der Welt, dann sollte man auch miteinander die großen Feste der Geburt und der Auferstehung feiern.
Um der Welt willen braucht es eine Beschleunigung der Ökumene. Und ich denke, dass das viele in den unterschiedlichen Konfessionen und Religionen klug machen - wie Papst Franziskus, der mit dem Großimam von Abu Dhabi ein gemeinsames Dokument zur Menschlichkeit herausgibt, in dem klar steht: Wir sind die eine Menschheit, wir haben alle gleiche Rechte, wir sind alle von Gott geschaffen. Es wäre eine gute Hoffnung, wenn aus diesem Karfreitag, in dem die Welt jetzt lebt, ein gerechter österlicher Friede wächst, in der ganzen Welt, nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Syrien, Palästina, Mali, Eritrea, Jemen . . . Auch Afghanistan ist nicht befriedet, dort ist es ein Krieg der Männer gegen die Frauen geworden. Es ist himmelschreiend, was dort passiert!
Stichwort Karfreitag. Der war bis vor kurzem ein offizieller Feiertag für evangelische Christen, jetzt können sie ihn nur noch als "persönlichen Feiertag" wählen. Wäre nicht ein Abtausch gegen einen katholischen Feiertag, etwa den Pfingstmontag, sinnvoll und möglich gewesen?
Ich glaube, dass das die Wirtschaft nicht wollte. Es ist ein miserables Zeichen, die kleine wichtige evangelische Kirche so zu demütigen, und die Katholiken tun gut daran, zu sagen: Wir verzichten auf einen der nicht-zentralen kirchlichen Feiertage. Aber ich fürchte, dass die Bevölkerung und auch die Politik nicht darauf verzichten möchten, weil diese Randfeiertage - Fronleichnam, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag - ja Verlängerungen des Urlaubs sind. Und die sind gar nicht amüsiert, wenn man ihnen einen Tag wegnimmt, nur damit die Protestanten feiern können.